laut.de-Kritik
Die Prog-Haudegen huldigen Moroder und Kraftwerk.
Review von Benjamin TrollKönnt ihr euch an die 90er erinnern? Als der Autor Anfang bis Mitte dieses Jahrzehnts als junger und dummer Teenager bei Müller for Music seine ersten CDs kaufte, war die Maxi heiß im Rennen. Erstens günstiger als das ganze Album, zweitens ohne den ganzen Füllstoff kompletter Alben, der den geneigten Single-Käufer eh nicht interessierte. Die Tracklists dieser Maxis lasen sich meist wie "1. Album Version, 2. Radio Edit, 3. Extended Version, 4. Hansi Himpfeldumpfer Club Mix" und so weiter.
An diese wunderbaren Zeiten fühlte ich mich sofort erinnert, als ich für diese Review bemustert wurde. Gleich zwei Alben zum Anhören? Naja fast. Die australischen Prog-Haudegen und Hansdampfs in allen Genre-Gassen von King Gizzard & The Lizard Wizard haben ihre neue Scheibe "The Silver Cord" nämlich nicht nur soundtechnisch in Richtung der 80s und 90s geschoben, sondern auch die Rolle als Remixer selbst übernommen und die Extended Mixe als alternative Version des Albums gleich mitgeliefert. So konzentriert sich die Standard Version mit einer knappen halben Stunde Laufzeit auf komprimierte und reduzierte Tracks mit drei bis vier Minuten Länge. Die Extended Version geht mit einer Stunde mehr Laufzeit an den Start und zeigt die komplette ausufernde Bandbreite der Band auf bis zu 20-minütigen Kunstwerken.
Wer King Gizzard als Rock-Band abgespeichert hat, wird Gitarren auf "The Silver Cord" vergeblich suchen. Voll elektronisch mit altem Equipment aufgenommen, bedienen sich die Australier Einflüssen von Giorgio Moroder und Kraftwerk. Die Power der sieben Tracks erinnert aber öfter an die 90er, als The Prodigy elektronische Musik neu definierten. Anders als Kadavar auf ihrem gediegenen Prog-Album "The Isolation Tapes" nutzen King Gizzard die gesammelte Synthie-Vielfalt für energetische und tanzbare Elektro-Kracher.
Auch innerhalb des Synthie-Genres tobt sich die Truppe aus Melbourne voll aus. Stampfende Club-Tracks wie "Set", "Extinction" oder "Gilgamesh" gehen gut ins Ohr und in die Beine. Letzterer überrascht – genauso wie "Swan Song" – mit seinen Rap-Parts und erinnert damit an Sound aus der britischen Clubszene der 90er Jahre. Hätte so auch locker auf dem "Trainspotting"-Soundtrack Platz finden können. Hört man sich diese Tracks auf der Extended Version an, fällt auf, dass King Gizzard ein sicheres Gespür für Verspieltheit haben und dieses ausleben, ohne den Grundton ihrer Tracks damit großartig zu ändern. Um die volle Bandbreite der Langversionen voll auszukosten, muss man aber schon genau aufpassen. "Progressives Musikhören" nennt es der Pressetext.
Ein bisschen weniger energiegeladen können es King Gizzard ebenfalls. Vor allem der Opener "Theia" und das hymnische "Chang'e" treten etwas auf die "Four On The Floor"-Bremse, ohne jemals in belanglosen Ambient abzudriften. Highlight der Scheibe ist der Titeltrack "The Silver Cord", besonders in der Extended Version. Geheimnisvolle Klänge zu Beginn und ein Ausflug in den Drum'n'Bass zum Ende. Das macht Spaß!
Es bleibt einem wenig anderes übrig, als vor dem Mut und der Experimentierfreude von King Gizzard And The Lizard Wizard den Hut zu ziehen. "The Silver Cord" ist sicher kein Album für alle, aber doch für einige. Wer gerne auf ihre Essenz komprimierte Elektro-Tracks möchte, greift lieber zur Standard Version. Fans des vollen Spielspaß sei aber wärmstens die Extended Version ans Herz gelegt. So viel zu entdecken gab es schon lange nicht mehr.
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