laut.de-Kritik

Wer, bitteschön, wollte keine Hummel streicheln?

Review von

"Das Mit Uns Könnte Was Werden". Diese zarte Vermutung hege ich bereits, seit mir Max Raabe - mich dünkt, es war das angesoffene Intermezzo bei "Charleys Tante" - zum ersten Mal unter die Augen und, vor allem, zu Ohren kam. Warum auch nicht? Der Mann hat Geschmack, Stil, Charme, Witz und obendrein einen wahrhaft wundervollen Bariton: eine Kombination, die einen unentwegt zu der Behauptung verführt, dergleichen gebe es heutzutage gar nicht mehr.

Aber es gibt ihn ja, diesen Max Raabe, und er präsentiert sich auf seinem jüngsten Album weit weniger aus der Zeit gefallen, als man ihm mit Verweis auf die Zwanziger- und Dreißiger-Jahre-Ästhetik seiner Lieder und seines ganzen Auftretens unentwegt andichtet. Klar atmen seine Darbietungen auch diesmal wieder den Geist der Weimarer Republik. Nicht ohne Grund dient "Ein Tag Wie Gold" der vierten Staffel der in dieser Ära angesiedelten Serie "Babylon Berlin" als Titelsong:

Dennoch schwoft "Wer Hat Hier Schlechte Laune" dichter am Puls der Zeit als manch andere aktuelle Veröffentlichung in der hiesigen Popmusiklandschaft. Das liegt zum einen an Raabes thematischer Aufgeschlossenheit: Er besingt eben nicht nur das zeitlose Aufkeimen, Erblühen und Verwelken der Liebe und spendet, was leider zu allen Zeiten nötig erscheint, Trost in schweren Stunden ("Es Wird Wieder Gut", "Irgendwas Ist Immer"), sondern thematisiert auch, brandaktuell, Elektromobilität ("Strom") oder den ewigen Kampf mit der Autokorrektur ("Nochmal Von Vorn").

Zum anderen sorgen auch die musikalischen Mitstreiter*innen dafür, dass diese Platte nicht zur reinen Retro-Revue gerät: Wie schon in der Vergangenheit setzt Max Raabe auf ein inzwischen bestens bewährtes Team. Er textet, komponiert und arrangiert mit Annette Humpe, ohne die er sich, wie wir wissen, seine Arbeit überhaupt nicht mehr vorstellen kann, und mit Achim Hagemann, reiferen Semestern wahrscheinlich noch als der Mann am Klavier hinter Hape Kerkeling vertraut.

Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Joshua Lange, die ebenfalls ihre Finger im Spiel haben, stehen sonst hinter Rosenstolz. Das mag auf den ersten Blick gruselig klingen, dieser Kooperation entspringen aber einige wirklich schöne Songs, darunter das eine große Highlight dieses Albums: "Ans Herz Gehn". Die Nummer, dunkler und schwerer als der Rest, beginnt als Klavierballade mit einer beinahe zaghaften Bitte nach Zuneigung, kippt dann aber in die zutreffendst mögliche Beschreibung dessen, was eine funktionierende Beziehung ausmacht: "Wenn du mich lässt, wie ich bin, und ich dich, bin ich sicher, lassen wir uns einander nie im Stich. Der Rest ist mir egal. So, wie du mich kennst, kenn auch ich dich genau. Wir halten uns fest, weil ich dir vertrau. Der Rest ist mir egal" - und kanns dann auch gerne bleiben.

Auf den anderen, herzerwärmenden, weil albern-heiteren Höhepunkt stimmen bereits Coverartwork und Booklet-Bebilderung ein, durch die, sehr präsent, ein Zebra spaziert: "Hummel" entpuppt sich als verspieltes, minimal klamaukiges Tierbilderbuch, das hemmungslos einmal quer durch die Fauna assoziiert: Eine Hummel streicheln, eine von den dicken, weichen, oder sich bei einem Kraken zärtlich unterhaken ... ja, bitteschön, wer, der klaren Verstandes ist, sollte das NICHT wollen? Es ist jedenfalls zuckersüß.

Dazwischen erzählt Max Raabe, wahlweise umrahmt von den gleichermaßen virtuos besetzten Palast Orchester, Swonderful Orchestra oder Oriel-Quartett, von sommerlichen Spaziergängen und pannenbehafteten Bahnfahrten, vom zarten Anbandeln, vom Durchhalten oder, wieder vergleichsweise profan, vom Ende der Prokrastination: "Heute Geht's Los", ganz bestimmt. Wenn er dann, "Strom"-getrieben elektrisch durch die Lande cruist, wirkt er für einen kurzen Moment wie eine verschrobene Mischung aus Francoise Cactus und Kraftwerk, bloß wesentlich besser gekleidet, versteht sich.

"Ein Tag Wie Gold", das haben wir ja bereits gehört, fährt kurz vor Schluss noch einmal den vollen Revue-Sound auf. Die bratzigen Bläser gereichten jeder Marching Band zur Ehre, dennoch lädt die halb schwelgerische, halb schmissige Nummer wahrhaft formvollendet zum Tanztee. (Ich wäre übrigens schwer enttäuscht, würde mir jemand erzählen wollen, Max Raabe sei kein überaus versierter Standardtänzer. Völlig undenkbar!)

Melancholie und Schwermut durchziehen zwar manchen Song, nie jedoch fehlt die positive Note, der Schimmer der Hoffnung. Es mag nicht immer stimmen, manches lässt sich einfach nicht kitten und manche Wunde, die das Leben schlägt, heilt nicht einmal viel, viel Zeit. Trotzdem, genau dann, möchte man sie doch am dringendsten hören, die tröstliche Phrase: "Es Wird Wieder Gut".

Trackliste

  1. 1. Der Sommer
  2. 2. Wer Hat Hier Schlechte Laune
  3. 3. Das Mit Uns Könnte Was Werden
  4. 4. Strom
  5. 5. Es Wird Wieder Gut
  6. 6. Die Liebe Bleibt
  7. 7. Heute Geht's Los
  8. 8. Hummel
  9. 9. Irgendwas Ist Immer
  10. 10. Nochmal Von Vorn
  11. 11. Reise In Das Glück
  12. 12. Ans Herz Gehn
  13. 13. Ein Tag Wie Gold
  14. 14. Es Wird Wieder Gut (Instrumental)

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