laut.de-Kritik
Der "singende Anarchist" beschenkt sich selbst.
Review von Kai ButterweckPünktlich zu seinem 70. Geburtstag haut Konstantin Wecker noch einmal so richtig auf den Putz. Nach seinem letzten Studioalbum "Ohne Warum" und dem vor einem halben Jahr veröffentlichten Live-Nachschlag ("Ohne Warum Live") steht bereits das nächste Werk des "singenden Anarchisten" in den Startlöchern. "Poesie Und Widerstand" heißt das opulent aufbereitete Doppelalbum, das sich Konstantin Wecker dieser Tage selbst auf den Geschenktisch stellt.
31 Songs? Wow! Bei genauerer Betrachtung der Tracklist fällt allerdings auf, dass die meisten Songtitel bereits bekannt sind. Die Ernüchterung über ein vermeintlich gängiges "Greatest Hits"-Album hält sich jedoch in Grenzen. Neben brandneuen Titeln wie der schunkelnden Bunt-statt-braun-Hymne "Den Parolen Keine Chance" und dem nicht weniger positiv angehauchten Willkommensgruß für Flüchtlinge namens "Ich Habe Einen Traum" präsentieren sich sämtliche Klassiker aus dem Wecker-Archiv musikalisch runderneuert.
Unterstützt von seiner Backing-Band, einem Kinderchor, den bayrischen Philharmonikern und befreundeten Kollegen wie Gaby Moreno, Conchita Wurst, Pippo Pollina und ASP haucht Konstantin Wecker seinen Evergreens neues Leben ein. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut.
Die mit orchestralem Bombast befeuerten Lieder "Novalis" und "Das Ganze Schrecklich Schöne Leben" beispielsweise lassen im geöffneten Sound-Korsett durchaus aufhorchen. Das 1993 in Richtung Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen verschickte "Sage Nein" hingegen schießt mit eingebundenem Welt- und Orchestermusik-Überschwang etwas übers Ziel hinaus.
Der Balance-Akt zwischen ruhigem, zumeist auf dem Piano vorgetragenen Liedgut ("Endlich Wieder Unten"), "Niemals Applaus (Für Meinen Vater)", "Die Weiße Rose") und Weltmusik-Exzessen im Stile von "Weltenbrand" und "Ich Habe Einen Traum" stellt sich für den Liedermacher-Guru als erstaunlich große Herausforderung dar.
Spätestens im Verlauf der zweiten Halbzeit des selbstgebastelten Geburtstagsrausches allerdings kommen alle Beteiligten, inclusive dem Jubilar wieder etwas runter. Die Lautstärke senkt sich. Das Klavier und Weckers rollendes "R" übernehmen das Zepter. Und irgendwann pustet der alte Mann mit dem Herz auf der Zunge 70 brennende Kerzen aus. Bei allem Frust über globale Missstände überwiegt am Ende die Dankbarkeit. In diesem Sinne: "Gracias La Vida!"
1 Kommentar
Drei Sterne für das reguläre Album sind okay, auch wenn ich's unterm Strich nicht gebraucht hätte. Vieles wurde schon mehrmals neu interpretiert, ob live oder im Studio, und ich find's gut, daß Konstantin Wecker diese Stücke heute noch mit geradem Rückgrat singen und neu erfinden kann, aber nicht jede dieser Neuerfindungen hätte wirklich den Gang in die Öffentlichkeit antreten müssen. Beim "Poesie und Widerstand" hatte ich oft das Gefühl, daß er seine Energie nicht richtig bündelt, vieles klingt aufdringlich, wo eine schlichte Dringlichkeit ausgereicht hätte, und bei manchen Sachen hätte ich mir eine etwas gedrosselte Interpretation gewünscht, denn daß er auch mit ruhigen Liedern protestieren kann, dürfte er selbst mittlerweile am besten wissen.
Vier Sterne für die limitierte Edition, die neben einer CD mit Klavierimprovisationen und einer mit Raritäten aus Weckers Klangarchiv, darunter auch im familiären Umfeld entstandene Duette mit seinem Vater sowie ein paar Medleys mit Soundtrack-Arbeiten, auch eine Live-DVD enthält. Während die Doppel-CD so ein bißchen sinnzweifelnd die Nase rümpfen läßt, legt die 4-CD/DVD-Variante eine deutliche, da vollständigere Standortbestimmung zum 70. Jubeltag vor.
Gruß
Skywise