laut.de-Kritik
Eisern dem Trend folgen, und sonst nichts.
Review von Yannik GölzMiami Yacine war einfach eines Tages da. Wie ein schlecht eingeführter Charakter in einem Film klopfte er irgendwann an Deutschraps Türen, und niemand stellte sich die Frage, ob er etwas zur Wohngemeinschaft beitragen wolle, Miete zahlen müsse oder ob ihn überhaupt jemand leiden könne. Er stapfte einfach durch die Tür, kackte auf den Teppich, nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich vor den Fernseher.
Eben dieser Typ in hauteng an der Wampe anliegenden Fußballtrikot und stilsicherem Brustbeutel veröffentlicht nun ein Jahr nach der Hype-Single "Kokaina" das Debutalbum "Casia", in dem er uns von Mode und Reichtum erzählt, sich mit Fußballspielern vergleicht und sich für all die Neider bemitleidet. Deutschrap-Hypebeasts schreien "Hit" im Akkord, immerhin klingen die Beats durch die Bank sehr schön zwischen Trap und Afrobeat, und mit drei Lagen Autotune macht auch die Melodik der Stimme etwas her.
Ja, diese Qualität kann ihm keiner nehmen, Wohlklang und Harmonie hat sein Camp gemeistert, und auch die Produktion beeindruckt über die Spielzeit von "Casia" immer wieder: "Großstadtdschungel" mit Zuna geht zum Beispiel mit drückenden Bässen in grimmigere Gefilde über, "Parra" spielt ein Synth-Sample angenehm rhythmisch aus, "Sag Nichts" erinnert deutlich an Drakes "Passionfruit", setzt diesen anspruchsvollen Sound aber sehr gekonnt um und immer wieder finden sich auf Titeln wie "Ghetto Part 2" oder "Bon Voyage" Spuren von arabischem Pop oder Balkan-Beats.
Der musikalische Mix stimmt also. Auch wenn keiner der Beats im Schaffensprozess aus der klassischen Trap-Formel ausbricht, lässt diese Platte sich doch tanzen oder läuft angenehm im Hintergrund, und sie lässt sich herumzeigen, ohne auf viel Widerstand zu stoßen. Kurzum: "Casia" tut niemandem weh.
Der größte Faktor für diese Harmlosigkeit des Tapes ist dabei Miami Yacine selbst, der mit versiertem Autotune-Einsatz stets homogen in die Beats einfließt und eine klanglich harmonische Figur macht, aber auch mit eiserner Vehemenz nichts darüber hinaus aufblitzen lässt. Er wäre selbst unter Klischeerappern noch der Klischeerapper, in seiner Attitude, in seinen Texten, in seinem Auftreten, nirgends findet sich eine besondere Energie, ein Eigenwert oder eine interessante Perspektive auf die Welt.
Er rappt konstant die gleichen zwei Kadenzen (also entweder melodischer Singsang oder den patentierten "Ichrappe-Tripletten-dieletzte-Sil-be-sie-geht-HOCH"-Flow, den deutsche Trap-Rapper inzwischen wohl für den einzig existenten Trap-Flow halten) und rappt Lines, die von der ersten bis zur letzten so eisern austauschbar klingen, dass sein eigener Tonfall schon in den ersten Zeilen des Projekts von seiner Unoriginalität gelangweilt klingt.
Die konstanten Fußballervergleiche, das wahllose Geflexe von Reichtum, die Erzählungen über Frauen, nicht einmal er selbst scheint diese Dinge zu genießen. Es wäre viel leichter, einem Rapper Sympathie für den erreichten Lebensstil entgegenzubringen, wenn die Texte nicht klingen würden, als hätte eine künstliche Intelligenz aus der Marketingabteilung wahllose Wortfetzen zusammengeworfen, die man so eben aus dem Trap-Kosmos kennt. Vergleich A, Referenz auf den Struggle B, Verweis auf das harte Leben von damals C – bloß keine Details oder Zeugnisse von Persönlichkeit, das wäre nachher nämlich vielleicht sogar noch interessant.
Wahrscheinlich liegt genau hier das Problem: All der Sound, all die Wörter, all die Ideen, "Casia" fühlt sich so unauthentisch und lieblos an, weil es genau das Album ist, das ein kompetenter Musiker machen würde, der absolut keinen Bock auf Trap hat. Wirklich jedes Element in dieser Kette ist ein gut umgesetztes Klischee und weiß selbst, dass es ein Klischee ist. Und dieser Zustand der Selbstermüdung lähmt das Projekt unglaublich, wenn man es sich genauer als die eingängigen Singles anhören wollte.
Verdict: Klar, klingt "Casia" gut. Allerdings hätte jeder der aktuell im Trend liegenden Rapper ein Album wie dieses machen können. Miami Yacine ist ein Symptom seiner Zeit, das mit seinen handwerklichen Fähigkeiten und kompetenter Peripherie nun Erfolg einfahren kann, den ihm musikalische Vorreiter ermöglicht haben. Er bringt nichts voran, sondern übersättigt nur ein bisschen weiter.
Mit diesem Tape erhebt Yacine keinerlei Anspruch, auch nach dem Hype noch relevant zu sein. Zu steril, zu lieblos und zu glatt fühlt sich die Musik an, um von einem Musiker zu stammen, der statt Trends zu befolgen auch Trends setzen könnte. Ich vermute, dass das Schaffen von Miami Yacine entsprechend schlecht altern wird, aber zumindest für den Moment kann man die schlichte Versiertheit und Kompetenz hinter der Umsetzung nicht absprechen.
3 Kommentare mit 2 Antworten
Kenne nur die Vorabtracks, aber kann ich mir auf deren Basis kaum vorstellen.
Fand sowohl "Großstadtdschungel" als auch "Montpellier" ziemlich gut. "Daytona" ebenfalls zumindest gut hörbar.
Das Album für seinen Sound loben und dann 2/5 geben. Naja zwecklos
Nach mehreren Hördurchgangen gefällts mir ziemlich gut. Mir ist auch dieses ganze kindische Drumherum zwischen KMN vs. JBG3 vs. Förderschularmy total egal
Es hat hier und da seine Ausfälle wie die gähnend lahme Hookline von "Mamacita" oder "Bon Voyage" mit seiner billigen Mallestimmung samt aufsetzter Franco-Lyric, doch erwartet man bei diesem Künstler/Richtung auch nicht derart Monumentales, dass ich mir jede seiner Zeilen auf den Bauch tätowieren müsste
Es klingt einfach stellenweise sehr schön und macht für seine Verhältnisse Spaß. Das gellende "Großstadtdschungel" mit fauchenden Synthies und Wumms, das wunderbar sphärische "Daytona", wo mich die Hook kein bisschen stört, sondern sogar den Chilleffekt noch erhöht. "Parra" mit locker funky Untermalung, das loungige "Sag nicht" (bei dem mir die Drake-Vergleiche auch egal sind, weil meist solche sogenannten "Nachmachen" besser klingen als die "Originale" und ich mit Drakes dünnem Singsang eh nichts anfangen kann) oder der total relaxte Titeltrack.
Da passt schon einiges zusammen. "Montpellier" möchte jeoch etwas reifer daherkommen, gerät aber etwas seicht, "Rotterdam" und "Zigarrendunst" verlieren sich etwas in Beliebigkeit, ohne Totalausfälle zu sein und bei "Weil ich muss" stört mich Azets Stimmlage dann doch.
"Ghetto Part 2" versteckt hinter all seiner standartisierten Afrobeatschiene famose Melodien und das lässige Zusammenspiel macht Laune. "Kokaina" gibts obendrauf, dies ist der große Hit, der somit auch aufs Debut soll und darf.
Raptechnisch ist das mit all dem Autotunegekünstel zwar keine Messlatte, er machts aber ansprechend. Thematisch gibts vom Anfang bis Ende das Gleiche, aber solange es so instrumentalisiert wird, ists doch kein Drama. Brauch von dem auch keine Geschichten über das Liebesleben der Teppichkäfer
Viel interessanter wirds eher, wie er es bei eventuellen Nachfolgeprojekten anstellen möchte, denn dann dürfte etwas Varianz schon sein, sei es in Punkto Auftreten oder dem Reflektieren der aktuellen Lage
Final Thoughts: da gab es dieses Jahr schon weitaus schlimmeres als dieses und auch ein JBG3 muss seine Beatproblematik erstmal lösen
Scheint außer uns 2 kein Schwein hier zu interessieren.
Ja ziemlicher underground
4/5