laut.de-Kritik

Ohnmacht und Tollwut: Die Emanzipation eines Zombies.

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Gerade einmal zehn Jahre hat es gedauert, bis eines der Mitglieder der Flatbush Zombies endlich den lautstarken Wunsch der Fans erfüllte, der schon nach dem ersten Mixtape "D.R.U.G.S" laut wurde: Ein Soloalbum. Und selbst dieses hätte Meechy Darko ohne die Pandemie wohl nicht so schnell fertig gestellt, wie er in einem Interview mit Hot97 verrät. Die weltweite Isolierung aufgrund Corona sei die Initialzündung gewesen, sich endlich hinzusetzen und fernab der Crew-Kollegen an eigener Musik zu arbeiten. Erick The Architect versuchte sich zwar schon mit einer EP solo, doch Meechy wagt als Erster den nächsten Schritt, ein Debütalbums.

Was die Zombies in der Vergangenheit so unterhaltsam machte, war die Dynamik der einzelnen Mitglieder untereinander. Jeder bereicherte die Musik um eine ganz eigene, markante Facette. Die Hochzeit aus Ericks psychedelischer Produktion, Juices verstrahlter und charismatischer Stoner-Attitüde und Meechys dämonischer vokaler Präsenz bescherte uns mit “BetterOfDead” eines der besten Mixtapes der letzten zehn Jahre. Die Bedenken, ob sich eines der Mitglieder auch völlig ohne die Unterstützung seiner Wegbegleiter behaupten könne, sind in der Folge durchaus berechtigt. Hinzu kommt, dass Meechy sich bereits vor diesem Projekt vereinzelt an Solosongs versuchte, die alle eher dürftig blieben.

Doch "Gothic Luxury" straft diese vorsichtige Erwartungshaltung größtenteils Lügen. Meechy benötigt ein wenig Anlaufzeit, die erste Hälfte der LP hält ein wenig Fillermaterial bereit, doch er kann sich sehr wohl über die Laufzeit einer ganzen LP alleine behaupten. Zumal er inmitten von Rappern wie Black Thought, Freddie Gibbs, Denzel Curry oder Busta Rhymes kaum in besserer Gesellschaft sein könnte.

Nicht nur findet er im Laufe der LP Wege sich klar von der Musik der Zombies abzugrenzen, er definiert auch den Sound, den man bislang von ihm gewohnt ist, weiter aus, wagt gleichermaßen erfolgreiche Vorstöße in Horrorcore ("Hennessy & Halos") wie auch Boom Bap ("The MoMA") und Trap ("PRADA U"). Auf der anderen Seite der Medaille bedeuten 50 Minuten Solo-Material von Meechy Darko allerdings neben vielen großartigen auch einige schwer verdauliche Momente.

Eines der Dinge, bei denen diesem Mann so gut wie niemand das Wasser reichen kann, ist seine Stimmfarbe und was er mit ihr anstellt. Wenn man bei Rappern wie Young Thug oder Playboi Carti darüber redet, dass sie ihre Stimmbänder wie Instrumente einsetzen, die förmlich mit dem Beat verschmelzen, dann muss man Meechy Darko fast schon als einen Gegenentwurf dazu sehen.

Sein wahnsinniges, besessenes Grummeln, seine teuflischen vokalen Spielereien tönen so einnehmend, dass sie direkt jede Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Er klingt wirklich wie der Bösewicht, der Killer, das Monster, zu dem er sich in seiner Musik gerne stilisiert. Wie ein tollwütiges Biest fällt er über die größtenteils von Dot Da Genius produzierten Beats her und zerfleischt sie, bis kein Gramm Fleisch mehr an den instrumentalen Knochen hängt.

Als besonders eindrucksvolles Beispiel dafür dienen etwa "Hennessy & Halos" oder "Cursed". Mit ersterem schafft er sich seine ganz eigene Wrestling-Einlaufhymne. "This is what a villain is!", rappt er da. Die Keys funkeln wie grelle Kronleuchter in finsteren Gemäuern, und Darko stolziert so stoisch vor ihnen her, als wäre er Dracula höchstpersönlich. Das klingt gleichermaßen nach Luxus wie nach Horror, nach blutrotem Samt und pechschwarzem Marmor, aber auch Pistolenrauch, nassem Moos und süßlicher Verwesung.

Einen ähnlich cineastisch anmutenden Pomp findet man auf dem psychedelischen "Lavi$h Habits (Gothika)" oder dem von Freddie Gibbs assistierten "On God". Doch diese wenig subtile Herangehensweise an die "Gothic Luxury"-Ästhetik, die Darko mit diesem Album prägen will, schleicht sich auch vermehrt, zum Leidwesen der Hörer*innen, in die Texte des New Yorkers ein. Die teils etwas fragwürdigen Ansichten Darkos wurden schon auf Projekten der Flatbush Zombies hier und da angerissen. Auch in Interviews machte er nie einen Hehl daraus, Anhänger zahlreicher Verschwörungstheorien zu sein. Obwohl er es sich auf dem Solodebüt keineswegs zur Aufgabe macht, seine Fans von diesen überzeugen zu wollen, so stellt er sich an vielen Stellen mit ungelenken und teils geradezu problematischen Zeilen ein Bein.

Das großartig instrumentierte und mit einer alarmierenden Dringlichkeit vorgetragene "Kill Us All (K.U.A.)" etwa nimmt neben Polizeigewalt, Alltagsrassismus und dem Stereotyp des schwarzen Häftlings auch die Medien und die politische Klasse ins Visier. Dabei steigert sich Darko zunehmend in kontroverse und idiotische Gefilde, die den Gesamteindruck des Songs nachhaltig versauen. Neben starken Bildern wie "Prisons wanna lock you up so they can fill up every cage / Make fifty cents an hour, thеy gon' work you like a slave", gesellen sich dann auch Feststellungen wie "Democrat, Republican, they all evil to me / But remember that the Democrats started the KKK" oder "Operation Black Messiah, it's the FBI paid / Epstein Island, Q-Anon, and then Pizzagate", die einen mit hochgezogener Augenbraue zurücklassen.

An anderer Stelle führt dieses Fehlen eines Filters dazu, dass Darko starke Inhalte mit Belanglosigkeiten verwässert. Auf "What If?" stellt er mehrmals die titelgebende Frage und versucht, alternative Realitäten zu zeichnen. Was wäre, wenn Kennedy nicht erschossen worden wäre? Was wäre, wenn Lil Wayne niemals Lean getrunken hätte? Inmitten zahlreicher Themen, die genauere Betrachtung verdient hätten, verliert sich Darko dann allerdings in Lappalien und Selbstbeweihräucherung, bis man am Ende vor einem unübersichtlichen lyrischen Kuddelmuddel steht, das im Grunde gar nichts aussagt. Ein flacher, stampfender Banger ohne lyrische Tiefe wie "PRADA U" kommt im Kontrast dazu fast schon therapeutisch stupide daher.

Was ihm dafür, wie auch schon auf zahlreichen Zombie-Tracks zuvor, erneut großartig gelingt, ist die Stimmung vom Bedrohlichen ins Melancholische kippen zu lassen. Der Tod seines Vaters, der im vergangenen Jahr von einem Polizisten erschossen wurde, zieht sich wie ein roter Faden durch die LP und liefert einen tragischen Ausgangspunkt für einen Großteil der Introspektion die Meechy auf Songs wie "BLK Magic", "Lost Souls" oder "On God" nach Außen trägt.

Besonders "Lost Souls" schafft es wunderbar, diese Melancholie zum Leitmotiv zu erheben. Der Schmerz sitzt tief und lässt sich nicht länger mit Geld, Drogen oder Sex trösten. "It's easy to turn self-reflective to self-destructive", rappte er zuvor noch auf "The MoMa". An diesem Punkt der Platte geschieht eben dies. Denzels Hook klingt gequält, das Instrumental trägt den Pathos gerade so dick auf, wie es sein muss, und sogar Meechys Zeilen profitieren in diesem Fall von seiner ungenierten Direktheit. "Welcomе to the dark side wherе it get real different / Lettin' off my chopper in the sky and hope that God feel it", klagt er müde grollend. Könnte er, so würde er Gott eine Kugel verpassen.

In diesem Moment geht das Konzept von "Gothic Luxury" nahe der Perfektion auf. Ein Mann der seinen Schmerz durch einen eskapistischen und hemmungslosen Lifestyle voller Sex und Drogen zu enteilen versucht, sich allerdings vollkommen bewusst ist, dass er dieses Rennen auf Dauer nicht gewinnen kann. Das Resultat ist eine Melange aus luxuriöser Ohnmacht und einer destruktiven Tollwut, die Meechy Darko gleichermaßen gegen alle um ihn herum, wie auch gegen sich selbst richtet.

Dies gebiert ein Debüt, das an zahlreichen Kinderkrankheiten leidet, die Erstlinge oftmals mit sich bringen. "Gothic Luxury" kommt als ein Album der Gegensätze daher, die mehr als einmal im Konflikt miteinander stehen. Inmitten zahlreicher fragwürdiger lyrischer Schwachpunkte und einer durchwachsenen ersten Hälfte, findet sich jedoch die absolut hörenswerte Emanzipation einer der einzigartigsten Stimmen, die der Untergrund gerade hergibt.

Trackliste

  1. 1. The Genesis
  2. 2. Cursed (feat. Kirk Knight & Vita)
  3. 3. Never Forgettin'
  4. 4. Kill Us All (K.U.A.)
  5. 5. Lavi$h Habits (Gothika)
  6. 6. Get Lit Or Die Tryin'
  7. 7. On GOD (feat. Freddie Gibbs & A-Trak)
  8. 8. The MoMa (feat. Black Thought)
  9. 9. PRADA U
  10. 10. What If?
  11. 11. Hennessy & Halos
  12. 12. Lost Souls (feat. Denzel Curry & Busta Rhymes)
  13. 13. BLK Magic

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