laut.de-Kritik
Ein Monster-Rausch mit Spaceships, Asteroiden und Mushrooms.
Review von Michael SchuhEs gibt diese Alben, bei denen man schon beim ersten Einsatz der Instrumente spürt, dass da etwas Besonderes vor sich geht. Wo einem klar wird, dass nun eine neue Zeitrechnung beginnt. "Gardenia" auf "Welcome To Sky Valley", "Bombtrack" auf "Rage Against The Machine", natürlich "Smells Like Teen Spirit" auf "Nevermind", es gibt viele Beispiele. Auch "Dopes To Infinity" zählt in diese Kategorie: Das aufsteigende Riff des Titeltracks war Anfang 1995 zwar keine Neuerfindung des Rock, pulverisiert aber den kompletten Album-Vorgänger "Superjudge" in gerade mal 30 Sekunden. Vom Grad der Druckwelle her vergleichbar mit "Sweet Leaf" von Black Sabbath, noch so ein extraordinärer Album-Opener.
Monster Magnet-Vordenker Dave Wyndorf löste mit diesem Album ein Versprechen ein, dass er sich nach der unzureichenden "Superjudge"-Produktion selbst auferlegt hatte: Einen Bandsound zu kreieren, der die Zeit überdauern und die Marke Monster Magnet im Rock'n'Roll etablieren würde. Mission erfüllt. "We are all here my friends / alive and spaced but all so beautiful", kreischt er zu gewohnt zäher wie muskulöser Gitarrenarbeit. Für die Band ist diese dritte Platte eine Wegmarke, zumal mit "Negasonic Teenage Warhead" der erste Hit gelingt, wenn auch nicht in dem ausschweifenden Maße, wie vom Majorlabel A&M Records erwartet. Ihr persönliches "Smells Like Teen Spirit" sollte erst drei Jahre später erscheinen: "Space Lord" auf dem Phallus-Manifest "Powertrip".
"Dopes To Infinity" ist dagegen ein homogener Psychedelic-Trip mit endlos ausufernden Trance-Passagen und monströsen Riffs. Dass aus diesem Soundbrett überhaupt eine Single abfiel, ist ein kleines Wunder. "Negasonic Teenage Warhead" weist insofern schon den Weg hin zu "Space Lord", als dass Wyndorf hier erstmals sein Talent für einen kompakten Rocksong mit unverschnörkeltem Hit-Refrain offenlegt. Erstmals springt dem unbedarften Radiohörer die Heavyness der Gitarren nicht mehr mit dem Gesäß ins Gesicht, wie noch zwei Jahre zuvor etwa in der Single "Twin Earth". Über die gesamte Albumlänge achtet Wyndorf auf den Songcharakter und lässt die Tracks nie zu ausdruckslosen Jams zugedröhnter Drogenhippies verkommen, als die man die Band seinerzeit betrachtete. Ironie der Geschichte: Wie die beiden Vorgänger wurde trotz des Albumtitels auch "Dopes To Infinity" in komplett rauschfreiem Zustand aufgenommen. Mit knapp 1000 Dollar Studiokosten pro Tag konnte sich eine Band vom Schlage Monster Magnet keine Extravaganzen erlauben.
Auch der um Längen bessere Sound des Albums trägt zum Aha-Effekt bei. Die Platte ist gut gealtert. Diese Leistung darf sich erneut Wyndorf ans Revers heften, da er auf einen externen Produzenten verzichtete, obwohl das Geld dank des Grunge-Hypes auch bei A&M 1994/95 eher locker saß. Er wollte aber nach eigener Aussage keinen Bob Rock oder Dave Jerden oder "all die Typen, die Pearl Jam nach Pearl Jam klingen lassen und Metallica nach Metallica. Ich wollte klingen wie Monster Magnet. Also habe ich es allein durchgezogen." Tauchte die psychedelische Lavalampe "Spine Of God" 1991 noch jeden Kifferhaushalt zwischen Velvet Underground und Spacemen 3 in purpurnes Licht, rammt "Dopes To Infinity" mit Härte und exquisitem Songwriting-Gütesiegel den Trademark-Pflock von Monster Magnet in den Boden: Magnet Bloody Magnet! "Look To Your Orb For The Warning" steht exemplarisch für das dynamische Wechselspiel von harten und psychedelischen Passagen, das die Band bis heute auszeichnet.
Abermals taucht Wyndorf tief in seine Hirnkammern hinab, um sich an die Rauscherfahrungen der eigenen Jugend zu erinnern, die er dann in halluzinogenen Soundtrips umsetzt. So lässt er den Beatles-"Revolver"-Track "Tomorrow Never Knows" in "All Friends And Kingdom Come" neu erblühen. An der Lyrikfront erachtet er es für überfällig, Spaceships, Asteroiden und Mushrooms als zentrale Themen miteinander in Beziehung zu setzen. Um das Gesamtkonstrukt nicht zu zerstören, verzichtet er auf den Abdruck der Texte. Wer einen adressierten und frankierten Rückumschlag parat hatte, konnte sie sich zusenden lassen. Crazy 90s!
Umgekehrt weiß Wyndorf auch, wann es besser ist zu schweigen: Der Instrumental-Brecher "Ego, The Living Planet" planiert die Albummitte mit der Filigranität eines 80-Tonners. Karma To Burn dürften hier sehr genau hingehört haben. Der Titel selbst rekurriert auf einen Charakter aus seinen geliebten 60s-Marvel-Comics. Songs, die von Akustikgitarren getragen werden oder die Stakkato-Riffs zugunsten von poppigen Melodien außen vor lassen ("Blow 'Em Off", "Dead Christmas") sollten die Atmosphäre auflockern, was schließlich schon auf den alten Led Zeppelin-Platten gut geklappt hat. Auf deren altem Soundboard wurde "Dopes To Infinity" in den New Yorker Magic Shop Studios auch aufgenommen.
Die romantische Vorstellung von vier Rock'n'Roll-Buddies, die mit etwas Vorschuss in der Tasche ihren großen Traum vom gemeinsamen Hit-Album verwirklichen, trifft auf "Dopes" jedoch nicht zu. Vielmehr gab es richtig Stress hinter den Kulissen. Soundingenieur Joe Warda trieb die Band mit seinem perfekten Gehör teilweise zur Verzweiflung. Die Vorzüge von Pro-Tools hätten sie ein paar Jahre später aufgrund dieser extrem pedantischen Erfahrung kaum noch beeindruckt, scherzten die Beteiligten später. Im Vergleich zu den "Superjudge"-Sessions, in denen man die Songs in wenigen Tagen runterzockte, verlief der Aufnahmeprozess nun in Zeitlupe.
Aufgrund von persönlichen Problemen konnte sich Bassist Calandra nicht auf seine Parts konzentrieren und empfand die Anwesenheit von Bluthund Warda als dementsprechend angsteinflößend. Als er den Soundmann eines Tages fragte, wie er denn mit so einem Gehör privat Musik genießen könne, erhielt er die Antwort: "Oh, ich kann das ausschalten, wenn ich muss." Darauf Calandra entnervt: "Dann schalte es aus, Mann!" Aber es war zu spät: Irgendwann teilte ihm Wyndorf mit, dass Gitarrist Mundell die Bass-Parts einspielen würde.
Wyndorf selbst, der so gut wie alle Songs schreibt, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass Monster Magnet seine Vision ist, die er mit befreundeten Musikern verwirklicht. Selbst Dauernörgler wie Drummer Jon Kleiman, der "Superjudge" öffentlich als "Scheißalbum" bezeichnete, durften im Boot bleiben, so lange sie ihre Funktion erfüllten: Wyndorfs Songs nach seinen Wünschen einzuspielen. Auch Gitarrist Ed Mundell schüttelte nicht alles aus dem Ärmel: "Das Schwierigste, was ich in meinem ganzen Leben hingekriegt habe, war der Basspart zu 'Dopes To Infinity'. Es war das erste Mal, dass wir den Bass auf C gestimmt hatten. Es war die Hölle, alles auf den Punkt zu spielen. Ich weiß noch, wie ich nach sechs Stunden Arbeit an einer Basslinie ins Bad ging, mich an die Wand lehnte und dachte: 'Bitte, lass mich das fehlerfrei durchspielen'."
Das Ergebnis gibt allen Beteiligten Recht: "Dopes To Infinity" steht 20 Jahre später hoch oben in der Ruhmeshalle des Space Rock, auch wenn es kommerziell seinerzeit nicht den Ansprüchen des Labels genügte. Was auch Dave Wyndorf zu hören bekam: "Ich regte mich tierisch auf und rief: 'Was wollt ihr denn? Titten und Kohle auf dem Cover?' Ich beschloss im selben Augenblick, das nächste Album in Las Vegas aufzunehmen und es diesen Typen heimzuzahlen. Die Rapper waren die einzigen, die sich damals wie Rockstars aufführten. Kurt Cobain, der größte lebende Rockstar, bringt sich um und sagt: 'Hey, es lohnt sich nicht.' Das hat ein furchtbares Zeichen gesetzt. Ich dachte nur, fuck this, gib mir Lederhosen und dann habe ich 'Powertrip' geschrieben, unsere erfolgreichste Platte." Well done, chap!
[Im Februar 2016 sind die A&M-Alben "Superjudge", "Dopes To Infinity", "Powertrip" und "God Says No" als 2CD/2LP mit neuen Liner Notes von Dave Wyndorf erschienen.]
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
8 Kommentare mit 5 Antworten
Sehr guter verdienter Meilenstein; Wieder eine Band wo man sich zwischen dem Meilenstein-Album, dem davor und dem danach nicht entscheiden kann welches man nun wählt weil alle etwas haben was für sie spricht.
Sind damals nach Eindhoven gefahren zum Metal gucken, Karre voller Dosenbier und dopes to infinity bis zum Abnicken gehört. Wenn ich mir die heute nach vielen Jahren mal wieder anhöre, muss ich sagen, dass es nicht mehr so meins ist, aber die Erinnerung an die Verzückung ob der Flanger- und Phaser-geschwängerten Riffs ist eine gute.
lass mich raten: dein name ist mick und du bist ein großer freund der pommesgabel
ist Metal-Bashing jetzt eigentlich ein neuer Bandwagon?
Nein.
Zumindest kein neuer.
sowas stinkt, habt euch lieb
Gute Wahl, allerdings gefällt mir die Superjudge noch besser, weil Sie gerade nicht so glatt produziert ist und das Exzessive Moment besser zum Tragen kommt.
Egal, Monster Magnet waren in den 90er Jahren eine wichtige Band, da hier Drogen und Exzess ein überzeugendes Fest feiern ...
Eine meiner langjährigen Lieblingsbands und ein absolut gerechtfertigter Meilenstein. Wobei ich persönlich gar nicht den einen Überhit oder das eine Überalbum herausstellen könnte, MM überzeugen mich eher als Gesamtwerk, von dem unverzeilichen Monolithic Baby mal abgesehen. Anyway, die Reissue der drei A&M-Alben befindet sich schon auf dem Weg zu mir.
♥
"Phallus-Manifest "Powertrip""
Fühlt sich nach einem Mann an, der einen zu Kleinen in der Buchse hat und trotzdem meint er hätte nen Riesenknüppel dabei. Welche Muschi fällt mir eigentlich ein, beim nächsten Muschi-Manifest? Nichts für ungut Herr Schuh.