laut.de-Kritik
Does ist bounce? You bet your Rauschebart!
Review von Gil BielerZum letzten Mal habe ich mich 2011 intensiv mit Machine Head befasst: "Unto The Locust" lief rauf und runter, und was ist die Scheibe gut gealtert! So hat Metal mit Melodien zu klingen. Die Folgewerke fielen jeweils rasch wieder vom Radar ("Catharsis" war nicht mehr als Katastrophentourismus), dann hat es die Band personell ohnehin durchgerüttelt. Auf "Of Kingdom And Crown" zeigte die Formkurve zuletzt aber wieder steil nach oben, darum: Mal schauen, was Robb Flynn und seine wackeren Warriors of Ø mit "Unatoned" aufbieten.
Ja, den 'Gag', alle Os in den Songtiteln als Ø zu schreiben, ziehen die tatsächlich durch. Hat ja schon auf dem Vorgängerwerk so dolle geflasht. Doch auch etwas anderes verrät der Blick auf die Tracklist: Die Songs sind deutlich kompakter als gewohnt, pendeln zwischen zwei und vier Minuten. Zusammen mit Flynns Ankündigung, die Band habe beim Songwriting jegliches "Fett getrimmt", macht das neugierig.
Doch dann das: "Landscape Of Thorns" gehört in die Top Ten der überflüssigsten Intros aller Zeiten. Zum Glück kickt danach die Maschine aber voll rein. "Atomic Revelations" thrasht mit wütenden Vocals und groovender Riffgewalt daher, nur um kinderleicht in einen ruhigen, mehrstimmigen Klargesang-Refrain überzugehen. Zum Finale werfen sich Robb Flynn und sein neuer Gitarren-Compagnon Reece Scruggs noch ein paar oldschoolige Soli um die Ohren, und der Lack ist geritzt. Fettfreier geht echt nicht.
Auch andere Tracks gefallen auf Anhieb: "Addicted To Pain" holzt einen mittelgroßen Wald ab und kontrastiert die Raserei gekonnt mit Gefühlen. Sogar die elektronischen Einsprengsel funktionieren. Eine der besten Thrash-Attacken der Platte. Einen Tacken melodiöser gerät "Outsider", in dem Robb seinen hymnischen Gesang prominent einsetzt. Gleichzeitig wird aber geröchelt und gestampft, wie es sich gehört, und vor allem Drummer Matt Alston akzentuiert den Songaufbau. Vielschichtig, heavy, melodiös – nice!
Das Bekenntnis zum Knackigen kommt den meisten Songs zugute. Besonders positiv ist der Effekt auf "Unbound", das mit seiner betont modernen Art eher zweidimensional bleibt. Das Gitarrenriff wetteifert hier mit dem Bass von Jared MacEachern und Robbs Growls um die Herrschaft über die Tiefenlage, das ist es eigentlich schon. Does ist bounce? You bet your Rauschebart! Hinterlässt es bleibenden Eindruck? Kaum. Aber knallt wenigstens kurz und heftig.
Etwas anders ist der Sachverhalt bei "Not Long For This World", mit dem die Band einen Ausflug ins Powerballadeske unternimmt. Alles ist wohlüberlegt arrangiert und in Szene gesetzt, von den Streichern über den gefühlvollen Gesang bis zum satt vernehmbaren Bass. Dennoch fragt man sich zwangsläufig: Wohin hätte Robb diesen Song noch geführt, hätte er eine Minute angehängt? Dass er kompositorisch immer wieder spannende Wege findet, hat der Kalifornier in seiner Karriere schließlich oft genug bewiesen. Aber wahrscheinlich sollte man sich einfach freuen, dass eine Rockballade für einmal nicht unnötig ausgewalzt wird.
Das düstere "Bleeding Me Dry" überschreitet als einziger Track die 5-Minuten-Marke. Die Band lässt sich mit dem Ausrollen ihre Zeit, doch über weite Strecken fehlt jeder spannende Input von Gitarren oder Gesang, stattdessen wird elektronisch pluckernde Magerkost aufgetischt. Im Refrain gefällt der Mut zu irritierenden, da schiefen Klängen, und zum Ende hin folgt eine riffgewaltige Rettungsaktion. Aber so recht geht das alles nicht zusammen.
Rasant und vollgepackt mit Energie kommt "These Scars Won't Define Us" ums Eck. Im Unterschied zur vorab veröffentlichten Single fehlen auf dem Album unerklärterweise die Gesangsbeiträge von Anders Fridén (In Flames), Cristina Scabbia (Lacuna Coil) und Trevor Phipps (Unearth). Doch auch in der Robb-only-Version bollert das Ding angriffig und zielstrebig durch die Lauscher, vor allem die donnernden Drums machen Laune. Dass der Refrain sich wiederum feierlich in die Höhe schraubt, zeigt: Machine Head lassen auf "Unatoned" keine Chance ungenutzt, Klargesang einzubauen. Ob es sich nun anbietet (wie hier) oder wackelt ("Outsider"). Selbiges gilt für elektronische Einsprengsel, weil: Man will ja mit der Zeit gehen. Demonstrativ.
Die Kombo aus "Dustmaker" und "Bonescraper" schönzureden, dürfte aber selbst PR-Profis ins Schwitzen bringen. Ersteres ist ein belangloses Interlude, das den Teppich ausrollt, auf den "Bonescraper" dann seine Stinkstiefel setzt. Als hätte jemand Coal Chamber, Radiorock ('Oh-woa-oh-oooh', ihr wisst schon) und einen Hinterhof-Rapper durch den Mixer gedreht. Vielleicht waren Bring Me The Horizon das anvisierte Ziel, vielleicht der wiederkehrende Nu-Metal-Trend, wer weiß, geworden ist daraus Schlagermetal aus der ESC-Hölle. Robbs Growls wirken in dieser Kulisse nur noch gimmickhaft. Hat er denn keine Bandmates, die ein Veto einlegen könnten? Oh, stimmt ... aber wer sich in der Pressemitteilung völlig ironiefrei als "the personification of determination" betiteln lässt, ist wohl ohnehin nur bedingt beeinflussbar.
Die zweite Hälfte fällt einfach schwächer aus. Mit "Scorn" steht am Schluss eine Pianoballade (inklusive einiger Riffs, keine Bange) – etwas, an dem sich Robb laut Interviews seit mehreren Alben die Zähne ausgebissen hat. Das nun vorliegende Resultat ist ... ganz angenehm im Abgang. Mehr nicht. Ein Pluspunkt sind sicherlich die Lyrics, in denen er sich die Politik in den USA vornimmt, von der er sich desillusioniert und auf sich zurückgeworfen fühlt: " I've lost faith in everyone, follow no more / My heroes have failed me / They look down on me with their scorn".
Damit endet der mit rund 40 Minuten kürzeste Longplayer der bisherigen Machine-Head-Discographie – und hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Klar: Die guten Tracks fahren sauber in den Nacken und zementieren, was die Metalwelt an dieser Band hat. Machine Head sind in ihren besten Momenten eine Macht des modernen Groove und Thrash Metal. Dennoch ist da gerade angesichts der kompakten Spielzeit einfach zu vieles, das den guten Eindruck trübt. Dies gilt vorab für ostentative Versuche, am Puls der Zeit sein zu wollen. So ist "Unatoned" zu einem Rückschritt gegenüber dem starken Vorgänger geworden. Oder: The Definitiøn of Durchzøgen.
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