laut.de-Kritik

Ganz hinreißend, dieser, äh, New No Rave?

Review von

Was einem zuallererst wieder ins sprichwörtliche Gesicht springt: das unumstößliche Ichbewusstsein. Liars verhandelten noch nie mit Außenstehenden über Songpassagen oder Instrumentierung, machten keine Zugeständnisse ans allgegenwärtige Diktum vom Pop. Auch heuer nicht. Man weiß eben, dass man kann, was man kann.

Nachdem dieses künstlerische Selbstverständnis zuletzt minimalistische Kakophonien aus der hell of two drumkits hervorbrachte, kehrt die Berlin-L.A.-Connection nun mit ihrem Grey Album zurück. Die Rezeptorenseite sollte wiederum gut damit leben können, denn wie bei einer selftitled nahe liegt, fischen Angus, Aaron und Julian nur das Beste aus der Ursuppe ihrer Leidenschaft für repetitive Rhythmen und fremdartige Soundtexturen.

Erstmals ohne Konzeptgedanken schrieben sie, durch den Ozean voneinander getrennt, an Stücken, die auf einer "emotionaleren Ebene" funktionieren sollen als die sehr kopflastigen Vorwerke. Tatsächlich lässt uns "Liars" aufgrund der bewusst unanalytischen Arbeitsweise sehr viel näher ran an seine Protagonisten. Dancepunks der ersten Stunde kommen direkt vorneweg auf ihre Kosten, wenn Angus auf gleißenden No-Wave-Gitarren den Hysteriker gibt. Zu psychomotorischen Stimulanz "Houseclouds" darf dann gern das Goldkettchen rausgeholt und im Takt der 80s-Beatbox gegroovt werden. Straight wie Autobahnabschnitt das.

Demgegenüber stehen abermalige Einladungen zum Hexensabbath wie "Leather Prowler" bzw. "What Would They Know". Und "The Dumb In The Rain" dröhnt drauflos, als wäre noch 2006 in Liarsland. Vertrauen gerechtfertigt, alle glücklich gemacht. Aber die Avantgardos wären sich selbst nicht genug, hätten sie nicht noch Ungekanntes in der Frischetheke. An "Sailing To Byzantium" etwa ist Angus' Falsettgesang nicht einmal das Überraschendste: In bester Pink Floyd-Manier hockt Aaron hier über der Moog-Orgel und schiebt psychedelische Trips.

Aus der Transzendenz zurück auf Mutter Erde holt der unwiderstehliche Riff-Reigen "Cycle Time", während die Folgenummer zu gleichen Teilen Ramones und Raveonettes predigt. Ganz hinreißend, dieser, äh, New No Rave? "Als wir mit der Band anfingen, war sie für uns Ausdrucksform", heißt es. "Jetzt kommt es uns so vor, als würden wir langsam die Kontrolle über dieses Medium übernehmen." Wo darf ich unterschreiben?

Trackliste

  1. 1. Plaster Casts Of Everything
  2. 2. Houseclouds
  3. 3. Leather Prowler
  4. 4. Sailing To Byzantium
  5. 5. What Would They Know
  6. 6. Cycle Time
  7. 7. Freak Out
  8. 8. Pure Unevil
  9. 9. Clear Island
  10. 10. The Dumb In The Rain
  11. 11. Protection

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