laut.de-Kritik
Neu-Berliner an der Schnittstelle zum auditiven Wahnsinn.
Review von Matthias MantheDie Liars. Neu-Berliner Ex-New-Yorker an der Schnittstelle zum auditiven Wahnsinn. Drei Grenzgänger zwischen Musik und Atonalität. Keine aufgesetzte Abseitigkeit aus Lust am Auffallen, kein überflüssiges Makeup. Dafür: unbedingte Konzeptionalität und beständiger Wechsel. Auf dem Debütantenball tanzte man noch im ganz eigenen Takt zum Dancepunk, mit dem Zweitwerk zogen Angus Andrew, Aaron Hemphill und Julian Gross auf den Harzer Brocken und feierten die Walpurgisnacht.
"Drum's Not Dead" offenbart, dass der Hexensabbat-Wahnsinn mehr als nur ein experimenteller Ausflug war. Und Methode hat. Inhaltliche Arbeitshypothese des dritten Albums: das Yin und Yang von Zuversicht und Selbstzweifel. Die fiktiven Charaktere Drum und Mount Heart Attack verkörpern diese gegensätzlichen und ohne einander undenkbaren Seinszustände. Sie führen durch eine Welt stoischer Rhythmen, in deren Licht der Vorgänger einem botanischen Garten gleichkommt.
Ein Großteil der fragmentarischen Songs, vervollständigt durch 36 Videoclips, wird auf das titelgebende Schlagzeug reduziert. Oft sind es wie in "Drum And The Uncomfortable Can" gleich zwei Drumkits, die durch diverse Effektgeräte gejagt und auf die Hörgewohnheiten loslassen werden. Martialische Dissonanzen knabbern dort am Nerv, während Frontkauz Andrew apokalyptische Verse herunterbetet. Der perfekte Aufpeitsch-Soundtrack zur Untermalung eines Massenselbstmords.
Der perkussive Zauberreigen "A Visit From Drum" hingegen steigt fernab jeglicher Zivilisation. Im tiefsten Dschungel treiben Trommeln, Schamanengesang und Didgeridoo ein Opferlamm zum Vulkanschlund. Das direkt dem Unterbewusstsein entsprungene Akustikzwischenspiel "You, Drum" stellt wiederum einen der wenigen Momente, in dem anstelle der Schlagwerk- die Saitenfraktion in Flammen steht. Auch der technoide Stampfer "It Fit When I Was A Kid", in dem eine Orgel den monotonen Wolkenhimmel für kinderchorale Melancholie öffnet, tanzt aus der Reihe.
Eine ungewöhnlich nachdenkliche Seite der ehemaligen Kunsthochschüler, die mit dem Schlussstück zusätzliches Gewicht erhält. "The Other Side Of Mt. Heart Attack" ist ihre bis dato hymnischste Geburt und bricht mit dem maximalen Minimalismus des vorhergegangenen, wenn ein schleppendes Klavier zur Versöhnung lädt. Ein weiterer Hakenschlag in der Biografie der Avantgardisten. Nicht umsonst zeigt deren Myspace-Präsenz unter der Rubrik "Genre" nur ein ratloses "Other/Other/Other". Liarscher Wahnsinn eben.
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