laut.de-Kritik

Extrem kurzweiliger Trip in die Mixtape-Kultur.

Review von

Seit Jahren zeichnet sich eine konsequente Rückbesinnung auf haptische, traditionelle Tonträger ab. Vom Vinyl, das schon längst nicht mehr nur ausgewiesene Nerds liebkosen, soll hier aber gar nicht die Rede sein. Auch die Tape-Kultur erfährt ein Revival. Nicht nur Alben bannen Künstler*innen – zuvorderst natürlich solche, die aus Nischen heraus agieren – immer häufiger auf Kassetten, auch das Mixtape feiert eine Renaissance.

Mit Modeselektor nimmt sich der Disziplin jetzt ein Act an, der mit Nischenmusik schon lange vor den Stadion-Ausflügen mit Moderat herzlich wenig zu tun hatte. Eine Reise in die eigene Vergangenheit, in der man selbst noch ein weitaus unbeschriebeneres Blatt war, ist "Extended" gleich in doppelter Hinsicht: Sebastian Szary und Gernot Bronsert stöberten fürs Mixtape einerseits in den Untiefen ihres Archivs, manche Tracks stammen aus den Zehnerjahren.

Andererseits reminisziert die Kassette an die eigene Rave-Vergangenheit, ist als Ode an den Exzess und die Afterhour gleichermaßen konzipiert. "Den Überfluss an Raves gab's in unserer Jugend nicht. Da war alle zwei Monate mal einer. Jeder hat da mal einen Mix aufgenommen. Auf Tape. Den hatten dann alle. Und das wollten wir weiterführen", erklären die beiden im GROOVE-Interview.

Das Mixtape selbst offenbart noch eine weitere Besonderheit: Alle 27 Tracks, die sich auf etwas über eine Stunde Spielzeit verteilen, stammen aus der eigenen Feder. Ein kräftiges künstlerisches Statement also in einer Zeit, in der sich die meisten Kolleg*innen in leeren Clubs die Finger an CDJS wund cuen.

Die Bandbreite fällt großzügig aus. Logisch, haben Szary und Bronsert während ihrer Karriere doch so einige Genres abgegrast und mal mehr, mal weniger gelungen hybridisiert. Bass Music, Dancehall, Techno, poppigere Electronica, Breaks – "Extended" vermengt sie allesamt, und zwar in beachtlicher Manier. "Bangface" etwa kommt in 8-Bit-Ästhetik daher, "1000 Kicks" wirkt im Anschluss wie eine possierliche Autechre-Hommage, ehe "Puls" den zweiminütigen Rave beschwört und "Soda" anschließend in trappigen Gefilden vibriert.

Diese stilistische Varianz findet sich auf "Extended" häufiger, was das Mixtape über alle Maßen attraktiv macht. Zum hohen Abwechslungsreichtum trägt natürlich auch die kurze Verweildauer – aber eben deshalb umso größere Halbwertszeit – der einzelnen Tracks bei. Kaum ein Titel dauert länger als drei Minuten, hat eine Skizze ihr Leben ausgehaucht, ziehen Modeselektor nahtlos die nächste Patrone.

Highlights gibt's zur Genüge: Da wäre das verspielte "Tacken", das vor Berliner Laissez-Faire-Mentalität nur so strotzt und verschiedenste Einflüsse destilliert, der epische Kickdrum-Techno von "Kupfer" oder das unmittelbar anschließende, dubbige "U8", das nicht nur an die bekannteste U-Bahnlinie der Hauptstadt, sondern auch an ihre musikalischen Neunzigerjahre erinnert.

Weitere Sehenswürdigkeiten Berlins – etwa den Club "OHM" oder das kürzlich wiedereröffnete "Stadtschloss" – klappern Szary und Bronsert danach ab. Gelungene Features kommen von Jackson And His Computerband und dem Dub-Künstler Paul. St. Hilaire. Letzteres schließt an das etwas düdelige "Disc" an, das man aber schon alleine deshalb nicht skippt, weil der nächste Übergang lockt.

Der extrem tiefschürfende Trip-Hop-Bass-Music-Beat läuft auf "Movement" einfach unbeirrt weiter, unter sanften Pads und dicken Rauchschwaden dringt St. Hilaires Stimme durch – ein weiteres Highlight, dieses Mal ätherischer Natur. Die über sechsminütige Ambient-Walze "Lockdown" bringt "Extended" schließlich auf die Zielgeraden.

Der Schulterblick offenbart vor allem eines: Die extreme Kurzweil, die dieser Tribut an die immer freimütiger vergessene Mixtape-Kultur der elektronischen Musik garantiert.

Trackliste

  1. 1. Minibus
  2. 2. Dentist
  3. 3. Sekt um 12
  4. 4. Tacken
  5. 5. Hood feat. Jackson And His Computer Band
  6. 6. Rainy
  7. 7. Hyendo Dancehall
  8. 8. Butlin's Minehead Interlude
  9. 9. Bangface
  10. 10. 1000 Kicks
  11. 11. Puls
  12. 12. Soda
  13. 13. Paradiso
  14. 14. Kupfer
  15. 15. U8
  16. 16. OHM
  17. 17. The Germs
  18. 18. Stadtschloss
  19. 19. Disc
  20. 20. Movement feat. Paul St. Hilaire
  21. 21. Keller
  22. 22. Mean
  23. 23. Klangkrieg
  24. 24. Cthulhu Drums
  25. 25. Bilbao
  26. 26. Lockdown
  27. 27. Devotion Is Such a Strong Word

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