laut.de-Kritik

Meisterliches Debüt mit beeindruckenden Blues- und Jazz-Skizzen.

Review von

Eine junge Künstlerin taucht auf, und während das erste Album noch nicht einmal richtig in den Läden steht, prasselt gleich eine ganze Vergleichs-Namenslatte durchs Internet-Feuilleton. Madeleine Peyroux, Norah Jones oder Diana Krall werden in Sachen musikalischer Verschubladisierung zu Rate gezogen.

Natürlich ist es legitim, Verweise in Sachen stilistischer Ausrichtung zu setzen. Doch diesmal haut es einfach nicht hin. Was, zum Teufel, hat Melody Gardot mit einer Norah Jones zu schaffen? Frank Sinatra wird auch nicht in einen Topf mit Tony Bennett geworfen. Die schlichte Wahrheit ist: Bereits mit ihrem Debüt "Worrisome Heart" schafft es die Künstlerin, den Eindruck eines prägenden Originals zu hinterlassen, hinter dem manch gestandener Name nahezu als Epigone zurückfällt.

Der biografische Hintergrund der Sängerin ist mehr als ungewöhnlich: Bereits mit 16 spielt sie in Bars Pop- und Jazz-Standards am Piano. Mit 19 erleidet Melody unverschuldet einen schweren Verkehrsunfall, der einen langen Krankenhaus-Aufenthalt zur Folge hat. Ärzte raten ihr zu einer begleitenden Musik-Therapie - und so beginnt sie, ihre eigenen Songs zu schreiben und zu komponieren. Von der Laufzeit her ist "Worrisome Heart" knapp bemessen - Zehn Songs mit lediglich rund dreißig Minuten Spielzeit erwarten den Hörer. Doch dies ohne jeglichen Ausfall und mit Kompositionen ausgestattet, die lange tief im Inneren nachhallen.

Zur Fahrt auf einen in der Dämmerung dahintreibenden Blues-Dampfer lädt der Opener und Titeltrack "Worrisome Heart". "All That I Need Is Love" verbreitet hingegen eine heiter-verspielt anmutende Luftigkeit. "Gone" führt balladesk zurück in dunklere Abgründe. Mit "Quiet Fire" gelingt ein meisterlich aufgebauter Song, der in tiefen Blues-Gefilden seinen Anfang nimmt und im Refrain neben Jazz-Improvisationen sogar dezente Pop-Anleihen bietet. "One Day" becirct als glockenhelle, hauchzarte Verführung in der von Melodys Vokalarbeit unwiderstehlich umgesetzten Hoffnung, die Suche nach dem Mann fürs Leben glücklich zu gestalten.

Die künstlerische Reife und persönliche Klasse Melody Gardots nötigt nicht nur tiefen Respekt ab, sondern raubt beim Hören oft genug einfach schlichtweg den Atem. Die inspirierte, vielschichtig angelegte Begleitung ihrer Mitmusiker trägt ihr Übriges hinzu. Ob Trompete, Bass, ein streichelnder Besen über dem Schlagzeug - jedes Arrangement auf "Worrisome Heart" lädt ein zur Entdeckungsreise, und mit jedem Hören erschließen sich immer neue Details.

Faszinierend auf gesamter Albenlänge: Melodys stimmliche Präsenz. Sie steckt voller Leidenschaft und Intensität, gänzlich fern der Klischees einer verrucht-verrauchten Blues-Vettel. Beeindruckend, wie viel Schattierungen sie aus den einzelnen Gesangsparts heraus arbeitet und mit intimer Fragilität gänsehauterregende Atmosphäre erschafft. Trotz makelloser Intonierung steht sie fernab jeglicher Sterilität und Kühle und beeindruckt mit zarten, wie hingetuscht wirkenden Stimmungs-Skizzen.

"Love Me Like A River Does" nimmt als melancholische, düster gefärbte Liebes-Betrachtung gefangen, doch frei von allzu penetranter Schwermütigkeit. In "Goodnite" schleicht sich ein swingender Kontrabass ein. Im letzten Song-Drittel transferiert die Aufnahmetechnik Melodys Stimme ins Gestern und erweckt so den Eindruck einer alten Schellack-Platte auf dem Grammophon. Das abschließende "Twilight" entpuppt sich als kurzes, einfühlsames Jazz-Instrumental.

Melody Gardot debütiert nicht als Klon neuzeitlicher Chanteusen, die einfach nur sattsam Bekanntes in eine vorgeblich neue und glitzernde Verpackung hüllen. Es scheint eher, als hätte jene wundersame Apparatur aus H.G. Wells "Die Zeitmaschine" Halt gemacht irgendwo in den zwanziger, dreißiger Jahren des Vorjahrhunderts und Melody von dort hinüber gebeamt in die heutige Zeit, um uns eine Ahnung zu geben von einer Jazz-Stil und Blues-Klasse, wie sie wohl nur damals zu finden war.

Erinnerungen an den Film "Die Fabelhaften Baker Boys" mit einer betörenden Michelle Pfeiffer als Nachtclub-Sängerin werden wach. Ein damaliger Kritiker merkte an, es handele sich um einen der seltenen Streifen, nach deren Ende man sich beharrlich weigert, das Kino zu verlassen. Ebenso verhält es sich mit "Worrisome Heart": Dieser Tage weigere ich mich oft genug, das Album aus der Anlage zu nehmen. Play It Again, CD-Sam!

Trackliste

  1. 1. Worrisome Heart
  2. 2. All That I Need Is Love
  3. 3. Gone
  4. 4. Sweet Memory
  5. 5. Some Lessons
  6. 6. Quiet Fire
  7. 7. One Day
  8. 8. Love Me Like A River Does
  9. 9. Goodnite
  10. 10. Twilight

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