laut.de-Kritik

Den eigenen Anspruch verfehlt.

Review von

Lyambiko hat eine schöne Stimme. Doch die Jazz-Interpretin griff in der Vergangenheit wiederholt zum 'falschen' Songmaterial - zumindest nicht zu solchem, das ihren ruhigen, nachdenklichen Stil und ihren vibratofreien, klaren Ausdruck gut zur Geltung brachte. Preise hagelte es dafür trotzdem ohne Ende.

Beim neuen Album "Berlin - New York" markieren die ausgewählten Songs nun eine besondere Herausforderung. Denn einige datieren in die Zeit des Nationalsozialismus und übertünchen das Lebensgefühl der bedrückenden Phase mit NS-konformer Ästhetik und locker-flockigen Texten. Zum anderen handelt es sich bei einem Teil der Titel um Jazz- und Schlager-Standards aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Zeit unmittelbar danach. Schon Größen wie Marlene Dietrich, Hildegard Knef und Zarah Leander trugen sie vor. Heraus kommt nun ein schläfriges Album, dessen gesamte Qualität so lala ist.

"After The Rain" ist das rarste Stück und entstammt dem englischen Film-Musical "We'll Meet Again" von 1943. Es handelt von einer jungen Tänzerin in London während des Zweiten Weltkriegs, die überraschend zur Sängerin wird. Das Original singt im Film die Schauspielerin Vera Lynn. Lyambiko klingt angenehm, wird von Triangeln, Cello und Holzbläserfraktion in voller Montur begleitet – ein gelungenes Stück Klassik und das beste Stück der Platte. Auch "Bei Dir War Es Immer So Schön" entstammt einem autobiographisch geprägten Film über die Musikbranche. Hildegard Knef performt den Song sehr machtvoll, während er ohne Kontext bei Lyambiko verloren wirkt.

"Happy Days Are Here Again" aus dem Krisenjahr 1929 ist der älteste Beitrag, und Barbra Streisand coverte ihn in den 60ern ruhmreich. Die Originalversion erklingt 1932 auf einem Parteitag der Demokratischen Partei in den USA, als die Delegierten Franklin Roosevelt zum Präsidentschaftskandidaten küren. Den Song kennt man in den USA als Wende-Mutmacher von der wirtschaftlichen "Depression" zu den "happy days". Anstelle glücklicher Tage zieht ein Weltkrieg herauf und endet mit einem Atombombenabwurf. Die Hornbläser-Verzierungen des WDR-Orchesters verleihen "Happy Days Are Here Again" eine vergleichsweise unpassende Leichtigkeit, gleichwohl angenehm bunte Klangfarben. Das Orchester steht im Mittelpunkt, drängt die Sängerin in den Hintergrund. Die vielschichtige historische Rolle des Songs reflektiert diese Fassung leider gar nicht. Schön klingt sie allemal.

"Das Lied Ist Aus: Frag' Nicht Warum Ich Gehe" reicht aber in der vorliegenden Fassung bei weitem nicht an Marlene Dietrich heran. Deren dunkle Tönung des Gesangs wie auch die Betonungen im Text auf "warum ich weine" oder "wir gehen auseinander" klingen bei Dietrich entschlossen, herzerweichend und markerschütternd - bei Lyambiko dagegen etwas mädchenhaft, diplomatisch und eher wie im Monolog in einem stillen Kämmerchen. Allzu seifig und kitschig glitscht der deutsche, englischsprachige Nachkriegssong "Answer Me My Love" aus den Lautsprechern. Schlager ist das keineswegs, aber etwas zu kitschig trotzdem und nur ausdrücklichen Liebhabern des Instruments Geige empfohlen. Joni Mitchell machte einmal Kunst daraus.

Den "September Song" von Brecht/Weill interpretiert E.L.O.-Mann Jeff Lynne auf seinem Solo-Album "Armchair Theatre" schwungvoller und nuancenreicher, inbrünstig und doch mit britischem Understatement. Auf "Berlin - New York" versandet der Titel in unauffälligem Lounge-Sound.

Das rundum positiv gestimmte "Sommer, Sonne und Sonnenschein" entstand bei der Deutschen Grammophon im Heraufdämmern des Zweiten Weltkriegs 1937. Der Komponist des Titels, Erhard Bauschke, hatte zuvor einen rumänischstämmigen Dirigenten als Arbeitgeber, James Kok. Ihm "entzog" das Regime die Arbeitserlaubnis. Bauschke hinterfragte die Aktion nicht öffentlich und wurde dessen Nachfolger. Die US-Armee nahm ihn 1945 in Kriegsgefangenschaft.

Nachdem den vorbelasteten Schellack-Oldie kein Interpret mehr anfasste, singt Lyambiko ihn nun ohne jede Einordnung – eine seltsame Mischung aus mutig und feige. Dieser Schritt macht das Album unsympathisch, weil die Interpretin die Zuhörer völlig alleine lässt, wenn nicht gar für dumm verkauft.

Immerhin war das Stück perfide Gute-Laune-Propaganda des Dritten Reichs: "... ja, da muss der Mensch doch glücklich sein (...) weiter brauch ich nichts auf dieser Welt / früh am Morgen schon zum Strand, braungebrannt im weißen Sand / ja, das ist die Zeit, die mir gefällt", ertönt der unveränderte Text. Die übertriebene, biedermeierliche Belanglosigkeit wischt das tatsächliche damalige Setting zur Seite. Musikalisch wird vor allem das WDR-Funkhausorchester mit schönen Streicher-Trillern und Mut zu Pausen dem Foxtrott (technisch) gerecht. Doch merkt man allzu unweigerlich, dass das Lied einst geschaffen wurde, um einer Diktatur zu gefallen.

Dass "Der Wind Hat Mir Ein Lied Erzählt" von Bruno Balz getextet wurde und dieser von der Gestapo mehrmals wegen seiner Homosexualität verhaftet wurde, wäre ebenfalls eine Anmerkung wert. Da hilft es auch nicht, dass die CD "die Widersprüche und Ambivalenzen" der 30er bis 50er Jahre zeigen wollte; sie artikuliert sie nicht, sondern tunkt alles unter denselben Zuckerguss. An dieser Stelle kann man die Platte angesäuert aus der Hand legen. Man verpasst bis zum Ende noch seichtes Easy Listening.

Trackliste

  1. 1. Die Ganze Welt Ist Himmelblau
  2. 2. After The Rain
  3. 3. Bei Dir War Es Immer So Schön
  4. 4. Happy Days Are Here Again
  5. 5. Das Lied Ist Aus: Frag' Nicht, Warum Ich Gehe
  6. 6. Answer Me My Love
  7. 7. September Song
  8. 8. Sommer, See Und Sonnenschein
  9. 9. It's Oh So Quiet
  10. 10. Der Wind Hat Mir Ein Lied Erzählt
  11. 11. Schlummerlied
  12. 12. Irgendwo Auf Der Welt

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