laut.de-Kritik

Die Pop-Punk-Erfolgsgeschichte geht in die nächste Runde.

Review von

Egal ob man ihn liebt oder hasst, Colson Baker aka Machine Gun Kelly macht weiterhin sein Ding und präsentiert mit "Mainstream Sellout" nun das zweite Kapitel im Rahmen seines fortlaufenden und überaus erfolgreichen Pop-Punk-Werdegangs. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, ob MGK vor dem Release seines Pop-Punk-Debüts "Tickets To My Downfall" bereits geahnt hat, was im Nachgang folgt und bis heute andauert. Nach über zehn Jahren einer durchschnittlich erfolgreichen Rap-Karriere, die trotz harter Arbeit nie für den ganz großen Durchbruch sorgte, war es letztendlich der Genrebruch auf "Tickets To My Downfall", der Baker in unerwartete Höhen katapultierte und den langersehnten Sprung in den Mainstream der Pop-Kultur ermöglichte.

Dass MGKs zweites Album im neuen musikalischen Kosmos nun den mehr oder weniger sarkastischen Titel "Mainstream Sellout" trägt, ergibt angesichts seines immerwährenden polarisierenden Status in der Öffentlichkeit Sinn. Sowohl Publicity-Stunts wie der "Rap Devil"-Beef mit Eminem als auch der Umschwung von Rap in Richtung Pop-Punk, sorgen immer wieder dafür, dass Leute es lieben, ihn zu hassen, oder sich an anderer Stelle insgeheim dafür hassen, ihn zu lieben. Wenn es um Bakers Leben und künstlerisches Schaffen geht, gibt es kaum neutrale Meinungen.

Ironischerweise ist Neutralität allerdings genau eine der Eigenschaften, die die musikalische Ebene von "Mainstream Sellout" treffend beschreibt. Wie schon auf "Tickets To My Downfall" zuvor, ist "Mainstream Sellout" ein Album, das den eigenen musikalischen Kosmos kaum bereichern wird, aber dennoch mit seinen eingängigen Melodien und treibenden Rhythmen in weiten Teilen viel Spaß macht. Lyrisch gräbt Baker jedoch um einiges tiefer als noch auf dem Vorgänger. Bereits auf dem Opener "Born With Horns" bezieht er sich neben Streichern und gewohnt krachenden Drums und E-Gitarren auf die fortlaufende Kritik, die von allen Seiten der Musikwelt auf ihn einströmt: "I'd rather be a freak than somebody's puppet / Release your leash, I don't belong in the circus / They cut each my wings soon as my name was in cursive / Now I'm six feet deep, I guess my life wasn't perfect."

Auch auf dem Titel-Track nimmt Kelly den öffentlichen Diskurs rund um seine Person und seine künstlerische Tätigkeit einmal mehr ins Visier. Die Opening-Line "I heard the feedback, I'm a poser / With a guitar and a choker / Hidin' under sunglasses / I made an album, they hate the tracklist" steht dabei stellvertretend für den gesamten Song, der sich im Kontext einer regelrechten Wall of Sound ausschließlich dem Thema der öffentlichen Kritik widmet.

Die vielen negativen Stimmen, die zuerst im Nachgang zu "Tickets To My Downfall" und nun auch wieder im Vorlauf zu "Mainstream Sellout" zu hören waren, hinterlassen somit durchaus ihre Spuren. Das aktuelle Projekt verliert im Gegensatz zum Vorgänger auch weiterhin mit Songs wie dem extrem beklemmenden "Papercuts", dem frustrierten "God Save Me" oder dem zuerst auf Akustikgitarre reduzierten, am Ende aber explodierenden "Twin Flames" einiges an Leichtigkeit und Frische. Immer wieder thematisiert Kelly Punkte wie seine Depressionen, Selbstzweifel und Schicksalsschläge, was durchaus zu einer emotionale Bindung zum Projekt und der facettenreichen Person hinter der Rockstar-Persona führen.

MGK wäre jedoch nicht MGK, wenn er auf vereinzelten Tracks wie "Make Up Sex" mit Blackbear oder dem Willow-Feature "Emo Girl" nicht auch die völlig andere Seite des Spektrums abdecken und seinen Kritiker*innen abermals gefundenes Fressen vor die Füße werfen würde. Textpassagen wie "She is a monster in disguise / And she knows all the words to the trap songs / Takes pics with a cherry-red lipstick / Says she only dates guys with a big (Mm)" verhöhnen mit ihrer zwanghaften Edginess die Ernsthaftigkeit und den dunklen, verletzlichen Ton der Platte fast schon und werfen noch dazu die Frage auf, wie viel Authentizität noch in diesem Output steckt. Das ist wiederum umso ärgerlicher, da gerade "Emo Girl" ansonsten extrem gut ins Ohr geht.

Generell gleichen aber gerade die Feature-Songs mit dem erneut breiten Ensemble an guten Freunden und Kollegen aus der Musikwelt eher einer bunten Wundertüte. Besonders prominent vertreten ist Hip Hop-Urgestein Lil Wayne, der mit "Drug Dealer" und "Ay!" auf gleich zwei Tracks einige Parts beisteuert. Jedoch heißt Quantität bekanntermaßen ja nicht gleich Qualität. So auch in diesem Fall. Während "Drug Dealer" wenig dafür tut, um in irgendeiner Weise aus der Tracklist hervorzustechen, ist das Hip Hop-Crossover "Ay!" sogar eine Ernüchterung in vielerlei Hinsicht. Uninspiriert und musikalisch einfallslos stolpert der Track ohne jegliche Persönlichkeit von einer Sekunde zur nächsten.

Der zweite obligatorische Hip Hop-Ableger, "Die In California", präsentiert mit Gunna, Young Thug und Travis Barkers Sohn Landon ein paar weitere neue Gesichter an der Seite von Kelly. Unauffällig und wenig mitreißend, schlägt sich der Song zwar besser als "Ay!", erreicht aber keineswegs die Qualität der herausragenden Kollaboration "Maybe" mit Bring Me The Horizons Oli Sykes, dem man anmerkt, dass er sich in einem derartigen Pop-Punk-Setting wie Zuhause fühlt. Auch "Fake Love Don't Last" entpuppt sich zusammen mit Iann Dior als deutliches Upgrade zum letzten gemeinsamen Song auf "Tickets To My Downfall". Ein kleines Shoutout geht außerdem an das erneute Pete Davidson-Interlude "Wall Of Fame", das zumindest beim ersten Durchlauf für ein kleines Schmunzeln sorgt.

Letztendlich bleibt es auf "Mainstream Sellout" also weitgehend bei der Erfolgsformel der Vorgängerplatte: eine ordentliche Portion krachender Pop-Punk, Travis Barker am Produzentenruder, viele Feature-Gäste und gelegentliche Hip Hop-Ausflüge. Neben den vielen neuen emotional verletzlichen Passagen, der vermehrten Ernsthaftigkeit und einer Priese Humor, bekommt man zusätzlich jedoch auch - ob man will oder nicht - ein paar unumgängliche Ladungen Fremdscham mit auf den Weg.

Wer aber ein energiegeladenes Hörerlebnis sucht und sich neben Bakers respektabler Offenheit auch mit diesem negativen Beigeschmack zufriedengeben kann, ist genau an der richtigen Stelle. Auf der Suche nach einem künstlerisch anspruchsvollen und originellen Werk, wird man hier allerdings nicht fündig. Dass "Mainstream Sellout" MGKs Pop-Punk-Erfolgsgeschichte allerdings so oder so weiter vorantreiben wird, steht mit ziemlicher Sicherheit außer Frage.

Trackliste

  1. 1. Born With Horns
  2. 2. God Save Me
  3. 3. Maybe (feat. Bring Me The Horizon)
  4. 4. Drug Dealer (feat. Lil Wayne)
  5. 5. Wall Of Fame
  6. 6. Mainstream Sellout
  7. 7. Make Up Sex (feat. Blackbear)
  8. 8. Emo Girl (feat. Willow)
  9. 9. 5150
  10. 10. Papercuts
  11. 11. WW4
  12. 12. Ay! (feat. Lil Wayne)
  13. 13. Fake Love Don't Last (feat. Iann Dior)
  14. 14. Die In California (feat. Gunna, Young Thug & Landon Barker)
  15. 15. Sid & Nancy
  16. 16. Twin Flames

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