laut.de-Kritik
Schuster, bleib bei deinen Leisten!
Review von Kai ButterweckWeiterentwicklung steht bei vielen Bands und Künstlern ganz oben auf der "To-Do-Liste", nur selten klonen Musikanten ganz bewusst ihr vorheriges Schaffen. Und noch seltener führt dieser Weg zu Anerkennung und Ruhm; von einigen Ausnahmeerscheinungen mal abgesehen. Doch mindestens genauso laut schreit die treue Gefolgschaft auf, wenn sich ihre Heroen plötzlich gänzlich neu erfinden. Am Versuch, den goldenen Mittelweg zu finden scheiterte schon so manche Combo.
Auch Amerikas Vorzeige-Rocker der End-Neunziger Matchbox Twenty wagen sich mit ihrem neuen Album "North" in neue Gefilde vor. Zwar gehen die Mannen um Sänger Rob Thomas während der ersten zehn Minuten mit altbewährtem Airplay-Pop-Rock ("Parade", "She's So Mean") und triefend Balladeskem ("Overjoyed") erst einmal auf Nummer sicher, doch spätestens mit dem Song "Put Your Hands Up" hat das breitbeinige Schmuse-Rock-Gepose ein Ende.
Plötzlich hüpfen die fünf wie tanzwütige Limas durchs Studio und ketten dabei ihre Klampfen an überdimensionalen Disco-Kugeln fest. Mit dem folgenden "Our Song" präsentiert man sich die nächsten drei Minuten als nicht minder Tanz-verliebte 80s-Pop-Horde. Was ist denn hier los? Weiterentwicklung ist ja schön und gut, aber man sollte es auch nicht übertreiben.
Sänger Rob Thomas kommt als erster wieder zur Vernunft und schickt seine hibbeligen Mitstreiter für die nächsten Minuten erst einmal vor die Tür. "I Will" bringt mit gezupftem Vordergrund und sphärischem Background wieder Ruhe rein. Danke. "English Town" schließt zunächst nahtlos an, ehe sich der Rest der Bande nach knapp zwei Minuten wieder an die Instrumente schleicht und mit eingängigen Pop-Rhythmen um Verzeihung bittet.
Alles wieder gut? Können wir jetzt zur Abwechslung mal wieder aufs Gaspedal treten? Nix da: das ermüdende "How Long" lässt stattdessen die Augenlider ganz schwer werden, bevor es mit "Radio" zu einem Pseudo-Swing-Weckruf kommt, der dem Fass letztlich den Boden ausschlägt. Es dauert bis zum Bonus-Bereich, ehe sich die vier Florida-Boys wieder einigermaßen besinnen und da weiter machen, wo sie mit eingangs erwähnten ersten drei Songs aufgehört haben. Doch die Wiedergutmachungs-Tour kommt zu spät, denn der Großteil der vorherigen Ergüsse liegen einem noch dermaßen schwer in den Gehörgängen, dass man froh ist, wenn der letzte Akkord sich in den Äther verabschiedet.
Am Ende bleibt festzuhalten, dass es Bands gibt, bei denen sich eine "Weiterentwicklung" verbietet. Bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlich es mit ein bisschen Abstand irgendwann genauso sehen.
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