laut.de-Kritik
Sein bestes Album seit Jahren dank George W. Bush.
Review von Giuliano BenassiDie Hauptelemente der Musik Neil Youngs sind überschaubar und bekannt: Ein paar Akkorde, verzerrte oder akustische Gitarren, eine hohe, angestrengte Stimme sowie Texte, die zum Nachdenken anregen. Da die Lieder aus dem Kanadier nur so heraussprudeln, reihen sich bessere Alben an weniger gute. Durch das Erscheinen seiner Werke im Jahresrhythmus ist der unterschiedlichen Qualität nur mit Geduld beizukommen.
Statistisch gesehen musste auf die eher schwachbrüstigen "Greendale" (2003) und "Prairie Wind" (2005) wieder eine Platte folgen, die aufhorchen lässt. Die mathematische Berechnung ist diesmal richtig: Titel wie "Living With War" und "Impeach The President" weisen darauf hin, das Young mal wieder Lust hat, explizite Worte zu wählen.
Vielversprechend gehts sogleich los: Verstärker an, Riff mit drei Akkorden, Schlagzeug, Stimme. "Wir werden keine Schattenmänner brauchen, um zu regieren. Wir werden keinen verdammten Krieg brauchen", trägt Young in "After The Garden" vor. Das Thema ist umrissen: Es geht um den Irak und um die Lösung für eine menschliche wie politische Katastrophe.
"Jeden Tag lebe ich mit dem Krieg. Jeden Tag lebe ich mit dem Krieg in meinem Herzen. Auch jetzt, in diesem Moment, lebe ich mit dem Krieg", heißt es im Titeltrack. Wer ist schuld an dieser Lage? Einerseits die Werbung und die großen Konzerne mit ihren falschen Versprechungen ("The Restless Consumer", auf dem sich Young auf die Seite der Globalisierungsgegner schlägt), aber vor allem die Politik. "In den Tagen von 'Mission erfüllt' landete unser Chef auf einem Flugzeugträger. Die Sonne ging über einer goldenen PR-Kulisse unter. In den Tagen von 'Mission erfüllt'".
Der "Chef" ist natürlich George W. Bush. "Der Präsident gehört abgesetzt, weil er gelogen und unser Land unnötig in den Krieg geführt hat. Er hat die Macht missbraucht, die wir ihm erteilt haben. Er hat all unser Geld verprasst. Wer ist der Mann, der all diese Kriminellen angeheuert hat? Die Schatten im Weißen Haus, die hinter verschlossener Tür die Fakten solange umformen, bis sie zu ihrer Erklärung passen, warum wir unsere Männer in den Krieg schicken müssen", lauten die ersten zwei Strophen von "Impeach The President". Und so geht es weiter, garniert mit Bush-Zitaten im O-Ton.
Natürlich könnte man hier einbringen, dass a) Young nur ein Wahl-Ami ist, und b) dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen im Irak stationiert sind. Aber dies zielte am Konzept vorbei: Der Irak-Krieg ist eine globale Angelegenheit, die in Bush ihren Ursprung und ihr Ende hat. Mit einem anderen Präsidenten wäre die Angelegenheit ganz anders verlaufen, zeigt sich Young überzeugt. "Unter uns gibt einen starken und ehrlichen Menschen, der uns aus der Trostlosigkeit führen kann … Ich hoffe, dass er seiner Berufung folgt. Vielleicht ist es diesmal eine Frau oder ein schwarzer Mann", wünscht er sich in "Lookin' For A Leader". Eine Formulierung, die Condoleezza Rice explizit ausschließt.
Ein "Metal Folk Protest"-Album nennt Young sein neuestes Produkt. Metal ist vielleicht etwas übertrieben, aber immerhin packt er wieder das Effektgerät aus, das schon auf "Ragged Glory" und der B-Seite von "Rust Never Sleeps" ordentlich knarzte. Während Chad Cromwell (Schlagzeug) und Rick Rosas (Bass) brav im Hintergrund wirken, kommen zwei im ersten Moment verdächtige Elemente hinzu: Eine Trompete und ein 100-köpfiger Chor. Wer noch "Landing on Water" in Erinnerung hat – Nomen est Omen – wird erschrocken zusammenzucken, aber die Stimmen passen erstaunlich gut zur Gitarre und zu Youngs Anklagen. Gerade die vokale Begleitung erweckt den Eindruck, dass es sich hier um eine Volksbewegung handelt – was wohl auch Youngs Absicht war.
Nicht zufällig ist auch die schlichte Gestaltung von Cover und Booklet, die wie beschriebene braune Papiertüten erscheinen - der Inhalt ist offenbar so brisant, dass er nur unter der Ladentheke und anonym verpackt zu haben sein sollte. Aus europäischer Sicht trägt Young sicherlich keine unerhörten Gedanken vor, ein so expliziter Angriff auf die Politik kommt dennoch überraschend, zumal er sich in letzter Vergangenheit in dieser Hinsicht verdächtig ruhig verhalten hat.
Bei soviel Gehirnarbeit wäre es vermessen, revolutionär neue Melodien zu erwarten - schließlich hat Young gerade zwei Wochen gebraucht, um die Texte zu schreiben und die Platte einzuspielen. Immer wieder schimmert Bekanntes durch, am deutlichsten in "Shock And Awe", das sich großzügig bei "The One I Love" von R.E.M. bedient. Doch Young zitiert auch sich selbst, etwa mit "Flags Of Freedom", das stellenweise wie eine verzerrte Version von "Thrasher" klingt. "Roger And Out" erinnnert an Bob Dylans "Knockin' On Heaven's Door" und dem eigenen "Keep On Rockin'", während bei "Families" Bruce Springsteen seine Finger im Spiel hat.
Youngs Lösung für das brennende Führungsproblem lautet: Verbesserung durch Wandel. "America is beautiful, but it has its ugly side", singt er in "Lookin' For A Leader". Die Hoffnung liegt in der Selbstreinigungskraft des Landes und in der Unterstützung von oben. So ist es folgerichtig, wenn auch etwas kitschig, dass sich der Chor zum Schluss ins Zeug legt und die erste Strophe des Traditionals "America The Beautiful" anstimmt. "America, America, God shed His grace on thee / And crown thy good with brotherhood from sea to shining sea", lauten die letzten Worte des Albums. Wenn sogar Neil Young Gottes Hilfe ersucht, muss die Lage ziemlich verfahren sein.
18 Kommentare, davon 13 auf Unterseiten
[b:c648794856]LET'S IMPEACH THE PRESIDENT!!![/b:c648794856]
das kann man wohl als leitsatz für dieses (protest-)album sehen, welches in nur 2 wochen entstanden is...neil young lässt es krachen...auch ohne crazy horse schrammelt der gitarrensound so wie zu besten zeiten mit dieser begleitband...an den einsatz von trompete und 100-köpfigem chor muss man sich zwar bei den ersten beiden liedern erst gewöhnen, aber spätestens ab "the restless consumer" haut das schon hin...sehr gut gemacht find ich auch die reingeschnittenen statements von george w. bush bei "let's impeach the president"...
ich finde das album toll!
[b:c648794856]SO MUSS EIN ARSCHTRITT GEGEN GEORGE W. BUSH KLINGEN!!![/b:c648794856]
Ein Kanadier gegen Bush...mutig.
Aber eigentlich hat er ja immer noch seine Ranch/Farm in CA., Neil, mein ich,...oder?
Und lebt mit Green Card in den USA?
Was Neil Young an politischen, philosophischen und sonstigen Wahrheiten zu verkünden hat, kann selbst ein ausgesprochener Freund seiner Musik - wie ich - beim besten Willen nicht mehr ernst nehmen. Er hat sich schon früher mit seinem 80er Redneck-Country-Album "Old Ways", seiner Reagan-Bewunderung, seiner pro-Atomkraft-Kampagne oder mit seinem fürchterlichen Patriotismus-Stück "Lets Roll" irgendwie völlig aus dem weiträumigen Bereich herausbegeben, für den ich noch die Bezichnung "sympathischer Spinner" übrig gehabt hätte. Der Mann ist einfach krank.
@kukuruz (« Was Neil Young an politischen, philosophischen und sonstigen Wahrheiten zu verkünden hat, kann selbst ein ausgesprochener Freund seiner Musik - wie ich - beim besten Willen nicht mehr ernst nehmen. Er hat sich schon früher mit seinem 80er Redneck-Country-Album "Old Ways", seiner Reagan-Bewunderung, seiner pro-Atomkraft-Kampagne oder mit seinem fürchterlichen Patriotismus-Stück "Lets Roll" irgendwie völlig aus dem weiträumigen Bereich herausbegeben, für den ich noch die Bezichnung "sympathischer Spinner" übrig gehabt hätte. Der Mann ist einfach krank. »):
und du hast seit deiner geburt immer die gleiche meinung zu allem und wirst sie auch bis zu deinem tod nich ändern...
@musicmicha (« und du hast seit deiner geburt immer die gleiche meinung zu allem und wirst sie auch bis zu deinem tod nich ändern... »):
@kukuruz («
Was Neil Young an politischen, philosophischen und sonstigen Wahrheiten zu verkünden hat, kann selbst ein ausgesprochener Freund seiner Musik - wie ich - beim besten Willen nicht mehr ernst nehmen »):
Die letzte Aussage impliziert doch, dass ich ihn irgendwann mal schon ernst genommen habe! Sehr ernst sogar. Ein Film wie "Blutige Erdbeeren" (The Strawberry Statement, 1970) über die Studentenunruhen in den USA und die Proteste gegen den Vietnamkrieg, in welchem unter anderen Neil Youngs "Helpless" zu hören ist, war lange Zeit eine Art Offenbarung für mich.
Dann kamen Dinge wie das völlig unmögliche "Landing on the Water"-Album, die erwähnte süßlich-konservative Cowboy-Musik, das Ronald Reagan-Engagement (unglaublich eigentlich!). Dann die ganze Atomkraft-Scheiße. Ich habe mir auch den von Neil Young gedrehten - ziemlich selten gezeigten - Trash-Film "Human Highway" angeschaut. Mein Herz ist wirklich sehr sehr weit für Kauziges aller Art, aber das ist wirklich .... einfach nur krank. Ändert nichts an meiner Meinung über einen großen Teil von Neil Youngs Musik: Aber inhaltliche Aussagen, politische gar, ausgerechnet von Neil Young, nehme ich nicht mehr ernst. Er wird nächstes Jahr möglicherweise für Nordkorea Partei ergreifen und übernächstes für den Ku-Klux-Klan.