laut.de-Kritik
Intimer Live-Mitschnitt aus Los Angeles.
Review von Joachim GaugerDer Anfang gerät vielleicht etwas zu altväterlich. Lou Reed gibt dem scheinbar recht jungen und schon bei den ersten Takten mitklatschenden Publikum von Los Angeles auf herablassend humorvolle Weise ein paar väterliche Belehrungen mit, was dieses mit einigen "Buh"-Rufen quittiert. Ein recht ungewöhnlicher Beginn für eine Live-CD, der den ja zunächst unbeteiligten CD-Hörer aber unmittelbar ins Geschehen zieht.
Überhaupt setzt Lou Reed von Anfang an auf Kommunikation mit seinen Zuhörern; den Opener "Small Town" nutzt er gleich, um eine lautstarke Abstimmung über die wahre 'Größe' ihrer Heimatstadt zu inszenieren. Reeds Ansagen mögen sich während der Tour des Jahres 2003 des öfteren wiederholt haben - sie wirken immer wieder auf's Neue, genau wie dieses tolle Stück vom "Songs For Drella"-Album.
Mit der Livescheibe "Rock'n'Roll Animal" begründete Lou Reed vor gut 30 Jahren seinen Ruf als begnadeter, sich nicht schonender Rock'n'Roller. Seither hat er manchen Konzert-Mitschnitt veröffentlicht, doch keiner brach so deutlich mit dem alten Image. Die aktuelle Live-Aufzeichnung trägt das Tier noch im Titel, die Betonung aber liegt auf "Serenade" (Ständchen, Nachtmusik). Nicht mal einen richtigen Schlagzeuger hatte der ehemalige Velvet Underground-Fronter bei dieser Tour dabei, wenn auch Fernando Saunders, Multiinstrumentalist und einer von mehreren langjährigen Begleitern Reeds, die Roland Drums natürlich mehr als passabel bedient, z.B. in "How Do You Think It Feels" vom 73er Album "Berlin".
"How Do You Think It Feels" ist außer "Heroin" der einzige Song, der auch auf der "Rock'n'Roll Animal" enthalten war. Nach diesem kleinen, schmutzigen Intermezzo schalten Reed und seine famose Band wieder zwei Gänge runter, bevor CD 1 mit dem VU-Song "Venus in Furs" und einem aberwitzigen Cello-Gewitter zuende geht.
So unterschiedlich sind eben die Geschmäcker: mir persönlich schicken Jane Scarpantoni und ihr Cello einen wohligen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Der durchaus renommierte britische Observer meint dagegen, die 10-minütige Saiten-"Nudelei" treibe dem Song alles Leben aus. Überhaupt sei der pompöse, aufgeblasene Lou Reed unerträglich und habe deshalb die schlechtest-mögliche Note für sein Album verdient.
Gefallen finden dürften die kritischen Briten demnach am ehesten an "Dirty Blvd" vom "New York"-Album, mit dem Reed den zweiten Teil des Konzertes eröffnet. Hier begnügt er sich einmal ganz sparsam mit den einfachen Zutaten des Rock'n'Roll, hier braucht es keine Soli, sondern nur Strophe und Refrain.
Auch in "Sunday Morning" und Velvet Undergrounds "All Tomorrow's Parties" dominieren noch die Gitarren, bevor es mit zwei Stücken von "The Raven" schwermütig und verhalten weiter geht. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang vor allem, wie bereitwillig das Publikum die im Rahmen eines Rock-Konzertes doch etwas zäh wirkende Rezitation von "The Raven" annimmt. Das muss wohl was damit zu tun haben, dass Reed das Gedicht mit dem nötigen Augenzwinkern ankündigt und vorträgt.
Danach schlägt die große Stunde von Antony. In "Set The Twilight Reeling" gibt er eine großartige Zweitstimme, den VU-Klassiker "Candy Says" singt er gar alleine. Auch hier gilt wieder: diese Stimme muss man mögen. Mit seinem stark vibrierenden Falsett färbt der klassisch ausgebildete Sänger die Stücke völlig neu ein. Wer will, kann da angestrengtes Kunstwollen vermuten, dem Publikum in Los Angeles scheint es zu gefallen. Jedenfalls kann am Schluss kein Zweifel mehr sein: die Leute rufen nicht "Buh", sondern "Louuu" und "Juchhuuuu".
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