laut.de-Kritik
Jetzt schwappt der Hype über den Deich ....
Review von Kai KoppMit ähnlicher Wucht wie der Hurrikane "Jeanne" über Amerika herfiel, fegt über Europa derzeit "Natasha" hinweg. Die 22-jährige englische Newcomerin Natasha Bedingfield sorgt für heftige Turbulenzen in den Charts, Video- und Airplaystationen diesseits und jenseits des Kanals. Von 0 auf 1 erklimmt sie in Windeseile die Pole Position der britischen Popcharts. Dann schwappt der Hype über den Deich.
Gegen so viel Vorschusslorbeeren anzuschreiben, ist wahrscheinlich so aussichtslos wie Don Quichottes Kampf gegen die Windmühlen, doch hält "Unwritten" nicht, was der Wirbel um Natasha Bedingfield verspricht. Die Single "These Words", die das Album eröffnet, kickt hauptsächlich aufgrund eines dreitönigen rhythmischen Motivs, das von einigen meiner Kollegen auch Killer-Hook genannt wird. Auf jeden Fall fräst es sich ab dem ersten Hören ins Gedächtnis und verhilft Natasha zusammen mit dem mitsingfreundlichen Refrain zum Ehrenplatz in der Hitliste.
Auch "Single" gehört mit trippig-dreckigem Ambiente zu den besseren Songs. Natasha Bedingfields glasklare Stimme kontrastiert das schleppende Playback hervorragend. Die erfahrene Handschrift vom Produzententeam Andy Frampton, Steve Kipner und Mark Stent (No Doubt, U2, Björk, Christina Aguilera, Janet Jackson) sorgt dabei für einen oberamtlichen Gesamtklang. Daneben verdeutlicht nicht nur die angezerrte Stimme in "I'm A Bomb" ihre witzigen, intelligenten und bisweilen schrägen Ideen, die der ansonsten sehr cleanen Produktion gut tun.
"Unwritten" flockt sehr nett, aber auch sehr dünn vor sich hin. Obwohl sich die Allerweltsphrasen und musikalischen Allgemeinplätze gehaltlos präsentieren, riechen sie sehr stark nach Melodien für Millionen und damit nach einer möglichen Singleauskopplung. Auch die folgende Ballade "I Bruise Easily" und das brav rockende "If You're Gonna..." tun niemand weh. Ebenso wenig wie "Silent Movie", das sich sehr englisch durchs Arrangement schrammelt, während "We're All Mad" mit allem Schnickschnack eines herkömmlichen Popsongs hausiert.
In die fröhliche Welt des Garage entführt der 2Step-Hüpfer "Frogs & Princes", der nur im knappen Intro-Motiv die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Inhaltsstoffe von "Drop Me In The Middle" runden das massenkompatible Genrekaleidoskop um R'n'B, Hip Hop und Rap-Anleihen ab. Dann ist mit "Wild Horses" endlich Schluss. Auch die Rauswurf-Ballade mit anschließendem Ghost-Track hält wenig Aufregendes bereit.
Musikalisch hält sich die Substanz von "Unwritten" also in überschaubaren Grenzen. Vielleicht lohnt ein Blick auf die Texte? "Ich hasse es, wenn Songs voll sind mit hohlen Phrasen. Meine Lyrics sollen Gedankenanstöße liefern, nicht langweilen" beteuert die bekennende Sprachfetischistin. Entweder ich bin zu alt oder zu kompliziert, aber Lieder, die sich um nette persönliche Teenager-Erlebnisse (incl. Erste Liebe und Party) kümmern, versetzen meine Hirnströme nur in diskrete Wallung. Hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander, wenn auch auf äußerst charmante Weise, wie die 'Ich will den größten Liebeshit aller Zeiten schreiben aber mir fällt nichts ein'-Schreibblockaden-Reflektion von "These Words" beweist.
O.k., sie ist jung, sieht verdammt gut aus, verstrahlt eine ausgelassen-unbeschwerte Aura und macht nette Musik. Aber deswegen vor Euphorie gleich Fieberschübe kriegen? Es ist aufgrund massiver PR-Arbeit zwar unwahrscheinlich, aber vielleicht löst sich der Hype um Natasha Bedingfield sehr schnell wieder in die heiße Luft auf, aus der er gestrickt ist.
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