laut.de-Kritik
Gen Z meets Gen X - Der Sound der 90er ist zurück.
Review von Rinko HeidrichRock-Musik sei nun wirklich tot. Selbst ein Gene Simmons von Kiss hält bereits die Grabrede auf ein Genre, das seiner Rockband eine lange und erfolgreiche Karriere bescherte. Schaut man in die Charts oder Musikmagazine, erblickt man im Jahr 2025 wirklich wenig Rock-lastige Bands, doch kann man bei Gen Z-Stars wie Olivia Rodrigo eine Vorliebe für Alternative Music der Neunziger ausmachen. Die Musik der Pixies, Breeders oder Hole, das merkt man bei längeren Abtauchen in TikTok oder Youtube, erfährt gerade eine Renaissance.
So sehen auch Etta Friedman und Allegra Weingarten aus, als ob gerade ein Casting für die großartige TV-Serie "My So Called Life" stattfindet. Der stylische Mode-Mix aus Minirock und Boots erinnert stark an die Zeit, die Videos bleiben dem grisseligen VHS-Look der MTV-Ära treu. Fehlt eigentlich nur noch, dass ein VJ wie Ray Cokes die Band anmoderiert. Die Twens von Momma sind allerdings Kinder des Internet-Zeitalters, die viel Zeit auf last.fm und Tumblr verbrachten und wahrscheinlich mehr über längst vergessene 90er-Bands wie "That Dog" wissen, als so mancher Ü40er.
Um so großartiger, wie mühelos sie den Sound in die Jetzt-Zeit transportieren. Wäre da nicht die etwas zu gute Produktion direkt zum Einstieg von "Sincerely" könnte man von einem tollen Zufallsfund auf einem Flohmarkt ausgehen. Ein kleiner Vorgeschmack auf alles, was in "Welcome To My Blue Sky" passiert und eine sehr gelungene Mischung aus Grunge und einem feinen Gespür für poppige Shoegaze-Melodien verspricht. "I Want You Fever" ist in den USA ein kleiner Hit, den die Band auch schon bei Jimmy Kimmel live aufführte. Hier findet genau das statt, was Rockfans schon länger einfordern: Etta und Allegra haben wirklich Spaß, verlassen sich dabei aber nicht zu sehr auf Attitüde, denn die schreibt nun mal nicht allein Ohrwürmer wie "I Want You Fever". Es braucht nur einen kurzen Augenblick, und schon singt man den Refrain mit. Das erinnert deutlich mehr an Garbage als an den ungleich kompromissloseren Sound von Bikini Kill oder The Breeders, die Band von Nirvana-Produzent Butch Vig, die schöne Pop-Melodien mit ordentlich Gitarren-Wumms verband.
Momma wissen auch um die den genau richtigen Zeitpunkt, wann ein verträumter Shoegaze-Moment in zu große Beliebigkeit abrutscht und zu viel Pop in eine Belanglosigkeit fühlt. Das Zauberwort heißt hier Verdichtung. Momma wollen kein neues "Nevermind" erschaffen, sondern den unbeschwerten Rock-Summer 1992 in eine kaputte Gegenwart überführen.
Dass Momma ganz gut den Neunziger-Vibe einfangen, konnte man schon auf dem vorigen Album "Household Names" hören. Ein nettes Schrammel-Album, das noch Pavement und ihrem sympathisch-luschigen Lo-Fi-Rock nacheiferte. "Welcome To My Blue Sky" möchte eindeutig mehr. Die Credits für die mächtige Produktion gehen an Arron Kobayashi-Ritch, der trotz seines jungen Alters mühelos mit den Großen mithalten kann. Egal ob "Stay All Summer" oder "My Old Street", die schönen Melodien bekommen genau den satten Wumms, damit sie noch länger als einen kurzen Moment im Gedächtnis bleiben. Noch schöner ist dabei, dass Momma eine der wenigen Rockbands sind, die nicht im Selbstmitleid versinken.
"Welcome To My Blue Sky" ist ein fast perfekter Indie-Roman. Mit Freundschaften, Herzschmerz, Angst und noch mehr Lust auf das große Leben. Die beiden Frontfrauen inszenieren sich in den Lyrics als sympathische Loserinnen, die nach einem turbulenten Sommer den ganzen Scheiß in ihrem Leben hinter sich lassen. So fahren sie also mit dem Auto dem Niemandsland im Mittleren Westen davon und lassen jeden Mist aus dem früheren Leben hinter sich. Stoff aus einem Adoleszenz-Roman. Das große, weite Amerika ist eben noch immer noch das Sehnsuchtsland wie in den Serien, mit dem immer blauen Himmel und viel zu gut aussehenden Skater Kids.
Momma ist eigentlich eine Band, die man mit "Ganz nett, aber das nächste Mal eigene Ideen" nach Hause schickt. Das ist hier ganz anders. "Ohio All The Time", "How To Breath" und "Take Me With You" darf sehr gerne die Smashing Pumpkins beklauen, weil Billy Corgan einfach nicht mehr weiß, was seine Band in den Neunziger so übergroß für die Gen-X-Jugend machte. Etta und Allegra haben wohl "Gish" und "Siamese Dreams" sehr aufmerksam gehört. Corgans Monumental-Werk "Mellon Collie And The Infinite Sadness" wurde einst vorgeworfen, dass es den Alternative-Rock an den Mainstream verkaufte, aber vielleicht gelingt Momma nun die Wiederbelebung eines langen totgeglaubten Genres und das Ende Middle-Of-Road-Pop.
Auf einem Instagram-Foto machten die beiden Frauen schon einen Spaß darüber, dass sie der nächste Support-Act für Taylor Swift seien. Das wäre leider wieder eine typische Story unsere Gegenwart, in der sich Indie-Acts allzu schnell von Mainstream-Unternehmen vereinnahmen lassen. Also noch schnell den vielleicht letzten, unschuldigen Spaß-Moment einer tollen, neuen Band genießen.
1 Kommentar
Sympathische Band und "Medicine" vom Vorgänger war 2022 einer meiner Lieblingssongs.