laut.de-Kritik
Ein Blick ins Erinnerungsalbum.
Review von Dani Fromm"Yesterday's Gone" fühlt sich an, wie ein Erinnerungsalbum. So eins, in dem das Familienfoto neben der Eintrittskarte vom ersten Konzert klebt, und man nach dem Umblättern auf die aus der Zeitung ausgeschnittene Todesanzeige eines Verwandten stößt.
Das Buch ging sichtlich durch viele Hände, oder wieder und wieder durch die gleichen. Die Bindung beginnt bereits zu zerfleddern, ein Abdruck des achtlos abgestellten Kaffeebechers verunziert eine Seite. Das Schöne, das Schmerzhafte, das Hässliche und das Ungeplante: Alles gehört zum Gesamtbild und macht das Banale persönlich.
Loyle Carner collagiert entsprechend wüst. Er stellt Tracks, in denen er über die kaum existente Beziehung zu seinem biologischen Vater sinniert, neben ein a-Cappella vorgetragenes Gedicht übers Textmitteilungen-Verschicken aus nächtlicher Einsamkeit heraus. Die ermüdende Suche nach seinem seelenverwandten Gegenstück treibt ihn um, aber auch Gedankenspiele über die kleine Schwester, die er gern gehabt hätte, oder die Probleme, die sich auftun, wenn eine Leidenschaft zum Broterwerb wird.
Dazwischen ergeht er sich gemeinsam mit seinem alten Wegbegleiter Rebel Kleff, der ihm neben einigen Beats auch ab und an einen freundschaftlichen Rat unterschieben darf ("Stop tryna be the fuckin' good Samaritan all the time.") in Erinnerungen an früher und suhlt sich zu den schrappenden Gitarrenklängen von "No CD" in Musik-Nerdyness. Die zeigt sich auch in "No Worries", in dem zusätzlich noch Jehst mitmischt: In ein- und derselben Zeile Muhammad Ali und Kendrick Lamar zu zitieren, das muss man erst einmal hinbekommen.
"Sittin' with my bro Kleff listening to Mos Def": Dass diese beiden eine ganze Menge Mos Def gehört haben, hätten sie eigentlich gar nicht extra erwähnen müssen. Man merkt es auch so.
Snippets wie "Rebel 101" oder "Swear" mag man überflüssig finden. Sie unterstreichen allerdings deutlich den vielen Tracks eigenen entspannten Probenraum- oder Jam Session-Vibe. Obwohl raffiniert konstruierte Ergebnisse herauskommen, scheint es doch so, als entwickelten sich die Stücke ganz von alleine, als keimten sie organisch, ohne großes Zutun. Darin, etwas leicht aussehen zu lassen, steckt oft die größte Schwierigkeit.
Heimelig knistert gleich in den ersten Takten von "The Isle Of Arran" die Nadel übers Vinyl. Chöre verströmen souliges Gospel-Gefühl, verleihen der ganzen Szenerie etwas Sakrales. Der Bass erdet den erhabenen Vielklang aus Stimmen, Handclaps und Klavier. Ohne den Zauber zu brechen, schafft Loyle Carner mit seinem gelassenen Flow, noch dazu British as fuck, Platz, um sein Innerstes nach außen zu stülpen.
Seine radikal persönliche Herangehensweise liefert den roten Faden, an dem entlang die Worte den Weg direkt in die Herzen seiner Zuhörerschaft finden. Zusammen mit dem Coverartwork spricht all das eine eindeutige Sprache: "It's a family affair." Kein Wunder, posiert Loyle Carner da im Kreise seiner Lieben samt Ball und Hund. Kein Wunder, huldigt er nicht nur "Mrs C", sondern setzt mit "Sun Of Jean" darüber hinaus seiner Mutter ein Denkmal, wie es Tupac Shakur mit "Dear Mama" nicht liebevoller hat meißeln können.
Mum revanchiert sich mit einer gesprochenen Liebeserklärung an ihren gewiss nicht immer unkomplizierten Sprössling, die vollends alle Schleusen aufreißt: "Aye, we supportet Nas", so Loyle Carner zu Beginn. "Whose world is this? Bruv, of course, it's ours." Mama Jean greift diesen Faden am Ende wieder auf: "The world is his." Awww!
So rührselig, wie man jetzt glauben könnte, klingt es aber gar nicht. Die angenehmen, molligen, leise Jazz-infizierten Beats durchzieht zwar über weite Strecken erhebliche Melancholie. Doch lässt Loyle Carner auch immer wieder die Sonne durch die graue Wolkendecke blitzen. Den unerwarteten Tod seines Stiefvaters thematisierte Loyle Carner bereits auf seiner Debüt-EP. Die Trauer bleibt auf "Yesterday's Gone" zwar präsent, noch ist nicht genug Zeit verstrichen, um die Wunde zu heilen. Sie blutet allerdings auch nicht mehr ununterbrochen.
3 Kommentare mit 3 Antworten
Hören sie dieses Album. Es ist sehr gut!
Wer macht Migos?
Wow, Danke Mr. Fromm!
Nix gegen die Review, aber die Empfehlung vom Gabelschmitz und die verlinkten Videos haben schon ausgereicht, um mich zu überzeugen. Kam zumindest heute Morgen ganz gut in der Bahn.
Genau das! Auch gestern in der Bahn gehört, iz naise, braucht aber sicher noch mehr Durchläufe und richtig ins Ohr zu gehen. Außerdem stehe ich voll auf den britischen Akzent.