laut.de-Kritik
Gefühlsvoll, emotionsgeladen und kraftvoll-rockend
Review von Gurly SchmidtNach dem Superseller "Throwing Copper" 1994 und dem weniger erfolgreichen "Secret Samadhi" 1997 stellen LIVE aus York, Pennsylvania ihr viertes Album "The Distance to Here" vor.
Dem bewährten Rezept 'Leise-Crescendo-Laut' (was Carl Douglas sogar zu einer Parodie von "I Alone" verleitet hat) folgend, gestalten sich die 13 Songs als ein Album, das gefühlsvoll, emotionsgeladen und kraftvoll-rockend als ein Ganzes ohne Betätigen der "Weiter-Taste" genossen werden kann. Dass Jerry Harrisson, der Ex-Talking Heads Gitarrist und Produzent von u.a. auch den Crashtest Dummies, nach dem Versuch der Band, Secret Samadhi alleine zu produzieren, wieder die Produktionsfäden in der Hand hat, ist deutlich zu hören am Arrangement, den vielen kleinen Farbtönen, die das Ganze abrunden, und nicht zuletzt am Harrison-typischen durchgängigen Hi-Hat "tztztz".
Herausragend ist, wie schon bei den vorangegangenen LIVE-Alben, die fantastisch warme aber durchaus auch betörend durchdringliche Stimme des Sängers Edward Kowalczyk, allerdings scheint er diese auf "The Distance to Here" noch verfeinert zu haben: Sein Stimmvolumen hat sich augenscheinlich vergrößert - vom tiefen Bass zu schwindelnden Kopfstimmenhöhen ist alles dabei, und das überzeugt.
Die erste Singleauskopplung "The Dolphin's Cry" [RealAudio-Hörprobe] ist als solche weise gewählt, erinnert an "I Alone" aus "Throwing Copper", kommt aber m.E. nicht ganz daran ran. In Kombination allerdings mit dem zugehörigen brillianten Videoclip ist "The Dolphin's Cry" ein bombastisches Einstiegsportal für das Album an sich und LIVE's zukünftiger Wichtigkeit in der Musikwelt. Besonders gut gelungen sind die variierten Drumbreaks im Laufe des Songs, die die Energiesteigerung bis zum Ende der 4 Minuten 20 perfektionieren.
Der zweite Song "The Distance" ist ein rundweg fröhlicher Song, ziemlich herausragend vom Rest und eigentlich recht LIVE-untypisch. Doch genau dieser Song ist es, der die Stimmpalette Edwards imposant unter Beweis stellt und die Weiterentwicklung der Band widerspiegelt, ohne die die Band klingen würde, als versuche sie krampfhaft an den alten Erfolgen von "Throwing Copper" festzuhalten.
Und genau an diese alten Tage erinnern der dritte Track "Sparkle" und der fünfte "Sun". Zu empfehlen wäre hier, diese Songs nicht im blechernen Autoradio zu hören (da nervt es einfach nur), sondern die Klangqualität einer guten Anlage zu Rate zu ziehen. Schade ist allerdings, dass sich die Band für die rockigere Version von "Sun" entschieden hat: Die 3-Track Single von "The Dolphin's Cry" enthält die Loop-Version von "Sun" und die ist um Längen besser. Das zeugt von wenig Experimentierfreudigkeit und der Ausrichtung an (alten) Erwartungen der Fans.
"Voodoo Lady" hat auch Hit-Eigenschaften, winzige Kleinigkeiten im Hintergrund (ungewohnt geheimnisvolle Bass-Klangfarben mit Synthie-Rhythmus-Geräuschen) verleihen dem Lied tatsächlich einen einzigartigen Voodoo-Charakter. Auch hier führt das Neben-, Auf- und Nacheinander von Sanft-Leise und Donnernd-Laut zu der von LIVE so bekannten Spannungsentwicklung, die von LIVE-Fans ab und an als "Eargasmus" bezeichnet wird.
Leider, und das muss einschränkend bemerkt werden, bewegen sich die Melodien zeitweise hart an der Grenze zur Schmalzigkeit ("Run to the Water", "The Children's Song: das "Schalalalalalala" hätten sie sich wirklich sparen können und "Dance With You"), was dazu führt, dass ich hier einen Punkt abziehen muss.
Generell aber beweist "The Distance to Here", dass LIVE, trotz des bescheuertsten Bandnamens der Welt, nicht nur eine grosse Band ist, sondern Jerry Harrisson wirklich ein Produzierhändchen hat, was das Hören des Albums zu einem grossartigen Genuss werden lässt.
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