laut.de-Kritik
Wie eine Kate Bush, eingesperrt im chinesischen Rave-Bunker.
Review von Manuel BergerEin halbes Jahr lebte Jenny Rossander in Shanghai, eine prägende Erfahrung für die Dänin. Auf ihrem dritten Soloalbum "I Told You I'd Tell Them Our Story" äußert sich der Einfluss weniger musikalisch als in einem Grundgefühl: dem einer modernen Metropole – mit Hektik, nächtlichen Raves, zwischenmenschlichen Begegnungen und Annäherungen, Progressivität aber auch Langeweile, Erschöpfung und Einsamkeit.
Asiatische Harmonien schleichen sich zwar ein, etwa in "Dim" und "Shanghai Roar", hauptsächlich bewegt sich Lydmor stilistisch aber in westlichem Gebiet. Der "Emotional Elektro Pop", wie sie es bezeichnet, besteht zu gleichen Teilen aus Dance-Pop, Techno, modernem R'n'B, Ambient und Trap-Beats. In der Regel verschwimmen diese Elemente zu einer leicht avantgardistisch angehauchten Melange.
Oft entwickelt sich eine diffuse Poly-Atmosphäre, etwa in "Nostalgia". Lydmors poppige Gesangsmelodien wirken beruhigend, genauso der im Hintergrund sprudelnde Arpeggiator, daneben fiepen mysteriöse Sci-Fi-Sounds. Percussionschläge rattern rasend schnell und nervositätssteigernd durch den ganzen Song. Schließlich wummert noch ein lauter Bassbeat gegen den Kernrhythmus, bevor sich Easy-Listening-Harmonievocals geschmeidig darüber legen. Erinnert an eine Kate Bush, eingesperrt im chinesischen Rave-Bunker.
Doch Lydmor schichtet nicht nur, sie reduziert auch gekonnt. "Soft Islands" wabert lange träumerisch vor sich hin und fast unbemerkt flackert derweil ein hektisches Synthesizer-Pattern immer weiter nach oben. Nach etwa der Hälfte der Spielzeit isoliert sie es und verwandelt den Track so in einen ekstatischen Techno-Rise. Man wartet auf den erlösenden Drop – und bekommt am Ende friedliches Piano im Weichzeichner.
Der zentrale, sperrigste und stärkste Track des Albums heißt "Claudia", in dem sie zwischen Rap-Strophe und vollblütiger Pop-Hook hin und her springt. Leichtes Rihanna-Feeling herrscht vor. Dann rammt die Blutgrätsche ins Gebilde, ein Spoken Word-Part besorgt das Break: "BANG! He jumps in, with 40s swing music." Es folgt eine zynische Abrechnung mit Patriarchat und Sexismus, speziell im Musikbusiness – und auch mit der symbolischen 'Claudia', die sich bereitwillig ins kaputte System eingliedert. "He dances around, pointing this way and that / Until my room resembles a Parisian luxury suite / my breasts are three sizes bigger and my cereal has turned into cocaine (...) Behold Money, I am Woman! / You want Claudia / I’m not Claudia."
Die 27-Jährige zeichnet mit ihrer Musik sowohl reale, als auch träumerische, dystopische Bilder. Einfacher strukturierte Songs wie "Money Towers" und "Killing Time" bergen zweifellos Hitpotenzial. Dennoch sorgt ihr eigenwilliges Sounddesign dafür, dass sie nicht im Mainstream-Brei untergeht. Selbst wenn manche Kernmelodie eben so gut Taylor Swift interpretieren könnte.
2 Kommentare mit 3 Antworten
Noch nie gehört, aber krasses Album! Gefällt mir bereits nach einem Durchlauf erstaunlich gut. Hör eigentlich nicht unbedingt Pop, aber diese Synth-Rave-Ausrichtung ist ziemlich cool. Klingt echt, als hätte man so Mega-Metropolen mit all den verschiedenen Möglichkeiten, Tageszeiten, Neonlichtern und Grenzbereichen vertont.
Erinnert dahingehend schon wieder fast als Wilsons HCE, nur natürlich in anderem Genre.
Oi. Kannte bisher nur "Claudia", fand ich in seiner Mixtur musikalischer Elemente auf jeden Fall schonmal faszinierend genug, um gleich mal nachzuschauen, ob das hier schon besprochen wurde (wurde es). Schön, dass da jetzt noch 'ne Albumrezi folgt.
Bin mir zwar immernoch nicht sicher, ob das in Bezug auf "Claudia" wirklich auch eine rein poitive Faszination ist. Den instumentalen Unterbau finde ich auf jeden Fall cool, bei Vortrag der Vocals schwankt das noch so ein bisschn bei mir, finde ich teilweise etwas grenzwertig. Ist aber vielleicht auch Gewöhnungssache.
Rezi klingt aber gut, werde ins gesamte Album jetzt auf jeden Fall nochmal reinhören.
Fand "Claudia" insgesamt ziemlich beeindruckend, mich störte dieser leichte "Cloud-Rap-Flow-Einfluss" in der Strophe leicht. Wobei das hier sogar erstaunlich unanbiedernd gelungen ist imho..
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Mhh, ja, wenn ich mir ein bestimmtes Element rauspicken müsste, das ich nicht so gelungen finde, wäre das tatsächlich eher das "Claudiaaa" im Refrain, mag solche flachen(?) Gesangsmelodien nicht so gerne. Ansonsten könnte ich das aber jetzt gar nicht so an einem Punkt festmachen und vielleicht ist das auch eherder anfängliche "Ungewöhnlichkeitsfaktor", der dann auch irgendwann verfliegt.