laut.de-Kritik

Rhythm'n'Rhyme gegen Ängste und Melancholie.

Review von

Loyle Carners Album heißt zwar "Hopefully!", zeichnet sich aber durch Schwermut und Müdigkeit aus. Der Longplayer verdient in seiner Stringenz und mit dem Flow der kleinen tagebuchartigen Stories das Prädikat 'Konzeptalbum', wie auch schon "Hugo" mit seinem gesellschaftlichen Awareness-Inhalt. Gleichzeitig verdrahtet Carner den tristen Alltag mit Drum'n'Bass-geschwängertem Club-Feeling, siehe "All I Need", und legt insgesamt ein ausgesprochen abwechslungsreiches Werk vor, während seine Tracks auf sensible und clevere Weise aufeinander abgestimmt sind.

Hört man einen Tune, lauscht man im nächsten Moment schnell wie 'automatisch' einem weiteren und lässt sich mühelos ins ganze Werk hineinziehen. In "Lyin'" vertont das Zupfen der Akustikgitarre die Hoffnung, um aus "dark days" heraus zu finden - "scared" und "frightened" mit "fear in my belly" und "more stress (...) the pressure that ya feel", ins Sofa gekauert, "behind bedroom doors". "Lyin'" springt als Key Track aus den ganzen Songs heraus, öffnet in schonungsloser Ehrlichkeit den Blick in einen Kopf hinein und in eine Familien-Konstellation, wo man "nach Liebe nie fragte". Schon "Yesterday's Gone" arbeitete sich am Thema Patchwork-Familie ab - Loyles biologischer Vater interessierte sich nie für ihn, der Stiefvater starb überraschend, Loyle selbst wurde 2024 zum zweiten Male Papa.

Was teils nach depressiver Episode, Trauer und Angststörung klingt, kontrastiert Carner mit der eindrucksvollen Beschreibung innerer Spannung und Auflösung der Probleme. So erscheint auf einmal Licht am Ende des Tunnels: "The sky looks bright in the middle of da night, when it all feels silent (...) patient, hoping." - Das lyrische Ich räumt ein, lange nicht die Skills gehabt zu haben, um mit negativen Gefühlen umzugehen. Während "Lyin'" perkussiv das Gefilde von Robert Glasper, gesanglich das von D'Angelo und Maxwell durchmisst, werden manche Tracks im Vortrag mehr dem Metier des Hip Hoppers gerecht und entblättern super transparent ihre zusammengesetzte Machart: Den Hybrid aus einem üppigen, organischen Sound und einem einsamen Antiheld-Erzähler mittendrin.

Die Sprache ist sowieso Premium - einfach verständlich, aber auch perfekt geschliffen ohne glitschig-glatt zu werden. Im Verlauf von "Don't Fix It ft. Nick Hakim" dichtet der 30-jährige Londoner zahlreiche Alliterationen ("patterns in the past (...) paint a picture" usw.) und Hyperbeln, lässt Allegorien vom Stapel ("I touched the sun") und verschmilzt sie mit ein bisschen Romantik: "Sweet kisses on my cheek". Es handelt sich um eine bräsige Ballade, Neo-Soul mit massiv schwerem Schlurf-Bass. Mit Gast Nick Hakim zeigt sich ein US-Indie-Storyteller an Bord.

Immer wieder scheint durch die Elektronik-affine Verpackung das Skelettartige der Nummern durch: Loyle ist im Grunde ein Singer/Songwriter, kommt irgendwie als ein Folkie herüber, der sich in den Zeilensprüngen des Rap am meisten zuhause fühlt. Dort, wo er schauspielerischen, lebendigen Vortrag, auch mal ein Lachen, einen Effekt, eine High-Speed-gepitchte oder Kinderstimme einbaut wie in "About Time", dort macht er es sich zunutze, dass er seinen fertigen Text in der Vortragsweise freestylen kann, gleichwohl er vom Typus her nicht der klassische Freestyle-Spitter ist. Aber zugegeben, live ist er auch darum nicht verlegen.

Eine ganze Reihe von Stücken spielt den early-Jorja-Smith-Trick des Downtempo-Folk auf Offbeat aus, also einer ruhigen Neo-Soul-Atmosphäre mit einerseits viel Introspektion, andererseits Wumms. (Mit Jorja hatte Loyle selber schon auf "Not Waving, But Drowning" gearbeitet, die Ähnlichkeit dürfte kein Zufall sein.) "I'm looking for a peace of mind (...) but the feelings do not quiet I'm tired of feeling shit", so lauten die Worte dazu in der aufschlussreichen ersten Strophe von "All I Need".

Beim Titelstück "Hopefully ft. Benjamin Zephaniah" würdigt Loyle Carner einen politischen Dub-Poeten und tiefgründigen antirassistischen Lyriker mit prophetenhafter Stimme eines alten Weisen, der dieser Gast immer war - zumindest als Tonspur ist Benjamin Zephaniah eingebaut. An den Folgen eines Gehirntumors starb die Legende im Dezember 2024 innerhalb weniger Wochen nach der Diagnose. Zephaniahs Stimme und seine Haltung sind ein Vermächtnis der europäischen Variante von Dub - seine Eltern kamen einst aus den Kolonien Barbados und Jamaika nach England. Im rauschenden Schnipsel klagt er Wohnungsnot und Armut an, "uprising is about to come / the youths have feelings and emotions (...) so now I use my pen, to bring out my anger." - In London aufgewachsen, reichen die familiären Wurzeln auch bei Loyle Carner in die Karibik zurück, nach Guyana, einem lateinamerikanischen Land mit Karibikküste. Es scheint folgerichtig, dass er mit diesem altehrwürdigen Gast subtil, zwischen den Zeilen, die Brücke dorthin schlägt.

Vergleichsweise im Privaten wurzeln dagegen das Trennungslied "Don't Fix It ft. Nick Hakim" und auch die meisten anderen Stücke, doch wer kaum ein bezahlbares Nest zum Wohnen findet, für den spiegelt sich das Politische in der privaten Misere. Doch den Songs gelingt es sanft zu bleiben statt wütend. Das zarte und melodiöse "Strangers" beeindruckt bei ausschweifender Melancholie mit einem niedlichen Kammermusik-Ansatz. Der Vintage-Modus hier ist teilweise der DIY-Ästhetik von Magnetband-Aufnahmen aus der heimischen Küche entlehnt. Für Glitzer-Sound bleibt indes genügend Platz: "In My Mind" etwa lässt Schlagzeug und Bässe so satt in Raumklang erstrahlen, dass man mit Kopfhörern meint, die Band stünde gerade neben einem. Der Inhalt ist hier so substanziell wie die Form und von zeitloser Schönheit.

Trackliste

  1. 1. Feel At Home
  2. 2. In My Mind
  3. 3. All I Need
  4. 4. Lyin'
  5. 5. Time To Go
  6. 6. Horcrux
  7. 7. Strangers
  8. 8. Hopefully ft. Benjamin Zephaniah
  9. 9. Purpose ft. Navy Blue
  10. 10. Don't Fix It ft. Nick Hakim
  11. 11. About Time

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