laut.de-Kritik
Hey Babe, take a walk on the wild side ...
Review von Giuliano BenassiWenn ein Quertreiber, Ewignörgler und Perfektionist wie Lou Reed ein Best Of-Album heraus bringt, kann es sich nur um etwas Besonderes handeln. Den Januar dieses Jahres verbrachte er nach eigenen Angaben im Studio, um altes Material zu hören und neu abzumischen. Auf zwei restlos gefüllte CDs hat er 31 Liedern gepackt, zu denen er im Booklet einzeln Stellung nimmt. An der Qualität des Produktes besteht also kein Zweifel.
An seiner Musik sowieso nicht. Gute 35 Jahre dauert nun sein Leben in der Öffentlichkeit. Die Rolle des schnörkellosen Beschreibers des New Yorker Daseins bei durchaus anstößiger Themenauswahl sitzt nach wie vor maßgeschneidert an seinem dürren und ausgemerkelten Leibe. Auch wenn die berühmten Stücke aus Velvet Underground-Zeiten oder die Hits aus dem "Transformer"-Album gebührend vertreten sind – ein einfacher Hörgenuss ist "NYC Man" keinesfalls.
So geht es nach einem Stück aus seinem neuesten Album "The Raven" gleich mit Altbekanntem los. "Sweet Jane" oder "I'm Waiting For The Man" – wer kennt das nicht? Reeds Vorgehensweise, die Auswahl nicht chronologisch zu ordnen, kommt dabei weniger verdaulichem Material zu Gute, das er dazwischen eingebaut hat. Das dreiteilige Porträt "Street Hassle", zum Beispiel, bei dessen Aufnahmen 1978 Bruce Springsteen einen Monolog vorlas, oder das explizite "Kill Your Sons". Davor der nazigetränkte Anfang von "Berlin" und das haarsträubende Kinderweinen am Ende von "The Kids". Wenig später ist die Welt mit einer 98er Liveversion des romantischen "I'll Be Your Mirror" wieder in Ordnung. Das abschließende "Ecstasy" aus dem Jahr 2000 beweist, dass Reed der Saft und die Riffs noch immer nicht ausgegangen sind.
Drogen und zwielichtige Gestalten irrlichtern auch durch die zweite CD. Straßenkampf mit "I Wanna Be Black", Spritzen, Blut und Schläge mit "Temporary Thing", den von Williams Burroughs inspirierten "The Last Shot", "Dirty Boulevard" und natürlich "Heroin", letzteres nicht in der Originalversion, sondern in einer minimalistisch abgefuckten Livefassung von 1984. Liebe und Gewalt leben nebeneinander, und so schleicht sich der Mords-Song "Sally Can't Dance" zwischen die schon fast schnulzigen "Perfect Day" und "Satellite of Love". Dass selbst Reed ein Licht, wenn auch ein trauriges, am Ende des Tunnels sieht, beweist die Wahl von "Pale Blue Eyes" als Abschlusslied.
Zwei Dinge führt der New Yorker mit diesem Album vor: erstens, dass er viel gute Musik geschrieben hat und wohl in der Lage ist, noch mehr davon aus seiner Gitarre hervor zu holen. Zweitens, dass er mittlerweile Sinn für Humor entwickelt hat. Wie er im Booklet schreibt: "Jede Band kann meine Musik spielen. Das mag ich an meinen Liedern. Selbst ein Mensch mit dem Intelligenzquotienten einer Schildkröte kann ein Lou Reed-Song spielen. Das liebe ich am Rock'n'Roll. Drei Akkorde sind für mich genug. Ich will keine neuen lernen, sondern diese drei perfekt beherrschen". Dass er dies kann, hat er während seiner gesamten Karriere und mit "NYC Man" ohne Zweifel bewiesen.
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