laut.de-Kritik
Über das Berühmtwerden im Social-Media-Zeitalter.
Review von Toni HennigDass YouTube-Stars sich an eine eigene Musikerkarriere wagen, ist im Social-Media-Zeitalter kein neuer Trend. Dennoch hat die Welt auf Platten von DieLochis oder ApeCrime keineswegs gewartet. Zum Glück gibt es die Wahl-Hamburgerin Anna Guder alias Kiddo Kat. "Piece Of Cake" ist ein aufregendes Debüt, das zwischen purer Lebensfreude und nachdenklichen Tönen souverän die Balance wahrt.
Dank eines Videos aus der Frankfurter S-Bahn landete sie im April 2016 auf der Titelseite des Hamburger Abendblattes und durfte in der Sendung von Markus Lanz sitzen. In dem Clip, der bis heute mehr als 100 Millionen Klicks verbucht, spielt sie gemeinsam mit der Südafrikanerin Heidi Joubert und einer Zufallsbekanntschaft, dem Rapper Ozzy Lino aus Malta, eine Coverversion des Prince-Klassikers "Kiss". Fast zeitgleich erschien ihre erste EP "Who Am I So Funky?!", die noch von urbanen Pop-Sounds und ihrem rauen Sprechgesang lebt. Für "Piece Of Cake", das auf eine größere stilistische Bandbreite setzt, ließ sie sich über ein Jahr lang Zeit.
An manchen Stellen der Platte verweist sie auf ihre märchenhafte Erfolgsgeschichte. So handelt "Growing Under Pressure" davon, wie sie unter enormem Druck persönlich wachsen konnte, wenn es heißt: "I'm growing under pressure." Dazu ertönen kraftvolle R'n'B-Klänge sowie ihr warmer, leicht souliger Vortrag. Mangelndes Selbstbewusstsein kann man Kiddo Kat also wahrlich nicht bescheinigen. Dies unterstreicht ebenfalls der Opener "Behave". Zu treibendem Bubblegum-Pop und markanten Backing-Vocals rechnet das Energiebündel mit der Selbstdarstellung im Social-Media-Zeitalter ab: "Perfect your instagram timeline / Find a good rhyme / I don't think so."
Zugleich beleuchtet sie diese Thematik auf ironische Weise in "Just Kidding". "Forget about the duckfaces and the fake chicks / Go wipe off your lipgloss, wear a smile on your lips", ermutigt sie ihre Zeitgenossinnen. Darüber hinaus streut sie an ihrer blutroten Flying-V-Gitarre im Refrain ein paar lässige Akkorde ein, die eine gelungene Hommage an Prince darstellen. Die äußerst tanzbaren Funk-Rhythmen hätten wiederum dem Sexy Motherfucker gut zu Gesicht gestanden.
Wenngleich die Musik dank ihrer frechen und natürlichen Art einen sympathischen Eindruck hinterlässt, finden sich kleinere Schönheitsfehler. Die 90er-R'n'B-Anleihen im Stile von TLC in "In The Air" wirken hoffnungslos antiquiert. Spätestens wenn "Boomerang" mit "E-oh"-Gesängen im Background und misslungener Autotune-Einlage von Kiddo Kat zum Schluss schwere Geschützte auffährt, ist der Gipfel der Peinlichkeit erreicht. Trotzdem überwiegt das Positive. Vor allem die letzten beiden Tracks zeugen von der verträumten und bisweilen tiefgründigen Seite Anna Guders.
"You Need To Know That" versprüht als opulente Ballade dezentes Lana-Del-Rey-Flair. Dass die dramatischen Streicherteppiche vollständig aus der Konserve kommen, wirkt sich auf den Hörgenuss nicht aus. Zusätzlich drückt Patrik Majer, der in der Vergangenheit mit Wir Sind Helden und Rosenstolz arbeitete, mit seiner dynamischen Produktion der Nummer seinen unverkennbaren Stempel auf. So braucht die Platte den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Demgegenüber changiert "Drunk On Life" als verspielter Pop-Track sehr geschmackvoll zwischen Selbstreflexion in den Strophen ("God knows I've given my best and i got even more of it back") und überschwänglicher Fröhlichkeit im Refrain ("I feel so lucky honey, I feel so") hin und her.
Insgesamt gestalten sich die Musik und die Texte auf "Piece Of Cake" so ambivalent wie das Leben. Der Schreib- und Aufnahmeprozesses im Freudenhaus Studio in Berlin, ihrer Heimatstadt, hat Kiddo Kat sicherlich bei der Verarbeitung ihrer Gefühle nach dem Medienrummel um ihre Person geholfen. Dass man You-Tube-Phänomene nicht immer zwangsläufig mit nervtötenden Eintagsfliegen in Verbindung bringen muss, dürfte somit das größte Kompliment sein, das man Kiddo Kat machen kann.
3 Kommentare mit 2 Antworten
Hab erst gedacht, dass wäre die kleine Schwester/Blag von Kitty Kat
Wirklich schrecklicher Name.
Warum müsst ihr uns eigentlich immer diese YouTube-Missgeburten vorstellen?
Ich würde hier nicht von einer "YouTube-Missgeburt" im klassischen Sinne sprechen, da sie ja durch Videos mit musikalischem Input berühmt geworden ist. Zumindest gemäß der Biographie auf laut.de .
"Forget about the duckfaces and the fake chicks / Go wipe off your lipgloss, wear a smile on your lips"
endlich ma musik mit message.