laut.de-Kritik
Get fresh with me! Get funky!
Review von Philipp KauseNeneh Cherrys "The Versions" ist ein gut bestücktes Tribute-, Remix- und Best Of-Album in einem. Zehn neue Versionen beziehen sich auf ihre Charts-Phase. Alle weiblich besetzt, alle von der Künstlerin selbst ausgewählt. Enthalten sind vier Songs aus Nenehs Solo-Debüt "Raw Like Sushi" (1989), zwei aus ihrem zweiten großen Werk "Homebrew" (1992) und zwei Klassiker aus "Man" (1996).
Zur Relevanz und Geschichte des Ausgangs-Materials: Die meisten Songs erwiesen sich bereits bei Erscheinen als Remix- und Varianten-tauglich, "Buddy X" etwa mit The Notorious B.I.G.. Bei "Buffalo Stance" war Nenehs eigener "Sukka Mix" die dreckigste, aber auch entscheidende Fassung: "Give me a mothafucking break-beat!" Gerade die hier erwählten Tracks aus "Raw Like Sushi" wappneten smoothe Gesangs-Ummantelung mit scharfen Hip Hop-Nuggets fürs neue 90ies-Jahrzehnt, fürs Eindringen von Rap in den europäischen Mainstream - das rotzige "Heart" allen voran.
Es geschah, was selten glückt: Mit der Nachfolge-LP droppten Neneh und Ehemann Cameron ihre im Friends'n'Family-Kreise gebraute Klangvision "Homebrew" als zweiten groundbreaking Meilenstein. Langsamer, konsequenter im Offbeat, mit Trip Hop ein weiteres Mal der Welle voraus. Vorlagen wie "Manchild", "Woman", "Sassy", "Kootchi", "Buddy X" und "Kisses On The Wind" - zweifellos starke Classics.
Zwei Stücke weichen in den Covers ganz massiv ab, "Sudan Archives - Heart" und "Anohni - Woman". Andere entfalten eine dezidiert neue Atmosphäre lassen die Originale gleichwohl durchscheinen, so "Seinabo Sey - Kisses On The Wind" und "Jamila Woods - Kootchi". Ebenso finden Auffrisch-Cover ohne allzu tiefen Eingriff statt, so etwa Greentea Pengs Acid-Hop-Übernahme von "Buddy X". Fast schon eins zu eins und inklusive der originalen Scratch-Momente covern Robyn und Mapei die einstige Nummer 1 "Buffalo Stance". Was nimmt man als Feeling und Fazit aus der Sammlung mit?
Eine Fülle an Befunden: Schweden hat ja im Grunde eine große Pop- und R'n'B-Szene, und Nenehs Heimatkolleginnen Robyn, Mapei und Seinabo Sey vertreten sie. Doch Neneh wirkt über Generationen-Grenzen hinweg. Sudan Archives und Greentea Peng waren noch nicht auf der Welt, als die von ihnen erwählten Original-Songs erschienen. Außerdem kommt Frau Peng in ihrem heutigen persönlichen Trip Hop-Revival gar nicht an Neneh Cherrys "Homebrew" vorbei (wie wohl niemand, der sich ernsthaft mit diesem Genre beschäftigt).
Noch ein it-makes-click-Moment: Sia war tatsächlich in ihren Anfängen in einer Acid-Jazz-Band. Ihre super-zackig-groovende Reinkarnation des Spirits von "Manchild" geht mit diesen Wurzeln perfekt einher. Das dank der sphärischen Kelsey Lu doppelt vertretene "Manchild" belegt umso mehr, wie beeindruckend variabel Songs doch sein können.
Noch eine beglückende Erkenntnis: Cover-Alben können sich doch lohnen. On top spürt man, dass Nenehs Tochter Tyson mehr Beachtung verdient: Der coolste Beitrag ist "Tyson - Sassy". Tyson McVey erschien fast zeitgleich mit der ersten Neneh-Platte auf diesem Planeten. Und die wichtigste Schlussfolgerung aus "The Versions" lautet: Die Cherry-Songs altern faltenfrei.
Ob man "The Versions" denn auch gehört haben muss? Wer die Originale mag, wird jedenfalls Freude daran haben. Denn das Format gewinnt ihnen eine sympathische und spaßhaltige Mischung aus ungestelzter Wertschätzung und stimulierender Umwandlung ab. Neneh mischt in den Aufnahmen unauffällig mit. Sie prägt sie nicht, lässt ihre Followerinnen ohne Schere im Kopf machen.
Wo das vorzüglich funktioniert: Wenn sich bei Seinabo die Zeile "she blows some kisses on the wind" neun Mal hintereinander wiederholt und der Wind die Küsse nicht so schnell davon weht wie im 80er-Original. Wenn Soul-Hörner den Song auf ein anderes Gefühls-Level hieven, wo Abschied und Wehmut im Mittelpunkt stehen und nicht der komödiantisch-fröhliche Disco-Pop-Vibe von Nenehs Hit. Fokussiert mehr auf die Vereinnahmung durch Gefühle, als auf die ironische Pubertäts-Satire der Urheberin.
"More like a woman, she talks like one" kommt als getragener Balladen-Part, Seinabo und Neneh im Duett, von nicht viel mehr als Percussion und Kontrabass unterstützt. "She was the first girl / to turn the boys on" nimmt eine kieksige Kurve. Auf die spanische Textstelle des "Sushi"-Albums verzichtet Seinabo. "Boys, boys, wrapped around her finger / So young making love was only dreaming" - weicher, herzlicher Soul-Pop, magisch schön!
Anohni ergreift die Wahl fürs Lied "Woman" womöglich aus programmatischen Gründen. Als Antony mit seinen Johnsons aus der alternativen Theaterszene im Big Apple hervorgegangen, trat Anohni nach vielen Antony-CDs ab 2016 als Transgender-Woman in Erscheinung. Die doppelbödige Aussage des Songs, "There ain't a woman in this world / not a woman or a little girl / That can't deliver love in a man's world" passt gut zur Frage, was "Woman" und "Man" überhaupt trennt. Die Formulierung ist für Deutung offen, die vergossenen Tränen lenken aber bereits Richtung Ballade: "I've cried so many tears / even the blind can see."
Wo 1996 Melodramatik und Schwung nah beieinander lagen, dimmt Anohni die Neufassung auf eine nachdenklichere Ebene. Leidvoll, verletzt und fragil klingt ihr langsamer, behutsamer Vortrag. Während Sudan Archives für "Heart" ebenfalls auf die Slo-Mo-Variante, zudem auf Cello und Handclapping setzt, muss die am weitesten vom Ursprung entfernte Version eines Songs nicht die beste sein. Sie verhält sich aber authentisch. Denn sie hört sich zutiefst nach dieser sperrigsten und sprödesten R'n'B-Künstlerin unserer Tage an, die sie wohl ist.
Jamila Woods hatte keine große geschmackliche Entscheidung zu treffen. "Kootchi" spielt den Traum von einem Orgasmus durch und ist ein reinrassiger 90er-Jahre-Tune, den im Original die damals typische Pseudo-Industrial-Gitarre trägt. Was im Rückblick wirkt, als wäre Neneh zwischen Fury In The Slaughterhouse und Collective Soul ("Heaven let your light shine") versumpft, lässt sich heute kaum übernehmen. Jamila, unterschätzte Neo-Soulerin, bezieht "Kootchi" auf ein anderes Eintagsfliegen-Genre der Nineties: Acidjazz. Den kreuzt sie mit einer urbanen Sorte Dub, geprägt von scharfer Kante, Schnelligkeit und schroffen Beats.
"The Versions" bieten sehr schicke Outfits für essenzielle Tracks der Jahre '88-'96. In "Buffalo Stance" lautet die Frage: "Who's looking good today? / Who's looking good in every way?" Antwort hier: Die Stücke machen in jeder Pose und Verkleidung eine saugute Figur, in every way! Diese Retrospektive klingt bunt und 'woke'. In Nenehs Worten: "Get fresh with me! Get funky!"
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