laut.de-Kritik
Melancholische Ruhe und trauriger Tanz.
Review von Rinko HeidrichUngefähr zu Anfang des 21. Jahrhunderts entwickelte sich mehrere neue Männertypen. Da wäre zum Beispiel der Chad. Ein oberkörperfreier Proll, dem der kernige Jagd-Ausflug mit seinem Vater zu öde war und der seinen Luxus-Body ungern mit selbstgebranntem Whiskey gefährdete. Auch sonst war er kein Rock'n'Roll-Rebell. Er nahm gerne alles an, was ihm die westliche Konsumkultur vor den neuesten Sneaker warf. Im Gegensatz zu dem White Trash-Versager hatte er eine Jahreskarte im Premium-Club, teure Sonnenbrillen und Edelmarken-Shorts. Er ist der Alpha, der den Stamm anführt, der das Recht des Stärkeren im Dschungel ausübt und mit seinem Status von Macht und Muskelmasse über allen thront.
Die Kings of Convenience sahen 2001 schon auf dem Cover von "Quiet Is the New Loud" wie sein absolutes Opfer aus. Wenn der Chad der Löwe war, konnten diese skandinavischen Nerds nur verweichlichte Kreaturen sein, die die Evolution eigentlich schon beseitigen sollte. Welcher richtige Mann sitzt mit übergroßer Brille neben einem Paar, das liebevoll ineinander geschlungen vor einer Blockhütte kuschelte. Zum Glück dürfte es zwischen den beiden Spezies kaum Kontakt gegeben haben.
In norwegischen Bergen sind die Winter lang, dunkel und melancholisch. Kein Wunder, dass ein erstes Projekt der Schulfreunde Erlend Øye und Eirik Glambek Bøe die Inspiration aus dem düsteren Post-Punk der Achtziger zog und im Gegensatz zu ihrer späteren Band Kings Of Convience durchaus schwere elektrische Gitarre-Musik spielten. Vielleicht wäre aus beiden auch ein gutes Black Metal-Projekt geworden, aber um die Jahrtausendwende war für sie spannender, das Prinzip ihrer Vorgängerbands umzukehren und ein rein akustisches Album aufzunehmen. Ein komischer Zeitpunkt für zwei Newcomer, denn diese Sparte war nicht unbedingt populär. Die zu der Zeit sehr angesagten Nu Metal-Bands standen teilweise mit mehreren Gitarristen auf der Bühne, zwei bleiche Jungs ohne Anlage und nur Gitarren konnten nur als Witz gewertet werden. Simon & Garfunkel wussten ein Folk-Movement hinter sich, die KoC spielten erst einmal ein Jahr auf Festivals, bis Coldplay mit Parachutes doch eine Tür öffneten.
Doch selbst die Blaupause für alle nachfolgenden sensiblen Männer-Gruppen, sieht man von Travis ab, wirkten noch wie aufdringliche Aggro-Musik gegenüber dem absoluten Ruhepol von "Quiet Is The New Loud". Es sind nur Halbtöne und Nano-Momente, die einen Song wie "Parallel Lines" so durchsichtig erscheinen lassen, bis er fast nicht mehr erkennbar und beiläufig wird. Fehlende Konzentration und Disziplin lassen schon im Sport ganze Taktiken in sich zusammenstürzen, eine kleine Verschiebung in diesem hauchzarten Gewebe hätte "Quiet Is The New Loud" zu Fall gebracht. Erlend und Erik, so hört man aus Interviews und Dokumentationen heraus, sind zwei gegensätzliche Charaktere, die aber trotzdem stets loyal zueinander bleiben und über Musik eine Verbindung fanden.
So harmonieren die Stimmen perfekt und führen den Hörer immer an kleinen Mini-Dramen wie "Failure" vorbei. Ein dummer Tag, an dem nichts so wirklich klappt und zu allem Überfluss ein Schauer auch noch die Klamotten durchnässt. Was im späteren Leben wegen der durchgeplanten Ordnung kaum noch vorkommt, ist Anfang Zwanzig noch ein Synonym für Überforderung. Wer hat bei Schietwetter in Hamburg nicht Arne Zank vor den Augen, der in komplett unpassenden Klamotten im Regen steht und sich wie Dirk nach Seattle wünscht. Es ist schön, noch einmal in diese Tollpatschigkeit abzutauchen, und "Failure" rettete damals solchen Tag, an dem alles wie eine miese Verbrüderung gegen einen wirkte.
Ja, das mag nach Kaffeehaus-Atmosphäre klingen, aber für das Kaffeehaus war zu wenig Geld. Und doch kommt einem dieses Zusammensitzen in der WG-Küche wie der beste Moment in seinem Leben vor. Hätte man doch nur auf den Text "Failure Is The Best Way to Learn" geachtet und nicht auf den traurigen Geigensound oder diesen undefinierbaren, melancholischen Bossa Nova. Von der Grundstimmung erinnert es an A-Ha, deren bittersüßes "Manhattan Skyline" die beiden coverten und als Bonustrack an das Album anhingen.
Traurigkeit und Tanzen scheinen wohl in Norwegen kein Gegensatz zu sein. Erlend Oye lieh im selben Jahr den Landsmännern von Royksöpp seine ganz eigene, stets sehnsüchtige Stimme in "Poor Leno", die zum Dank an dem Remix-Album "Versus" mitmirkten. Auch Four Tet, der später mit "Rounds" das Folktronica-Genre begründete, ging noch einmal über "The Weight Of The World" rüber, ohne die feinfühlige Verspultheit des Originals zu zerstören. "Winning a Battle, Losing A War" klingt im Remix fast schon zu fröhlich und funky, um die emotionale Tiefe des Originals mitzunehmen. Der erste Song von "Quiet Is The Loud" ist so vorsichtig auf dem Griffbrett angeschlagen, dass man zwischen Harfenspiel und Gitarre kaum unterscheiden mag.
So leicht wie das Spiel ist auch das Thema des Songs oder eigentlich von dem ganzen Album. Menschen verlieben und entlieben sich, schauen aus dem Zug und lassen die Zeit mit einem schweren Seufzer vorbeiziehen. Wir reden hier über eine wirklich ruhige und angenehme Zugfahrt, an einem Morgen ohne schreiende Kinder und vorbei am Meer. Oder wie es in dem merkwürdig traurigen und doch zugleich glücklichen "Summer On The Westhill" heißt: "Please oceancloud, let there be no storm on the crossing below." Eine komplette Zeitlosigkeit wie bei Joanna Newsom und ihrem ätherischen Folk der Frühphase liegt über dem Moment. Er passt zum letzten Moment der Jugend oder dem Ende einer fantastischen Reise, die so nie wieder kommen mag.
"Quiet Is The New Loud" besteht dagegen immer noch den Test der Zeit und hat in den letzten 20 Jahren absolut nichts von seiner Faszination verloren. Die Platte war kein lauter Rausch, blieb in ihrer emotionalen Tiefe aber für immer. Die Kings of Convenience brauchen deswegen heute gar keine Vergleiche mehr, sie sind selber schon ein Klassiker.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
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