laut.de-Kritik

Im Labyrinth führt kein Weg geradeaus.

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Diese Briten! Offenbar proben sie schon einmal die Abspaltung von der Europäischen Union. Labrinth jedenfalls brauchte für den Sprung über den Kanal ganz schön lange: Auf der Insel erschien "Electronic Earth" bereits im Frühjahr 2012 - und auch da hatten einige der darauf versammelten Singles schon beinahe Staub angesetzt.

Jetzt, 2013, dürfen wir also endlich ebenfalls ganz offiziell beäugen, was Großbritannien vor zwei Jahren für den neuesten heißen Scheiß hielt. Eins muss man Labrinth lassen: Seine unorthodoxe Mischung aus Pop, R'n'B und Electronica, verziert mit winzigen Dosen Grime, sticht noch immer aus dem Einheitsbrei heraus, mit dem - gemeinhin unter dem Etikett "Urban" - unkritisches Konsumvolk abgespeist werden soll.

Die stellenweise arg nervigen Synthies mögen nicht jedermanns Sache sein. Nicht jeder steht auf grellen, pixeligen 8-bit-Sound, wie er durch "Earthquake" oder "Sweet Riot" daddelt. Mit meiner Aversion gegen überstrapaziertes Effekt-Gedöns auf dem Gesang steh' ich bestimmt auch nicht ganz alleine da. Hoffe ich. Trotzdem: Um die grauenerregende Absehbarkeit, die derlei Musik viel zu häufig die Seele raubt, schlägt Labrinth einen weiten Bogen.

Seine Tracks leben von den unerwarteten Wendungen und versteckten Abzweigungen, von den Geheimgängen, Hintertürchen und Schlupflöchern, die er allüberall einbaut. "Come, follow me", lockt "Climb On Board". Kaum an Deck, stößt Labrinth seine Hörer aus der anfänglichen Hektik in ein weiches, wattiges Wolkenmeer. Ruhige und hektische Passagen stehen unmittelbar nebeneinander und wirken im direkten Kontrast jeweils noch stärker.

Mitten in einem flackernden Dancefloor-Beat packt Labrinth eine Passage schier mönchisch anmutenden Gesangs, ehe Rap-Kollege Tinie Tempah wieder Zug nach vorne herein bringt. Fanfaren blitzen auf, nur um, kaum bemerkt, schon wieder verschwunden zu sein. Pumpende Synthies grüßen in "Last Time" oder "Treatment" aus den 80ern. Der dunkle Anstrich der Beats torpediert aber zugleich jedes eventuell aufkommende nostalgische Retro-Gefühl.

A-Capella-Parts und Fingerschnippen platziert Labrinth zwischen superfunky Gitarrenparts und zerrt das olle "Express Yourself" mühelos in die Grime-Ecke. Ebenso frech reißt "Sundown" Joni Mitchells "Big Yellow Taxi" aus dem gewohnten Kontext. Labrinth lässt sich seine Tracks erst hierhin, dann dahin schlängeln, bis sie sich doch jeder Erwartung entwunden haben und am Ende ganz anderswo landen.

Im Duett mit Emeli Sandé stimmt Labrinth in "Beneath Your Beautiful" ein Duett an, das sich mit Streichern, Klavier und Gesang gar nicht klassischer hätte inszenieren lassen - so scheint es zunächst. Wenn hier aber der dicke Bass dazwischenquakt und den Balladen-Standard aufbricht, steht es einem wieder überdeutlich vor Augen: In Labrinths Labyrinth führt kein Weg geradeaus.

Trackliste

  1. 1. Climb On Board
  2. 2. Earthquake feat. Tinie Tempah
  3. 3. Last Time
  4. 4. Treatment
  5. 5. Express Yourself
  6. 6. Let The Sun Shine
  7. 7. Beneath Your Beautiful feat. Emeli Sandé
  8. 8. Sundown
  9. 9. Sweet Riot
  10. 10. Vultures

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