laut.de-Kritik
All you need is Love.
Review von Giuliano BenassiDie Geschichte der Beach Boys gibt genügend Stoff für eine große Hollywood-Produktion her, so im Stile Ron Howards. Auf der einen Seite steht der geniale, wenn auch ziemlich verpeilte Brian Wilson, der sich nach ersten, sehr erfolgreichen Jahren im Studio verschanzt und musikalisch neue Wege gehen will. Auf der anderen: der bodenständige Mike Love, der die Drecksarbeit, nämlich Interviews und Touren, auf sich nimmt und schaut, dass die Kohle mit Liedern über Surfen, Bräute und heiße Schlitten weiterhin fließt. Als es 1967 schließlich zum Showdown kommt, schleudert Mike seinem Cousin Brian einen legendären Satz an den Kopf: "Don't fuck with the formula."
Schnitt. September 2012: Brian und Mike stehen gemeinsam auf der Bühne, um das 50. Jubiläum der Beach Boys mit einem neuen Album und einer Welttour mit 75 Konzerten zu feiern. Ende gut, alles gut?
Nicht wirklich. Die zwei gehen sich seitdem aus dem Weg. In der öffentlichen Wahrnehmung ist Brian der sympathische, der seine Genialität mit viel Leid bezahlen musste. Mike dagegen gilt als der Bösewicht, der vor allem daran interessiert war, Geld zu scheffeln. Er verklagte Wilson deshalb mehrmals, unter anderem, um Songwriting-Credits für viele der frühen Stücke der Beach Boys zu erhalten, womit er in den 90er Jahren Erfolg hatte. Die Rechte auf den Bandnamen hielt er da bereits, zumindest für Liveauftritte.
Die wusste Love zu nutzen: "Fun, Fun, Fun" habe er fast 6000 Mal in seinem Leben gespielt, erzählte er 2016 dem Rolling Stone in einem langen Interview. Doch bevor der Song sein vorliegendes zweites Album unter eigenem Namen abschließt (das erste war 1980 "Looking Back With Love"), möchte Love der Welt noch einmal zeigen, wie talentiert und nett er doch eigentlich ist. Also bietet er neben der zweiten CD mit alten Beach Boys-Stücken auch eine erste mit Songs, die er im Laufe der letzten Jahrzehnte geschrieben und aufgenommen hat.
Der Stil ist ganz klar an den seiner Band (und Brians, samt dessen Brüdern Carl und Dennis sowie Al Jardine und Bruce Johnston) angelehnt, auch wenn es sich eher wie eine Coverband anhört. Was, fairerweise, bei Wilson schon lange nicht anders ist.
Unter die Arme greifen Love neben seiner Hausband der Saxophonist Dave Koz, Schauspieler John Stamos (der seit den 1980er Jahren immer wieder als Schlagzeuger, Gitarrist und Sänger mit ihm auf der Bühne stand) und mehrere seiner acht Kinder. All you need is Love, also. Damit ist Liebe im weiteren Sinne gemeint, sicher, aber vor allem Mike und seine Sicht der Dinge.
"Entfesselt die Liebe", so die wörtliche Übersetzung des Titels. Gemeint ist aber eher: "Befreit Love von den Fesseln seines schlechten Rufs". Dafür lässt er auf dem Cover eine Friedenstaube flattern, bemüht Klischees wie "Make Love Not War" und ruft ins Bewusstsein, dass er im Laufe seines Lebens viel Geld gespendet hat, auch für Umweltprojekte ("There Is Only One Earth").
Netterweise bedankt er sich bei sehr vielen Menschen, die ihm Gutes getan haben, darunter seine Rechtsanwälte. Was er dazu schreibt, klingt allerdings wie eine Drohung: "Although I prefer to focus on the creative side, it's very important to have a talented legal team by your side ensuring all aspects are properly cared for." Dass Love auf der zweiten CD ein obskures Stück aus den 1970er Jahren mit dem Titel "Brian's Back" ausgräbt und es ausgerechnet seinem Cousin widmet, erscheint schon fast schizophren.
Mehr Liebe forderte zuletzt auch Ringo Starr. Natürlich haben sie beide Recht. Gemeinsam haben sie außerdem, dass sie ihre wohlgemeinte Botschaft allzu seicht verpacken. Nach diesem Album steht sicherlich fest, dass die Genialität bei den Beach Boys eindeutig auf der Seite Wilsons zu suchen war.
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