laut.de-Kritik
Sehr glaubwürdige Geschichte.
Review von Franz MauererIn der März-Ausgabe eurer liebsten Elektrokolumne Ummz Ummz tat ich meinen Unmut über "Back In The Game", die besonders missratene und visuell frettchenhässlich umgesetzte Single von Mark Pritchard & Thom Yorke bereits kund. Nachdem Pritchard aber Meriten im Downtempo hat, Yorke gefühlt für die halbe Musikwelt Pate stand und die Zusammenarbeit der beiden für "Beautiful People" 2016 in Ordnung ging, nehmen wir uns nun mal das erste gemeinsame Album "Tall Tales" vor.
Eine "Tall Tale" bezeichnet das Märchen, dass der Suffkopf im Wirtshaus/Kneipe/Beissl eures Vertrauens zum Besten gibt, eine "Mär" wäre wohl eine gute Übersetzung. "A Fake In A Faker's World" bleibt wohl beim Thema, soweit man es dem sehr abstrakten Text entlocken kann. Eine starke Weltabgewandheit, eine Tristesse und Seelenschwere sowie das Topos des Betrugs und Anmaßens prägen das über eine Stunde gehende Album durchgehend. Die Band selbst sucht aktiv eine Bedeutungsschwangerheit, indem sie den Künstler Jonathan Zawada kaum nachvollziehbar zum faktischen dritten Bandmitglied erklärt, der irgendwie auch mitgearbeitet haben soll. Falls es die brunzhässlichen Visualisierungen auf Spotify oder das Metabaron-Fanfiction-Albumcover sind, dann sollte ein behördliches Berufsverbot eine echte Option bleiben.
Der Opener zeigt auch musikalisch die Wege auf. Eine dustere Synthesizerspur wandelt acht Minuten lang, verwandelt sich dabei immer wieder, wird begleitet von zurückhaltenden Drums und manchem Melodiebogen, vor allem aber von Yorkes stimmungsvollem Organ. Sehr viel Atmosphäre, ein Doppelshot Kunst und deutlich weniger zielstrebig als Yorkes Nicht-Radiohead-Oder-The Smile-Werk es normal ist. Dabei fehlen die raue Edgyness von "Suspiria" oder "Anima" und deren zumindest theoretische Tanzbarkeit, die hier selbst allein im dunklen Wohnzimmer nicht existiert. Alles nicht ohne Reiz.
Das gilt erst recht für das folgende "Ice Shelf", in dem eine Brandung aus Elektronik gegen Yorkes aufbäumende, verzerrte Stimme anschwappt. Die neun Jahre Bearbeitungszeit dieser Scheibe werden spürbar, aber zumindest für den Electro-Klassik oder gar Ambient nicht abgeneigten Hörer nicht unangenehm verkopft. Das Eisfach hat eine eigene, in sich schlüssige Dynamik, die von der anfänglichen Weite der Flächen bis zum Stampfen am Schluss in knapp fünf Minuten eine gewaltige Distanz zurücklegt.
"Bugging Out Again" sehnsuchtet unendlich, ziellos und in alle Richtungen gleichzeitig. "The Spirit" ist ein zittriges Ding mit einem selbst für diese starke Karrierephase bemerkenswert gut aufgelegtem und jung klingenden Yorke. Cave hätte seine Freude an dieser Erbauungshymne, die Yorke ungewöhnlich nahbar und fassbar macht. Der Mann redet recht selten von sich und seinen Bedürfnissen, er agiert fast immer nach außen und nutzt Eindrücke als Reflektionsfläche; erst diese Reaktion Yorkes erfahren wir dann. Hier ist es dagegen sehr unmittelbar. Der Closer "Wandering Genie" mit seinen dichten Orgel- und/ oder Flötenspuren dient als Musterbeispiel für den dichten, sphärischen Sound, den die beiden erschufen und der immer nach oben strebt. Ambient ist das nicht, denn Ambient verharrt gerne mal. Hier sucht alles Ausweg.
Bei "The White Cliffs" hören wir zum großen Teil Pritchard, und das ist natürlich undankbar, da die Magie der Yorkeschen Elogien verlorengeht auf dem wie der Rest des Album klingenden Song. Im Ergebnis ordentlich, aber ohne die Prise, die selbst noch leicht überdurchschnittliche Tracks wie "This Conversation Is Missing Your Voice" ausmacht, wo Yorke um eine Synthiefigur ADHS-tänzelnd zum Mitmachen animiert. "The Men Who Dance In Stag's Heads" zerrt Pritchard dagegen in eigenes Territorium und kreiert eine besonders britische, fast mittelalterlich anmutende Klangkulisse, zu der sein ruhiger Sprechgesang sehr gut passt.
Die Single "Back In The Game" erscheint vor dem Hintergrund erst recht so sinnlos wie Kinderarmut. Nicht nur schlecht, sondern nicht repräsentativ für die seidige Schwere und Eleganz der guten Teile des Albums. Pritchards schwaches Spätwerk zieht nicht etwa seinen Buddy Yorke runter, die beiden finden zusammen tatsächlich eine neue musikalische Lichtung, auf der sie brüderlich toben. Leider haben die "Tall Tales" eine dunkle Seite, in die die beiden Musiker sich immer wieder verirren.
Auf dem Level dieses Single-Ausfalls pendelt sich sonst leider noch das Demo-hafte, kitschige "Gangsters" ein. Denselben Kitsch atmet "Happy Days", das wohl nur Leute unironisch gut finden, die 20er-Jahre-Looks auf Insta nachschminken. Dass der Song eine Persiflage ist, befreit ihn nicht von der Notwendigkeit, sich nicht wie das Objekt seines Spotts anhören zu dürfen. Der Titeltrack ist weniger Song als zufällig wirkende Soundansammlung. Mit ein paar Songs weniger wäre das Album kohärenter und besser.
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