laut.de-Kritik
Musikalisch Schlager-Pop, lyrisch Kategorie kognitive Sackgasse.
Review von Jakob HertlPrinzipiell lebe ich nach dem Motto: es gibt keine schlechte Musik, nur verschiedene Geschmäcker. Dieses Album hat mich aber dazu gebracht, meine Prinzipien noch mal zu überdenken. Zusammengefasst: wenn du dem Nachbar dankbar bist, dass er am Montagmorgen um 6:30 mit seinem Rasenmäher deine Musik übertönt, dann lief wahrscheinlich Mike Singers "Emotions".
Immerhin, als Umweltliebhaber muss man dem deutschen Nachwuchs-Bieber seine einwandfreie Recyclingarbeit zu Gute halten. Angefangen bei "Tanzen Ohne Beat (Madizin / LULOU MIX)", das sich bei Men At Works "Down Under" bedient. Durch den fröhlichen Slap-House-Beat ist es musikalisch sogar noch einer der besten Songs vom Album. Ab jetzt geht's nämlich kontinuierlich bergab.
"Bonjour Ca Va" fragt Mike Singer im zweiten Track. Joa, ging mir schon besser, danke der Nachfrage. Aber Zeilen wie "Wir sollten uns mal wieder seh'n, ich hol' dich ab / Wir hör'n 2Pac, Hit 'Em Up, am besten jeden Tag" kann ich beim besten Willen einfach nicht ernst nehmen. Dass die Melodie stark an Mark Forsters "194 Länder" erinnert, ist – wie formulier ich es halbwegs diplomatisch – nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal.
Selbiges gilt für das Kayef-Feature auf "Lass Mich Los". Großartig stört es aber nicht, hätte es nicht im Titel gestanden, hätte ich wahrscheinlich gar nicht gemerkt, dass da zwischendurch jemand anderes am Mikro steht. Auch beim Hören von "Blind Oder Taub" erscheint taub plötzlich als nicht mehr die schlechteste Option.
Richtig unterirdisch wird es aber erst auf der erfolgreichsten Single "Verdammt Ich Lieb' Dich". Wenn man ernsthaft darüber nachdenken muss, ob das Matthias-Reim-Original besser ist, dann ist schon wirklich ganz, ganz viel verloren. Im Endeffekt passt der Song aber ins Gesamtbild einer Platte, die einfach lupenreiner Schlager-Pop ist, egal wie aufdringlich die zahlreichen Hip Hop-Beats von dieser Tatsache ablenken sollen.
Apropos Hip Hop: auch der eine oder andere Deutschrapper war sich nicht zu schade, ein paar Zeilen beizusteuern. Von Dardan über Fourty bis hin zu Monet192 ist die Crème de la Crème der Modus Mio-Fraktion vertreten. Keinem davon – im Übrigen auch Mike Singer selbst – will ich absprechen, dass sie rappen oder singen können. Aber warum denn immer im Stile dieser pseudo-melancholischen Softpop-Pampe?
Über die tatsächlichen Gesangsfähigkeiten von Mike Singer kann man nur schwer urteilen, da seine Stimme in 90 Prozent der Songs in Auto-Tune und anderen Audioeffekten ertränkt wird. Vereinzelt klingt er ok, aber wenn da immer dieser jaulende Nena-Unterton ist, kannst du eben so viele Töne treffen, wie du willst.
Konzentrieren wir uns doch einfach mal auf die raren Lichtblicke. Ausgerechnet der Track mit dem dämlichsten Titel ist musikalisch der erträglichste. "Emotions In Dessous" hat einen netten Beat, mit schöner Melodie und groovigen Drums. Wer "Deja Vu" mit "Rendezvous" und "Dessous" reimt, gehört Songwriter-technisch aber leider eher in die Kategorie kognitive Sackgasse.
Zeilen wie "Brauchst du ein'n Playboy, der gut küssen kann / Oder ein'n Typ, der in deine Geschichte passt?" oder "Ich komm' nachts, wenn sie schlafen, als wenn ich niemals da war / Und dreh mit dir dein OnlyFans ab" auf "Fehler" machen das wirklich nicht besser. Wenn die Musik stimmt, muss es von mir aus nicht immer Lyrik-Gold sein, aber auf "Emotions" ist eben beides für die Katz.
Der musikalische Tiefpunkt ist dann auf Singers Neuauflage von Alphavilles "Forever Young" erreicht. Hier hätte der Songtitel "Fehler" schon deutlich besser gepasst. Immerhin ist er nach circa zwei Minuten überstanden. Allgemein muss man lobend erwähnen, dass von den 13 Songs nur ein einziger die drei Minuten-Marke überschreitet, somit ist man nach gerade einmal knapp einer halben Stunde erlöst. In Anbetracht dessen stört nicht mal das Vanessa Mai-Feature auf "Als Ob Du Mich Liebst".
In knapp zehn Jahren hat Mike Singer sich vom belächelten The Voice Kids-Teilnehmer zur Fernsehpersönlichkeit und zum Popstar mit mehreren Nummer Eins-Hits gemausert. Egal wie sympathisch man ihn findet, dafür verdient er Respekt. Musikalisch hat er mit "Emotions" aber wie gewohnt bis zu den Schultern ins Klo gegriffen.
Ich kenne ihn nicht persönlich, aber wenn man die Texte durchliest, fragt man sich schon, ob der gute Mike seinen Kopf beim Songwriting ausschließlich als Hutständer benutzt. In der Pressemitteilung heißt es, er würde "Emotions" mit den drei Emotionen Liebe, Freude und Leid beschreiben. Ich habe beim Hören leider nur letzteres verspürt, für seine treue Singer-Army war es natürlich trotzdem das beste Album des Jahrhunderts. Jedem das seine.
9 Kommentare mit 3 Antworten
Noch so eine deutsche Künstlerattrappe für anspruchslose Musikhassende. Alleine das Frontcover erzeugt schon so viel Fremdscham, dass man dem jungen Mann dafür am liebsten in die Visage brechen würde.
Das Cover MUSS einfach in die Worst Covers-Jahresliste!
Wenn ich mir die Kommentare unter einigen Videos so durchlese, bekommt das Wort "Parallelgesellschafft" für mich eine ganz neue Bedeutung...
https://www.youtube.com/watch?v=Sq5w73UfISM
Ich hoffe für alle dort, dass sie nur Bots sind.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Okay musste grad so lachen das zu lesen HAHAHA wtf ist dir das nicht peinlich, deine Meinung juckt sowieso niemanden
13 Tracks, 2 Cover und knapp 30 Minuten...der kreative Output ist erschreckend ????
Meine Meinung: Wenn man keine Songs schreiben kann, ist keine Schande, sollte man das den Profis überlassen, das machen viele ganz Große auch so und dann muss man sich auch nicht schämen und sich vor vernichtenden Kritiken ängstigen ????