laut.de-Kritik
Der holden Männlichkeit wird der Kopf rasiert.
Review von Alexander CordasOje. Kelis im kleinen Schwarzen mit Stöckelschühchen. Das lässt Böses erahnen. Geht die sympathisch andere Musikerin jetzt den Weg der anderen Diven, die sich ihr täglich Brot mittels Hip Hop und Soul erwirtschaften? Und überhaupt! Wo ist der Wuschelkopf geblieben? Auf modische Gleichschaltung getrimmte Black Music-Stromlinie, die sich auch im Äußeren manifestiert?
"This is my story, this is my my mark, for all of the ages, until it's all dark". Bedeutungsschwanger, apokalyptisch, mit einem Schuss Morbidität steigt die Dame in ihr mittlerweile viertes Album ein. Die ersten Töne von "Blindfold Me" erinnern mehr als nur sachte an das mit Genuss leer geschlürfte "Milkshake". Aber Obacht! Zum ersten Mal haben hier Chad Hugo und Pharrell Williams nicht ihre Finger am Knöpfchen. Nichtsdestotrotz könnte man das hier gehörte Beatverständnis durchaus in Neptuns Reich verorten.
Kelis legt einen soliden Start aufs Parkett, auf dem sie sich auch mit Stöckelschuhen scheinbar leichtfüßig bewegt. Die erste Single "Bossy" schlägt in eine ähnliche musikalische Kerbe und ist die direkte Antwort auf 50 Cents hirnloses Gedisse gegen Nas und seine Gattin: "That's right I brought all the boys to the yard, and that's right, I'm the one that's tattooed on his arm". Und damit es auch ein Intellekt vom Schlage eines 50 schnallt: "Ooh lemme slow it down so ya can catch the flow, screw it up make it go extra slow".
Selbstbewusst wie eh und je beschreitet Kelis unbeirrt ihren Weg. Das äußert sich nicht nur in den eindeutigen Lyrics, in denen sie der holden Männlichkeit ein ums andere Mal den Kopf rasiert. Nein, auch beim Sound lässt sich die Gute konsequent in kein festes Genre-Korsett zwängen. Bester Beweis: Der prädestinierte Club-Hammer "I Don't Think So", der in schönster Goldfrapp-Manier mit fetten Synthie-Basslines nach vorne geht.
Aber auch der Soul-Abteilung stattet Kelis den ein oder anderen Besuch ab. Besonders bemerkenswert: "Appreciate Me", das im Gegensatz zu dem Habitus der allermeisten Soul-Diven der Neuzeit endlich wieder das ursprüngliche Vermächtnis des Genres aufgreift und sich nicht in sinnbefreitem Gejaule ergeht. Gospel? Ja, gerne.
Zwar findet sich auf dem Album keine Granate der Marke "Trick Me", aber Disco-Funk ("Till The Wheels Fall Off") macht sich als Substitut auch ganz gut. Dazwischen schmuggeln sich immer wieder unterkühlte synthetische Klänge mit gebrochenen Beats und prominenten Gaststars. Neben Too Short ("Bossy") featured das Album noch Will I Am ("Weekend") und Cee Lo Green ("Lil Star").
Ausgerechnet der Track mit Letzterem fällt aus dem Rahmen. Äußerst berechenbar gebiert sich dieser Soul-Popper. Denselben Eindruck vermittelt zunächst "Have A Nice Day", das mit soften Beats und Akustik-Klampfe dem Sonnenuntergang entgegen klimpert.
Aber ups, ganz plötzlich trampelt die Gitarre in den Vordergrund und legt so was ähnliches wie einen Flamenco aufs Parkett. Famos. Dafür gibt es - nicht nur im Abspann des Tracks - reichlich Applaus. "Living Proof" lehnt sich nochmals funkig-pumpend heftigst an Prince an, ehe das parentale Advisorium bei "Fuck Them Bitches" zuschlägt und die "fucks' in bester US-Manier verschluckt.
Wenn in Zukunft weiterhin Alben von diesem Kaliber auftauchen, kann Kelis von mir aus auch im Kartoffelsack und Birkenstock über die Bühne latschen. Ganz groß.
2 Kommentare
Ganz ganz traurig, wenn man sieht wo sie jetzt gelandet ist...
Alter, vor vier Jahren hab ich das Ding schon kommentiert? Wobei sich diesbezüglich meine Meinung geändert hat, Flesh Tone war auch ein großes Album. Aber dieses hier - alter, hörs grad das erste mal seit längerem wieder, unglaublich wieder zeitlos und gleichzeitig ultra modern und futuristisch sie da klingt. Definitiv eines der besten R&B-Alben aller Zeiten aufgrund seiner Diversität und Crossover zu allen möglichen Genres. Und eine Schande, dass sie nicht die verdiente Anerkennung und Aufmerksamkeit dafür bekommt.