laut.de-Kritik

Spannend inszeniertes Debütalbum des rätselhaften True-Crime-Rappers.

Review von

Kolja Goldstein hat sich Zeit gelassen. Fast zwei Jahre nach der EP "Art & Design" erscheint mit "Global" das Debütalbum des rätselhaften Rappers. Darauf drehe es sich laut seinem Label "um die Unterwelt und ihre verborgenen Geschäfte und Aktivitäten - so authentisch geschildert, dass er das Genre auf ein neues Level" hebe. Nun muss sicherheitshalber festgehalten werden, dass Authentizität keinen künstlerischen Wert an sich darstellt. Da sich aber wenige Gruppen damit so schwertun wie Rap-Liebhaber, bleibt es nach wie vor eine wirkmächtige Werbestrategie, die Glaubwürdigkeit zu betonen.

Bei seinen nach authentischer Verbrechermusik lechzenden Hörerinnen und Hörern scheint es zu verfangen und auch durch Enthüllungsgeschichten kaum einzutrüben. Kolja Goldstein beherrscht das Katz-und-Maus-Spiel mit neugierigen Medien ganz hervorragend. Und doch verwundert es ein wenig, wie wenig ihm etwa die umfangreiche "Zeit"-Recherche aus dem vergangenen Sommer anzuhaben scheint. Möglicherweise erreicht die Presse seine Zielgruppe überhaupt nicht. Die schmerzvolle Wahrheit könnte aber auch sein, dass sie seinem Wort schlicht mehr vertraut als dem der Journalisten.

Ähnlich wie Trump oder Putin kreiert Kolja Goldstein eine Parallelwelt, in der nur er die Wahrheit verkündet. "All die Leute sind nur Schauspieler im Knast", behauptet er in "Mokum". Die Konkurrenz lügt sich ihre Verbrechen zusammen, er selbst prahlt wie in "EBI" manchmal etwas zu stolz mit seinen Taten: "Ihr habt nicht ein' meiner Morde gelöst." Seine Geschichten sind derart verfänglich, dass sich der Rapper gezwungen sieht, im Vagen zu bleiben: "Wieder mein' Namen in Riesenverfahren. Hätte viel zu erzählen, doch kann niemals was sagen." Alternativ habe er die Fälle "lange schon vergessen".

Im Gegensatz zu seinen Genre-Kollegen klingt der kriminelle Lebensstil bei Kolja Goldstein nach harter Arbeit. Der Erfolg fällt ihm nicht einfach zu, sondern tritt erst nach planvollem Vorgehen und atemlosen Ortswechseln ein: "Wie viel' Zeitzonen von Medellín nach Eindhoven?" Er beschreibt die Geiselnahmen und Automatensprengungen auch keineswegs glamourös. Ebenso wenig ist sein Interesse ausgeprägt, die Vorzüge dieser Lebensführung zu preisen. "Heut' hab' ich die Wahl zwischen Selters und Sekt", rastet er punktuell in "Global", um sein Einkommen bescheiden zu genießen.

Kolja Goldstein mag "Global" operieren, er bleibt ein deutsches Phänomen. Zumeist knallt er seine unprätentiösen Räuberpistolen scharfkantig in den Takt. Im Grunde wäre es schon zu viel, von einem 'Flow' zu sprechen. In sich ist es aber stimmig, was etwa auffällt, wenn er sich an Autotune-Hooks über Krimi-Instrumentals ("Montparnasse") oder gar Liebeslieder ("Novikov") versucht. "NYC 2003" imitiert die Gesangsansätze aus 50 Cents titelgebender Glanzphase. Zu viele Sperenzchen für einen Rapper, der am stärksten über geheimnisumwitterte Instrumentals funktioniert ("Mokum", "Casa Way").

Unmelodisch und ohne Refrain ähnelt "Deep Sea" eher einem Hörspiel als Musik. Den Vogel schießt "Abu Dhabi" ab, dessen Instrumental regelrecht Ohrenschmerzen erzeugt. Im Werk der Produzenten Den Rose und Primoe lässt sich nicht mal eine greifbare Stimmung ausmachen. Kolja Goldstein rappt sich dazu in einen Rausch aus Verrat, Verbrechen und Verdächtigen, während Haftbefehl verdächtige Selbstmorde mit der EZB verknüpft. Es bleibt unklar, worum es auch nur im Ansatz gehen könnte. "Was hier passiert, Brudi? Es geht um Saphir und Rubin", klärt der Offenbacher wenig hilfreich auf.

Einen wirklich unangenehmen Beigeschmack bekommt Kolja Goldstein immer dann, wenn er seine Zodiac'esken Krimirätsel um spirituelle Bekenntnisse anreichert. Er preist den Schöpfer ("Mokum"), pflegt das Freitagsgebet ("Deep Sea"), betet um göttlichen Beistand ("Casa Way") und fordert seine Mitmenschen auf, es ihm nachzutun ("Audi Bande (Remix)"). In "Montparnasse" versteigt er sich zur Annahme, unter dem persönlichen Schutz des Allmächtigen zu stehen, der bereitwillig all seine Taten deckt: "Es herrscht Krieg in der Stadt, doch ich kann nicht sterben. Warum? Denn ich glaube an Gott."

Neben der Idee, seine Taten mehr oder weniger als göttlichen Willen zu framen, stößt es auch bitter auf, den Umständen die Schuld zu geben. "Metadata" skizziert seinen Lebenslauf vom zerrütteten Elternhaus über Drogenabhängigkeit und immer schwerwiegenderen Verbrechen bis zu Gerichtsprozessen. Dabei stilisiert er sich sogar zum Opfer: "Warum hab' ich jemanden erschossen? Er steht nachts an mei'm Bett." Losgelöst vom Kontext des Werks lässt sich allerdings auch festhalten, dass der Song dank seinem emotionalen Vortrag und dem Abwärtssog des Pianos effektiv unter die Haut geht.

Bei aller Kritik bleibt "Global" ein spannend inszeniertes Album, das gerade in seiner rohen Ausführung gut unterhält. Wer eine Vorliebe für True-Crime-Podcasts mitbringt, kann sich an den Bezügen zu allerlei Gräueltaten im Goldstein'schen Kosmos erfreuen und versuchen, seine auditiven Puzzles zu lösen. Der Rapper selbst hat daran übrigens das Interesse schon wieder verloren. Pünktlich am Veröffentlichungstag erklärte er in einem Instagram-Statement: "Alle Antworten auf eure Fragen findet ihr auf der Platte - streamt das. Ich mach' erstmal Timeout von der Musik." Er bleibt ein Rätsel.

Trackliste

  1. 1. Intro (Maasvlakte)
  2. 2. Mokum
  3. 3. Global
  4. 4. Montparnasse
  5. 5. Casa Way (mit Dú Maroc)
  6. 6. Deep Sea
  7. 7. NYC 2003
  8. 8. Audi Bande
  9. 9. Abu Dhabi (mit Haftbefehl)
  10. 10. Novikov (mit SRNO)
  11. 11. Metadata
  12. 12. Køpenhavn
  13. 13. EBI (mit Djaga Djaga)
  14. 14. Audi Bande (Remix) (mit DJEZJA)
  15. 15. Outro (Kombis)

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