laut.de-Kritik

So dynamisch und groovend hat man die Band selten gehört.

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Es hat lange Tradition, nach Montreux auch Musiker einzuladen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt auf ein Jazzfestival gehören – und diese nahmen dann im Falle von zum Beispiel Willy DeVille, Toto oder Simply Red auch gleich ein Livealbum auf. Motörhead gesellen sich also in eine illustre Reihe, zu der sie mit dem ganz hervorragend gelungenem "Live At Montreux" beitragen.

"Guten Abänd, Bon Soir, Buongiorno" beginnt Lemmy das Konzert in Montreux 2007. "Here's A Little Jazz For Ya", garniert mit dreckigem Lachen, und schon sind wir in "Snaggletooth", einem ganz exzellenten Opener, der zeigt, wie der in der Studioversion etwas schwachbrüstige Song eigentlich klingen sollte. Der Bass feiert wilde eigene Partys, und das wird auf Albumlänge so bleiben.

Die Verantwortlichen am Genfersee wissen, was sie tun, und das beweisen sie, indem sie die drei Dämonen mit einer handwerklichen Souveränität auf Scheibe bannen, dass es eine Freude ist. So wuchtig, so klar verständlich im Gesang, aber vor allem so dynamisch und groovend hat man Motörhead beileibe nicht immer gehört. In dieser Leistung besteht der USP von "Live At Montreux", zu dem die Band aber einen gehörigen Anteil beiträgt.

Schon auf Song Zwo, "Stay Clean", ein Deep Cut von "Overkill", wird dem Hörer bewusst, wie glänzend Lemmy aufgelegt ist. Man sieht, dass die drei nach den endlich wieder umjubelten "Inferno" und "Kiss Of Death" ihren dritten Frühling genüsslich auskosten. Das Konzert war Teil der "Kiss Of Death"-Welttournee und bei weitem nicht das erste in einer langen Reihe. Ermüdungserscheinungen sind aber ein Fremdwort, schon "No Sleep 'til Hammersmith" wurde ja mitten in einer Tournee aufgenommen und blieb bislang das einzig relevante Live-Album der Band.

Auch Phil und Mikkey liefern glänzend ab. Das zeigt "Be My Baby", natürlich viel besser produziert als die ersten beiden uralten Songs, live entfaltet der neue Track aber gleichwohl mehr Groove als im Studio, ein klarer Mehrwert. Auf "Killers" glänzt Lemmys Bassspiel, auf "Metropolis" zeigt Dee den Jazzdrummern, wo die Harke hängt. Die Auswahl der Tracks ist einfach klasse. "Over The Top" ist das Protostück der frühen Motörhead, "One Night Stand" von "Kiss Of Death" ist gelungen. Doch warum die Periode in der Bandgeschichte zurecht mit als stärkste Schaffenszeit gilt, zeigen "In The Name Of Tragedy", das wirklich alles abreißrende Albumhighlight, und das ebenfalls blendend aufgelegte "Sword Of Glory".

Für Letzteres musste Lemmy im Übrigen auch gut drauf sein, damit es nicht ins Lakonische abdriftete, wie bei anderen Live-Auftritten gesehen. Hier hält er die Balance jedoch perfekt und so entfaltet das komplexe Stück seine Faszination. Der Lobesreigen hält an mit "Sacrifice" ("This is a very fast number. If you dance to this, you will not have children"), in Würzels letztem Werk übernimmt erneut Dee die Hauptrolle. "Just Cos' You Got The Power" ist selten der stärkste Track im Set der Mannen um Kilmister, hier jedoch ein bedrohliches Stück wankender Ekstase.

Das Niveau wird nicht durchgehend gehalten: Das Cover "Rosalie" von Thin Lizzy ist völlig sinnlos, wie die allermeisten Cover der Bandgeschichte. Andere Bands funktionieren nicht wie dieses Trio, und das wird um so auffälliger, wenn gute Songs anderer Bands durch den bandeigenen Mixer gejagt werden, um hinten seltsam schematisch rauszukommen. "I Got Mine" ist lediglich guter Standard, "Going To Brazil" ein nicht weiter erwähnenswertes Spaßlied. Auf "Killed By Death" geht Lemmy zum ersten Mal etwas die Puste aus, und "Iron Fist" war und bleibt kein besonders guter Song. Das eigentlich gute "Whorehouse Blues" verliert natürlich die Intimität, die es in der Studioversion auszeichnete, gerade nach einem so absurden Höllenritt wirkt es eher deplatziert.

Es folgen noch eine hochkompetente Version von "Ace Of Spades", die wie alle gelungenen Umsetzung dieses Klassikers kaum verständlich und ununterbrochen nach vorne gehend ausfällt, und zu guter Letzt eine aufopferungsvolle Version von "Overkill", die ohrenklingelnd in die Nacht entlässt. Natürlich fehlen Songs, die dem einen oder anderen noch einfielen, aber Quantität und Qualität von "Live At Montreux" sind aller Ehren wert. Wenn junge (oder Enddreißiger, die "Inferno" nicht mitbekamen) Leute nicht so recht wissen, was der Bohei um den toten Alki mit seinen zwei langhaarigen Freunden sollte, die, wenn man sich bei Spotify kurz durchklickt, Songs von eher historischem Wert geschrieben zu haben scheinen, dem sei "Live At Montreux" allerwärmstens empfohlen, auf dass er seine Meinung revidiere.

Trackliste

  1. 1. Snaggletooth
  2. 2. Stay Clean
  3. 3. Be My Baby
  4. 4. Killers
  5. 5. Metropolis
  6. 6. Over The Top
  7. 7. One Night Stand
  8. 8. I Got Mine
  9. 9. In The Name Of Tragedy
  10. 10. Sword Of Glory
  11. 11. Rosalie
  12. 12. Sacrifice
  13. 13. Just ‘Cos You Got The Power
  14. 14. Going To Brazil
  15. 15. Killed By Death
  16. 16. Iron Fist
  17. 17. Whorehouse Blues
  18. 18. Ace Of Spades
  19. 19. Overkill

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