laut.de-Kritik
Großes wird klein gestampft.
Review von Kai ButterweckAls Freund aufmüpfiger Rock-Klänge aus den Kehlen selbstbewusster Frauen kam man Anfang der Neunziger an Melissa Etheridge nicht vorbei. Mit Songs wie "Like The Way I Do", "Bring Me Some Water" und "No Souvenirs" hinterließ die Amerikanerin mit der Schmirgelstimme große Spuren in der später durch nicht minder kantige Damen wie Amanda Marshall und Alanis Morissette ins Rampenlicht katapultierten Frauenpower-Szene.
Seit den Zeiten, in denen die Blondine spielend leicht die größten Hallen weltweit füllte, sind viele Jahre ins Land gezogen. Der letzte richtig große Wurf gelang Melissa Etheridge mit dem Track "I Need To Wake Up"; ein Song, den sie für den Al Gore-Film "Eine unbequeme Wahrheit" schrieb und der ihr im Jahr 2007 einen Oscar einbrachte. Die vier folgenden Alben ließen jedoch nur wenige Fans begeistert in die Hände klatschen. Der Drops schien irgendwie gelutscht zu sein. Mit ihrem neuen Album will Melissa Etheridge nun beweisen, dass sie auch mit Mitte 50 dazu in der Lage ist, energiegeladenen Roots-Rock an den Start zu bringen.
Mit handzahmem Rock-Pop-Geplänkel aus dem Background und angezogener Gesangs-Handbremse tut sie sich aber zunächst keinen großen Gefallen. Hier hätte man durchaus mehr Startpunkte an Land ziehen können; denn in punkto Melodien zieht die Sängerin so ziemlich alle Register ("I Won't Be Alone Tonight", "Take My Number", "A Little Hard Hearted").
Mit der soften Ballade "Do It Again" befreit sich Melissa endlich von überflüssigem Pop-Ballast. Plötzlich ist da nur noch ihre Stimme, umgeben von akustischen Gitarrenakkorden und dem einen oder anderen Chor-Jauchzer aus dem Hintergrund.
Das anschließende "Monster" weckt längst verblichene Rock-Erinnerungen, ehe Melissa Etheridge in Form des kantigen "Ain't That Bad" ein erstes echtes Album-Highlight setzt. Der kratzige Blaze Of Glory-Vibe passt wie die Faust aufs Auge. Bitte mehr davon.
Statt allerdings den entstandenen Drive mit in die nächsten Runden zu nehmen, verliert sich die Sängerin wieder in konstruierten Radio-Rock-Pop-Welten, in denen Beats und Handclaps die Oberhand behalten. Abermals werden beachtliche Harmonie- und Gesangsdarbietungen dem Mainstream zum Fraße vorgeworfen ("All The Way Home").
Eine Viertelstunde später ist die Ernüchterung groß. Weder drei austauschbare Prärie-Schunkler ("Like A Preacher", "Stranger Road", "A Little Bit Of Me"), noch ein triefende Piano-Kniefall vor den Füßen ihrer Gemahlin Linda Wallem ("Who Are You Waiting For") ziehen den Karren nochal aus dem Dreck.
Was bleibt ist die Erkenntnis, dass Melissa Etheridge immer noch über eine überdurchschnittlich markante Stimme verfügt, die ummantelt von durch und durch handgemachten Background-Klängen zu Großem in der Lage ist. Leider setzt die Amerikanerin anno 2014 aber eher auf popgeschwängerte Hintergrund-Vibes. So wird Großes leider klein gestampft.
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