laut.de-Kritik

Trügerische Idylle: Post-Hardcore aus Mannheim.

Review von

Kind Kaputt? Das klingt nach der nächsten Indie-Band mit deutschen Texten, schwarzen Röhrenjeans und Carhartt-Beanies. Könnte man meinen. Dann legt man das Debüt "Zerfall" ein und wird extrem postiv überrascht. Die Mannheimer fegen einen mit ihrem Sound einfach weg.

"Aufgelöst/Vorwort" startet direkt mit fettem Breakdown-Beat. Dazu crunchige Gitarren, die sich die Jungs direkt bei Heisskalt geborgt haben könnten. Krumme Akkorde, melancholisch klagende Sounds und harte Metal-Bretter - das liebt man an Bands wie Fjørt oder Van Holzen. Doch schon beim ersten Song beweisen Kind Kaputt, dass sie mehr sind als ein Abziehbild der jüngsten Post-Hardcore-Welle.

Die Band liefert Songtexte, die angenehm unpeinlich ausfallen und auf ihre Art sehr poetisch, verspielt und bitterböse daher kommen. Ein Beispiel aus "Schwertschlucken": "Sich im Palast der Schönsten ergriffen zu entblößen, verliert an Wert / Doch dieses Schwert steckt noch im Hals." Die Songtexte bleiben sehr vage, und so blitzen beim Hören immer wieder eigene Kindheitserinnerungen auf. Kind Kaputt formulieren eben nicht jeden Gedanken zu Ende. Der Hörer soll sich lieber eigene machen.

Auch "Besteck" punktet auf ganzer Linie: Stimmige Gitarrensounds, eingängiger Refrain, tighte Drums? Check! Songtext? "Zebrochenes Besteck / Es kratzt nur wenn man schluckt / Vermeiden wir den Durst / Geschwisterlich verpetzt, wir tragen falschen Schmuck wie Orden auf der Brust." Check!

Kind Kaputt fallen auf allen zwölf Songs des Albums ordentlich aus dem Rahmen. Ruhige, softe Stücke sucht man vergebens. Wenn Sänger Johannes Prautzsch plötzlich sanft vor sich hin murmelt und die Gitarren balladenhaft schmeicheln, trügt die Idylle: Diese Ausflüge in Pop-Gefilde entwickeln sich zu brutalen Breakdown-Parts und Gitarren-Geschredder, etwa bei "Morgen, Morgen" oder "Abschied". Genauso beim vielleicht poppigsten Song des Albums, "Unterholz", der sich vom nachdenklichen Kopfstimmen-Gesang zum Screamo-Glitch-Albtraum hochschraubt.

Dabei wechselt Prautzschs Stimme scheinbar mühelos vom schüchtern verschmitzten Geschichtenerzähler zur Reibeisenstimme à la Fjørt. Oft unterstützen die Bandkollegen seinen Gesang. Hier gelingt den Mannheimern die schmale Gratwanderung zwischen Eingängigkeit und Radio-Sülze.

"Zerfall" ist ein durchweg interessantes Album, das tolle Texte, geniale Arrangements und unglaublich geile Grooves bereit hält. Kind Kaputt kommen insgesamt etwas poppiger als Kollegen wie Heisskalt, Fjørt oder Van Holzen um die Ecke, was aber absolut kein Makel sein soll. Produzent Jan Kerscher (Jennifer Rostock, Marathonmann) zimmerte der Band einen stimmigen Sound, der ihre harte Seite betont, ohne das dabei die Texte untergehen.

Das Albumcover hätte übrigens nicht treffender gewählt sein können, ein Kaugummi-Automat vor einem düsteren Hintergrund: eine süße Verlockung, die zur bösen Überraschung wird. So könnte man beschreiben, was Kind Kaputt da abliefern. Ein absolut überzeugendes Debüt, das Lust macht, die Band live zu erleben.

Trackliste

  1. 1. Aufgelöst/Vorwort
  2. 2. Besteck
  3. 3. Morgen, Morgen
  4. 4. Schwertschlucken
  5. 5. Geisel
  6. 6. Unterholz
  7. 7. Vermeiden
  8. 8. Abschied
  9. 9. Schuld
  10. 10. Der Graue Mann
  11. 11. Eingeständnis
  12. 12. Akzeptieren/Nachwort

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