laut.de-Kritik

Immer noch uncool.

Review von

Soso, Herr Wecker, was haben sie uns denn da geschickt. "Sage Nein!" ist im Prinzip nichts anderes als ein Best-Of-Album, allerdings ein mit politischer Prämisse kuratiertes. Natürlich begreifen wir Best Of-Alben hier bei laut.de als Chance, dem Künstler einmal ganz generell warme Worte zukommen zu lassen: Konstantin Wecker, unbesiegter bayerischer Anarch, bekennender Alt-68er, nach wie vor in Daueropposition zu denjenigen, die damals lieber am Straßenrand stehen blieben, weil ihnen das alles zu radikal war, und aus dem selben Grund 50 Jahre später gegen die Homo-Ehe sind. Zumal "Sage Nein! (Antifaschistische Lieder – 1978 bis Heute)" für solidarische zehn Euro erhältlich ist, Wecker alle Songs neu gemastert beziehungsweise aufgenommen hat, teils im Studio, teils live, obendrein noch zwei 2018-Versionen seiner antifaschistischen Gassenhauer "Willy" und "Sage Nein!" spendiert, plus – festhalten – die zweiminütige Neukomposition "Das Leben will Lebendig sein" oben drauf legt.

Es gehe ihm nur schwer in den Kopf, so Wecker in den letzten Jahren immer wieder sinngemäß, dass diese jahrzehntealten Songs plötzlich wieder tagesaktuell seien, und damit hat er leider recht. In Kaltland wärmt so manchen heuer nur der Gedanke an brennende Asylheime. Ein Teil der Einnahmen des Albums kommt der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München zu Gute. Alle, die dieses Jahr noch nicht dazu gekommen sind, im Uhrzeigersinn diese monumental widerlichen Nazipaläste am Königsplatz und Umgebung anzuspucken, können auch einfach die CD kaufen.

Zudem hat man sich die neuen Gewänder alter Songs hörbar etwas kosten lassen. Sie klingen allesamt aufpoliert, aber nicht keimfrei. Man höre etwa auf die aufgekratzt-verzerrte Gitarre der "Anna R. Chie", angenehm heavy, dennoch klar. Der Track hat Zack und Schmackes, auf eine reichlich uncoole Weise (wie die Formulierung "...hat Zack und Schmackes"), ist als das, was er ist, aber schlicht zeitlos. Das selbe gilt für "Sage Nein - 2018", ein Song, der demonstriert, warum Wecker an Universitäten Komposition lehrt: Dramatik und Drive in der Musik, ein Text, der seine Aussage nicht versteckt: "Im Nationalismus liegt keine Freiheit. Der Nationalismus ist der Anfang vom Ende der Freiheit."

In seinen stärksten Momenten versteht sich Wecker auf analytischen Spott. Der zynische Walzer über "Stilles Glück, Trautes Heim", neu eingespielt in glasklarem Sound, entlarvt die "Zurück zur guten, alten Zeit"-Parolen der AfD und ihrer Erfülllungsgehilfen als das, was sie sind: Vernichtungsfantasien. "Reihenhaus, Berg am Laim, früher Asylantenheim / doch das gibt's schon lang nicht mehr / geschlossen von der Bürgerwehr." Ebenfalls hoch anzurechnen, gerade im Vergleich mit so manchen 68er-Genossen, die die Unterdrückung der Frau auch gerne mal als "Nebenwiderspruch" abtaten, ist Weckers scharfer Blick für patriarchale Strukturen und defekte Formen von Männlichkeit als Keimzellen des Faschismus: "Samstag nach der Tagesschau/ schlägt Vati Mutti grün und blau / denn wirklich will er, das ist klar / zu Erwin in die Homobar / doch weil man das nicht machen soll / kriegt Mutti halt die Hucke voll".

Die Politur im Soundbild kaschiert dennoch nicht, dass die Moralpredigt, wie Wecker sie gern praktiziert, in der Form etwas aus der Zeit gefallen ist. Um die böse Zunge zu ihrem Recht kommen zu lassen: Einen Hang zur Stuhlkreisatmosphäre hatte er schon immer, der Konstantin. Etwas Erklärbäriges haftet vielen seiner Songs an.

Richtig brenzlig wird es mit "Den Parolen Keine Chance": Zwar verbreitet die Instrumentierung wacker Weckerschen Optimismus, aber "Lasst uns jetzt zusammen stehen / es bleibt nicht mehr so viel Zeit / lasst uns lieben und besiegen / wir den Hass durch Zärtlichkeit" überspannt nicht nur die Regeln deutscher Grammatik, Wecker ist sich ebenfalls nicht zu schade, auf diesen Text die Melodie von "Freude, schöner Götterfunken" zu verwursten und dann noch frohlockenden Frauenchor drüberzukleistern. Vermutlich wegen Europa und so. Der gute alte Ludwig Van wird deswegen nicht im Grab rotieren, allerdings auch wohl kaum besser schlafen.

Schon klar und richtig, dass Subtilität nicht Sinn und Zweck der Übung sind. In solchen Momenten verflacht die Direktheit Weckers aber und erscheint platt. Und auch für einen Song wie "Das Leben Will Lebendig Sein", schönes Klavier, schöner Text, schöner Gesang, saumäßig uncool, müssen viele wahrscheinlich auf die genau richtige Art und Weise einen im Tee haben, um sich so in die Arme zu fallen, wie der Song das will und braucht, um ihn zu fühlen.

"Willy 2018" bleibt hinter dem Original zurück, weil es einfach zu sehr Predigt von oben herab ist, wiewohl direkte Worte gegen den Fascho mit den gelben Kötern auf der Krawatte natürlich immer gern gehört werden (trägt der eigentlich immer dieselbe oder hat er die zehnmal?). Lyrisch überzeugt das leider nicht. Und zur Balkanbeats-Version von "Bella Ciao" sollte man, gerade im Licht jüngster Verbrechen, vielleicht einfach besser schweigen.

Dennoch, wer Bock hat auf Wecker zum schmalen Taler, kann hier bedenkenlos zugreifen, Fans dürften die entstaubten Neufassungen der Songs schätzen. Wir schließen mit einem herzhaften Shoutout an seiner Majestät Ludwigs II. Königlich-Bayerischer Antifa und Willys Worten: "Freiheit, des hoaßt koa Angst ham, vor nix und niemand", und damit hat er immer noch Recht, der Willy.

Trackliste

  1. 1. Willy 2018
  2. 2. Sage Nein - 2018
  3. 3. Das Leben Will Lebendig Sein
  4. 4. Vaterland
  5. 5. Die Weiße Rose
  6. 6. Sturmbannführer Meier
  7. 7. Stilles Glück, Trautes Heim
  8. 8. Vaterland?
  9. 9. Empört Euch
  10. 10. Anna R. Chie
  11. 11. Den Parolen Keine Chance
  12. 12. Das Macht Mir Mut
  13. 13. Ich Habe Angst
  14. 14. Willy
  15. 15. Bella Ciao
  16. 16. Blümlein Stehn Am Waldessaum

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6 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    völlige zustimmungh.wecker ist immer dann besonders gut, wenn er das pralle leben und das morbige zulässt & immer dann besonders mies, wenn er den headmaster of moralaposteling gibt.

    • Vor 6 Jahren

      Wecker ging einem immmer auf den Weccker, egal was der machte! Deshalb die Zwischenzeile, sagt alles.

      "Immer noch uncool!"

      Will auch nix lesen über den Jammerbarden! Danke!

    • Vor 6 Jahren

      naja, wenn man da ne abneigung hat, wird es eh schwierig. aber der begriff des jammerbarden passt null. wecker mag nerven mit zeigefingerduktus und so. aber zu jammern, fiele diesem barock-bajuwartischen nicht ein. das ist einfach quatsch.

      und wecker kann wirklich poetisch, erotisch und morbide sein. ich halte seine "sadopoetischen lieder" für eine der besten deutschen platten überhaupt. da gibt es makabren stoff über nekrophilie, schwarzen humor wie "mein linker arm", surreale poesie wie "die irren" und ein paar für die zeit gewagte erotksongs.

      insofern ist wecker aus meiner sicht eher ein teilzeitklischee und nicht komplett stereotyp.

    • Vor 6 Jahren

      "sadopoetischen lieder"

      Kannte ich noch nicht, das hört sich nach Spaß an und immer aufgeschlossen bleiben, gehört ja auch dazu, zum Spaß! Also defenitiv rein hören, die nächsten Tage.

      "Jammerbarde"

      War nicht auf Jammern bezogen, das stimmt schon mit deinem Teilzeitklischee was er wahrscheinlich bedient. Seine Stimme allein, also das was du als barock-bajuwartisch beschreibst, hört sich wie Jammern an, das meinte ich. Es gibt bestimmt auch Norddeutsche Sänger die sich wie ein harpunierter Rollmops anhören, liegt halt an meinem Ohr. ;)

  • Vor 6 Jahren

    Vorweg, bin kein Wecker-Jünger/-Fan/-Apologet/-whatever,
    aber die Zwischenzeile sagt - gerade im Kontext, der vom Rezensenten zu Recht in den Mittelpunkt gestellt wird - eben NICHT alles! Muss Antifaschismus cool sein, damit er heute noch praktiziert wird? Gegenfrage: wie cool ist die erste Garde der hier Angesprochenen? Der alte Onkel Schreibtischtäter mit Hang zu "völkischem" Vokabular? Der sarkastische Nadelstreifennazi, der nicht nur optisch an Hans Landa erinnert? Die hysterische, blondierte Fregatte mit Hang zum inszenierten Eklat? Die verwirrte Bewohnerin des Wolkenstorchenheims mit ihren kruden Verschwörungstheorien? Alle zusammen Steigbügelfesthalter des greisen Horst S.... sind die cool? Ist das überhaupt ein Kriterium? In der Musik??? Wie viele gute Musik würde es da draußen geben, wenn das erste Credo der Musiker wäre, cool zu sein? Nicht dein Ernst, die "Argumentation", oder?

    • Vor 6 Jahren

      "Ist das überhaupt ein Kriterium? In der Musik???"

      Beantwortet sich von selbst! Ich mein, Musik sollte schon Spaß machen. Mag Wecker auch noch so berechtigt politische Lieder machen, Spaß kommt bei ihm zu selten auf, also uncool der Mann.

      "Nicht dein Ernst, die "Argumentation", oder?"

      Jemanden die Ersthaftigkeit absprechen, um zum Ausdruck zu bringen das man mit vorgefertigter Meinung unterwegs ist, ist das Gegenteil von einem "gutem" Argument.

    • Vor 6 Jahren

      Ah, OK. Also die Gleichung "cool = macht Spaß" hatte ich jetzt so nicht auf dem Radar. Das liegt dann vielleicht an unserer unterschiedlichen Interpretation des Begriffs. Uncoole Musik kann m.E. durchaus Spaß machen, aber das nur nebenher. Indem ich die Ernsthaftigkeit deiner Argumentation in Frage stelle, bin ich übrigens noch nicht selber im Begriff zu argumentieren, sondern gehe freundlich erst einmal davon aus, dass dein so dahingeschriebener Satz "nicht cool, also muss man auch nicht weiter lesen" eher Ausdruck eines spontanen Gefühls schnoddriger Lässigkeit darstellt als deine grundsätzliche Geisteshaltung. Letzteres wäre angesichts des Themas (s.o.) bedenklich, nicht wegen Wecker selbst.

    • Vor 6 Jahren

      das ist natürlich ne spannende frage. wie definiert sich "cool"?

      im genre würde ich die antwort für mich als "icht angestaubt" beantworten. und der zeigefingerduktus ist immer etwas angestaubt, wenn er so ganz ohne jede lakonische zuspitzung, ohne wortwitz, ohne starke, zugespitzte bilder einfach als eine art handlungsanweisung daherkommt.

      kann das effektiv sein? überzeufgen? mitreißen?

      ich verweise an dieser stelle ja immer gern auf meine hier auch mit etlichen rezis gefeaturten lieblinge strom & wasser.

      der heinz von s & W trifft auf die antifaschistzische 12, aber eben mit all jener qualität in sarkasmus, zuspitzung und poesie, die wecker nicht vollbringt. funny van dannen kann das auch sehr gut. diese leute überraschen, statt zu langweilen und wirken nicht so von sich selbst berauscht wie der wecker. söllner kann das auch an guten tagen.

    • Vor 6 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 6 Jahren

      Bei der Übersetzung von "Cool" bin ich dann wohl beim Anwalt. Allerdings nicht mit meiner Geisteshaltung!

      Um antifaschistisch drauf zu sein, brauch es keine besondere Geisteshaltung, hab damals gute Geschichtslehrer gehabt und dann halt weiter meine Schlüsse gezogen aus dem was in DE passierte. Alles was auch nur in den Verdacht kam, irgendwie mit brauner Suppe ein Bündniss oder ähnliches ein zu gehen, hab ich strikt ausgeschlossen aus meinem bescheidenem Leben.

      Deshalb erlaube ich mir bei der Leidenschaft Musik hören, eine gewisse Schnodrigkeit, in manchen Antworten.

      Was mir allerdings gerade auffällt, so Fadenhüpferei find ich verdammt uncool, querlesen geht ja noch, das andere ist dann wohl ein Mangel an Argumenten und dient der Ablenkung! Also auf den Anwalt geh ich dann noch gesondert ein.

    • Vor 6 Jahren

      Gut, dann formuliere ich noch mal um, vielleicht kann ich meinen "Punkt" dann besser "rüberbringen".
      Erst einmal Zustimmung zu den anwaltlichen Ausführungen. Das vorliegende Album Weckers kenne ich nicht, allerdings durchaus einiges vergangener Tage, und ich kann den Vorwurf an KW, dass er im Duktus des Rechthabers unfrische und moralinsaure Auffassungen vertritt, durchaus nachvollziehen und teile ihn mitunter auch. Das ist auf jeden Fall nicht "cool".
      Ich finde es allerdings schon sehr "cool" i.e.S., wenn man an eigenen Überzeugungen und künstlerischen Zielsetzungen unbeirrt von medialer Aufregung oder der von der Zielgruppe vermeintlich oder tatsächlich geforderten zeitgeistigen Kurskorrektur festhält, sich nicht irre machen lässt. Hm... also zusammengefasst ist Wecker auf uncoole Weise cool. Und was angestaubt ist oder nicht, definiert ja oft nur die Intervalllänge der Retrowellen. So schnell wird er wohl nicht auf coole Art cool werden, aber leider ist der Faschismus ja gerade wieder retromäßig angesagt. Ich find's daher gut, wenn wir der braunen Scheiße nicht nur "Strom und Wasser" abstellen, sondern ihr auch ordentlich auf den "Wecker" gehen. Doppelt hält besser (vor).

    • Vor 6 Jahren

      ja, ist was dran. kw ist als typ sicherlich cool. enerseits war der ja nie als kind von traurigkeit bekannt und erwies sich dem sex and drugs and rocknroll-gedanken ja als durchaus würdig. zum anderen ist es ihm erkennbar völlig latte, was meien und kritiker über sene tracks schreiben. der riht total in sich. ich vermute, der macht als typ mehr spaßals etliche seiner platten.

    • Vor 6 Jahren

      meine lieblingsplatte von ihm. 40 jahre alt und viel frischer als viele der späteren sachen
      https://www.amazon.de/Die-sadopoetischen-G…

    • Vor 6 Jahren

      Titel ist ja schon mal gut! :)
      Werde in die CD reinhören...

  • Vor 6 Jahren

    Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

  • Vor 6 Jahren

    "für solidarische zehn Euro erhältlich ist, "

    ja... denn ein free download wäre natürlich kapitalistische kackscheisze in reinkultur

  • Vor 6 Jahren

    "In Kaltland..."
    Ey, cool, ey. Echt woke und so.