laut.de-Kritik

Eine Kraftwerk-Hommage.

Review von

Während Kraftwerk selbst unermüdlich an der Musealisierung ihrer selbst arbeiten und Ex-Mitglieder wie Wolfgang Flür in ihrer neuen Musik so klingen, als hätte eine KI ein neues Kraftwerk-Album ausgespuckt, klingt die Kollaboration von Techno-Legende DJ Hell, Künstlerschreck Jonathan Meese und dessen 95-jähriger Mutter, mit der er seit 35 Jahren zusammen arbeitet, fließend lebendig. Es ist die zweite Kollaboration von Meese und Hell nach "Hab keine Angst, hab keine Angst, ich bin deine Angst" von 2021.

1986 erschien mit "Electric Café" (später umbenannt in "Techno Pop") das letzte Studioalbum in der klassischen Besetzung Hütter, Schneider, Bartos, Flür - woran das "Gesamtklärwerk Deutschland" musikalisch nahtlos und natürlich (wenn man das bei Mensch-Maschinen sagen kann) anschließt. Das Album ist nicht nur eine Hommage an die Synth-Pioniere, sondern auch eine Hymne an das Thema Gesamtkunstwerk: Bereits beginnend mit dem Cover, das von einem der wichtigsten zeitgenössischen deutschen Künstler der abstrakten Malerei, Daniel Richter, mit viel Kraftwerk-Referenzen gestaltet wurde.

Am auffälligsten dabei sind die riesigen Pylone, die man von den ersten zwei Kraftwerk-Werken kennt. Sie thronen über einem brutalistischen Betonwald, ein Deutschland symbolisierend, das zwischen Vergangenheitsverklärung und Zukunftsangst schlingert und mit Roboter-Vocoder-Stimme im hinreißend-mitreißenden Track "Dr. Deutschland" beschworen wird. Darin heißt es durchaus politisch aktuell: "Ich bin Dr. Deutschland / Mach Deutschland klein / Und mach es wieder gross / Das ist die Zukunft und das muss es sein / Klein Gross Klein Gross Klein Gross."

Die Kraftwerk-Formel wird im Über-Song "Gesamtkunstwerk Deutschland" endgültig geknackt und mit einem Anspruch versehen, der einer Musealisierung spottet: Richard-Wagner-Fan Meese wirft Konventionen von Bord und erklärt darin über schimmernden Synthieläufen von DJ Hell hinweg: "Ich bin Kunstdeutsch / Ich bin Deutschkunst."

Kraftwerks kryptische Lyrics, die zu Slogans wurden, dreht Meese hier einmal mehr durch den Textwolf und es passt perfekt, dass der Bonus-Schlusstrack auch deren kindliche Reime ("Wir fahr'n, fahr'n, fahr'n auf der Autobahn") aufnimmt, wenn Mutter Meese "Hänschen-Klein" intoniert. Das deutsche Kulturgut Kraftwerk wird hiermit genial geklärt und gereinigt – Musique Non-Stop!

Trackliste

  1. 1. Gesamtklärwerk Deutschland
  2. 2. Dr. Deutschland
  3. 3. Kampf um Kunst
  4. 4. Apokalyptiker
  5. 5. Müde
  6. 6. Gesamtkunstwerk Deutschland
  7. 7. Hänschen

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LAUT.DE-PORTRÄT DJ Hell

Er ist eine Institution in der deutschen DJ-Szene. Neben Sven Väth und Monika Kruse wird er jährlich immer wieder in die deutschen DJ-Top-Drei gewählt.

3 Kommentare

  • Vor 18 Stunden

    Eine etwas knappe Abhandlung für ein solch gewaltiges Album. Das ist wirklich ein Gesamtkunstwerk in allen Belangen, von der Musik, dem Sound, den dadaistischen Texturen bishin zum Coverartwork. Den Track Müde nicht explizit zu erwähnen finde ich fahrlässig... einfach großartig was da aus den Boxen kommt, der Bass hat mich, im wahrsten Sinne des Wortes, fast umgehauen. Ich bin mal gespannt ob Hütter und Co sich wieder in ihren Urheberrechten verletzt sehen obwohl DJ Hell auf die Frage, ob die Rechte zum Sampling geklärt seien, zu verstehen gegeben haben soll, dass dies nicht nötig sei da keine Samples verwendet worden seien. Schauen wir mal!
    Ich finde das Album auf jeden Fall wirklich sensationell.

  • Vor 17 Stunden

    Habe das Album gleich mal angeworfen und bin sehr überzeugt. Das ist weniger ein Kraftwerk-Tribut, als eine gefühlte Reinkarnation. So on-point mit allem. Einzig und allein die sehr präsent abgemischten Vocals werfen mich manchmal raus.

  • Vor einer Sekunde

    Die Instrumentaltracks sind schon ganz schick und kommen dem Original recht nahe. Der Gesang fällt dann aber doch schon arg raus und tut nix für mich.
    Kraftwerk hatten oft auch sehr melodische, teils seufzende und melancholische Melodien, die wunderbar mit den Synths verwoben waren, oder durch wechselnde Bassläufe die Stimmung wechselten. Hier wirken die für mich eher unspiriert. Aber der Sound insgesamt ist sehr schön. Das erste mal dass mir was von Meese gefällt (neben dem Kloppspiel mit Daniel Richter).