laut.de-Kritik
Das "Illmatic" des Rap-Untergrunds.
Review von Dani FrommSuperhelden und Superschurken fallen nicht vom Himmel. Außergewöhnliche Charaktere entstehen seit jeher als Produkt der Umstände. So betrachtet möchte man der Schlampe Schicksal beinahe die Hand dafür küssen, dass sie Daniel Dumile so richtig eine zentriert hat. Beinahe.
Als Kind von Einwanderern aus Trinidad und Zimbabwe in England geboren und kurz danach in die USA übergesiedelt, hat er ohnehin keinen besonders leichten Start ins Leben. Als die Ehe der Eltern auseinander bricht, wird auch noch das Geld knapp. Die aufkommende Hip Hop-Bewegung spült Hoffnung nach New York. Daniel und sein jüngerer Bruder finden in der Musik nicht nur ein Ventil für ihren Unmut, sondern wittern darüber hinaus eine Möglichkeit, der Familie finanziell unter die Arme zu greifen.
Das Unterfangen lässt sich gut an. Ende der 80er Jahre verpasst sich Daniel Dumile den Alias Zev Love X und hebt seine Crew KMD - Kausin Much Damage - aus der Taufe. Mit an Bord: sein Bruder DJ Subroc und MC Rodan, dessen Platz allerdings schon bald Onyx the Birthstone Kid einnimmt.
Über MC Serch geraten KMD an 3rd Bass, auf deren Track "The Gas Face" sie ihren ersten für die Nachwelt festgehaltenen Auftritt absolvieren. Der trägt ihnen neben frühen Lorbeeren einen Plattenvertrag bei Elektra ein. KMDs Debüt "Mr. Hood" erscheint 1991 und sorgt sogar für einen kleinen Hype. KMD nehmen umgehend ein zweites Album in Angriff. Doch, wie gesagt: Das Schicksal ist und bleibt eine Schlampe.
1993 - der Zweitling "Black Bastards" ist so gut wie fertig gestellt - kommt Subroc beim Versuch, mit seinem Wagen einen Bahnübergang zu überqueren, ums Leben. Zartfühlend kündigen Elektra KMD ausgerechnet in der gleichen Woche die Zusammenarbeit auf. Cover-Artwork und Titel von "Black Bastards" seien zu kontrovers geraten und passten nicht ins Labelkonzept.
Daniel Dumile steht in jeder Hinsicht vor den Trümmern seiner Existenz. Der Tod seines Bruders stürzt ihn in tiefe Depressionen. Erst Jahre später spricht er über die Zeit, in der er quasi obdachlos auf New Yorker Parkbänken fast vor die Hunde ging. Mit der Musikindustrie ist Dumile fertig. Mit dem Rap ebenfalls? Zev Love X jedenfalls verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Daniel Dumile verlegt seinen Wohnsitz nach Atlanta, seine Konzentration auf sein Familienleben. Bye-bye, love. Bye-bye, happiness.
Doch im Verborgenen brodelt es. "Black Bastards", KMDs vom Label verschmähter Zweitschlag, findet in Form diverser Bootlegs doch den Weg in die Öffentlichkeit. Der Untergrund spitzt die Ohren. Trotzdem erschließt sich nur wenigen Eingeweihten der Zusammenhang, als etwa 1997 ein mit einer Strumpfmaske vermummter Freestyle-MC beginnt, im Nuyorican Café in Manhattan Open-Mic-Events im Sturm zu nehmen.
Das verschleiernde Beinkleid tauscht er schon bald gegen eine metallene Maske, deren erstes Modell der des Superschurken Dr. Doom aus Marvels "Fantastic Four"-Comics nachempfunden ist. Die spätere Maske gestaltet Graffiti-Künstler Lord Scotch aus einer Replik des Helms aus dem "Gladiator"-Blockbuster.
"Mein Shit ist dope. Da sind meine Fresse, meine Hautfarbe und mein Geschlecht total egal", erklärt der gesichtslose Rapper, der fortan (unter anderem) unter dem Alias MF Doom operiert. Auch, wenn sich Vortrag und Inhalte deutlich gewandelt haben, weiß es trotzdem bald jeder: Daniel Dumile ist zurück im Geschäft - und er hat für die Verletzungen, die ihm das Leben zugefügt hat, Rache geschworen.
Darauf hat er - ganz im Stile Dr. Dooms, dessen Pläne zur Ergreifung der Weltherrschaft ebenfalls Geduld und akribische Vorbereitung erfordern - abseits des Rampenlichts kontinuierlich hingearbeitet. Schon kurz nach der Nicht-Veröffentlichung von "Black Bastards" beginnt MF Doom mit der Arbeit an seinem Solo-Debüt. Raps, Beats, er macht alles alleine, holt sich lediglich einige handverlesene Kollegen mit ins Boot.
Stets in gutem Kontakt mit Bobbito Garcìa, den die Source einst zum Host der besten Hip Hop-Radioshow aller Zeiten adelte, steht MF Doom von Beginn an in der ersten Reihe, als Garcìa 1995 sein Vinyl-Label Fondle 'Em Records gründet. 1997 und '98 veröffentlicht er ebendort drei Singles.
Den Mut zum Schritt zurück in die Arena rechnet MF Doom - zumindest teilweise - Boogie Down Productions an. KRS-One veröffentlichte trotz des Todes seines Mitstreiters Scott La Rock "By All Means Necessary": ein Zeichen für Daniel Dumile, der sich in einer ähnlichen Situation sieht. The show must go on.
"Operation: Doomsday" rammt im Januar 1999 einen derart mächtigen Meilenstein in den Untergrund-Hip Hop, dass man sich nur wundern kann, warum dieses Album nicht mindestens ähnliche Popularität wie Nas' "Illmatic" genießt, lyrisch, rap- und produktionstechnisch auf gleichem Niveau. Zudem treibt MF Doom eine Mission: "I came to destroy rap", verkündet er gleich zu Beginn, weist auf die Ambivalenz hin: "Definition 'super-villain': a killer who love children, one who is well-skilled in destruction as well as building."
MF Doom reißt festgefahrene Strukturen und Gewohnheiten nieder, um sich und den in seinem Windschatten zahlreich folgenden Alter Egos Platz zu schaffen. "Operation: Doomsday" birgt, neben den bisher veröffentlichten Tracks und deren B-Seiten, neues Material. Zahlreiche Skits verschmelzen das Album zu einem einstündigen, Hörspiel-artigen Gesamtkunstwerk.
"Me and this mic is like yin and yang." MF Doom, der, obwohl deutlich gebremsteren Tempos als früher, immer noch ein, zwei Worte mehr in seine Zeilen packt als mancher Kollege, erreicht mit seinem Vortrag gruselige Intensität. Kaum ein anderer Rapper transportiert so stark den Eindruck, er rappe ganz speziell für einen einzigen Hörer: für einen selbst.
Dass er sein Handwerk versteht, stört dabei ganz und gar nicht: "I only play the games that I win at / and stay the same with more rhymes than there's ways to skin cats. / As a matter of fact, let me rephrase: / With more rhymes and more ways to fillet felines these days." Seine Handwerke, sollte man wohl besser sagen. "Choose your weapon: microphone, beats or the wheels-of-steel / I own a crown in all three for getting down without a doubt."
MF Doom verantwortet auch die Produktion auf "Operation: Doomsday" selbst. Größtenteils in einer Zeit des Wunden-Leckens entstanden, schwingen Trauer und Melancholie, der Verlust des Bruders, noch mit. Doom legt mit seinem ersten Alleingang das zweifellos melodischste Werk seiner Karriere auf den Tisch. Weinerlichkeiten gestattet er sich dennoch nirgends: Seine Beats strotzen nur so vor Soul, besitzen aber sämtlich doppelte Böden. Falltüren in den Abgrund lauern überall - aber auch jede Menge akustische Rettungsringe und eine fast schon unanständige Portion Humor.
Doom samplet sich von Roy Ayers über die SOS Band und die Spinners zu den Beatles und über die "Scoobidoo"-Titelmelodie zurück zu Isaac Hayes. Rhodes, Streicher und klassische Boombap-Ästhetik dominieren, treiben aber überall originelle Blüten. Großartig etwa, wie die Metallfratzen Doom und Grimm in "Tick Tick" parallel zum wüsten Drehen am Pitch-Regler ihre Rap-Geschwindigkeit variieren: "Go With The Flow" lautet die kurz zuvor ausgegebene Devise, der beide bedingungslos Folge leisten.
Neben MF Grimm stellt Doom seinen Alias King Gheedora vor und führt eine neue Crew ein: "The Monsta Island Czars. Y'all know who you are." Hinter DJ Cucumber Slice verbirgt sich Labelboss Bobbito Garcìa, der in "Rhymes Like Dimes" gängige Phrasendrescherei durch den Kakao zieht. Doch Chef im Ring, Strippenzieher, die Spinne im Netz - diese Position bleibt MF Doom vorbehalten.
Schon ein Jahr nach seiner Veröffentlichung erlebt "Operation: Doomsday" die erste Neuauflage. Mit leicht abgewandelter Trackliste und diversen Covern - darunter sogar ein miserabler Scan des Original-Artworks - erlebt die Platte in den kommenden Jahren mannigfaltige legale wie illegale Neuauflagen bei diversen Plattenfirmen, darunter Sub Verse, Stones Throw und Dooms eigenes Label Metal Face Records.
Dooms kommerzieller Durchbruch gelingt trotzdem erst 2004 mit einer Kooperation mit Madlib: "Madvillainy" bringt MF Doom dem Mainstream einen Schritt näher, ohne dass er dafür seine künstlerische Unabhängigkeit opfern müsste. Er kooperiert außerdem mit Danger Mouse, Ghostface Killah, den Gorillaz oder Masta Ace. Solo veröffentlicht Doom ebenfalls unter allerlei Namen. Als Metal Fingers etwa bringt er die Instrumental-Alben-Reihe "Special Herbs" unters Volk.
Den Grundstein seiner vielarmigen Karriere legte "Operation: Doomsday". Ein Album, das längst auch abseits untergrundiger Zirkel die überfällige Beachtung finden sollte. Deshalb: "Y'all niggaz keep y'all minds open out there."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
8 Kommentare
hellyeah
mf, the supervillian.
tolles album, hätte nicht erwartet es hier zu finden!
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
Beats stellenweise halt richtig lasch, kein boom, kein bap, da knallt leider gar nix. Haette Doom mal auf 'Illmatic'-Beats gerappt oder aehnliche, man will sich das gar nicht vorstellen.
It´s time to face doom, wenn man es nicht längst getan hat.
Sehr geile Scheibe!
Etwas traurig, dass ihr nicht wisst wie man MF DOOM schreibt. ALL CAPS WHEN YOU SPELL THE MAN NAME!!!