Männer sind Schweine, Frauen wohl einfach bisschen doof. Der neue Roman des Ärzte-Drummers: eine öde Klischee-Parade. Schade.

Sasenheim (dani) - Die gute Nachricht: Bela B. Felsenheimers neuer Roman sieht wirklich gut aus. Hat hübsche himmelblaue Schnittkanten. Auf dem stylisch geprägten schwarzen Einband prangt in regenbogenfarbig schillerndem holografischen Silber der Titel: "Fun" (Heyne Verlag, 368 Seiten, gebunden, 24 Euro). "Ein großer Gesellschaftsroman über das Geschäft mit Macht, Ruhm und Fame", verspricht der Buchrücken, "über Scham, Schuld und Gerechtigkeit". Das Ganze verfasst von einem Autor, der mit seinem Vorgängerbuch bewiesen hat, dass er zum einen schreiben kann und zum anderen mit einer scheinbar unerschöpflich sprudelnden Fantasie gesegnet ist. Das kann ja nur gut werden.

Ja, von wegen. "Fun" entpuppt sich von vorne bis hinten als eine einzige Enttäuschung. Falls Felsenheimer hier mit aller Gewalt vermeiden wollte, ein zweites "Scharnow" zu liefern: Das ist ihm gelungen, in die Wiederholungsfalle ist er nicht getappt. Davon abgesehen, stimmt an "Fun" aber gar nichts. Wenn man sich schon ein so unerfreuliches Thema wie Machtmissbrauch in der Musikindustrie herauspickt, um einen Roman darum zu stricken, sollte die Behandlung desselben wenigstens irgendeinen Erkenntnisgewinn bieten. Figuren, die eine wie auch immer geartete Entwicklung durchmachen. Bestenfalls gibt es eine Moral, Überraschungspotenzial oder wenigstens eine nachvollziehbare Abfolge der Ereignisse.

"Fun" bietet nichts von alledem. Felsenheimer erzählt da eine Woche aus dem Leben einer Rockband nach. Die Combo namens nbl/nbl ist seit Jahrzehnten im Geschäft, sehr erfolgreich, steht im Begriff, drei Konzerte in einer Kleinstadt in der brandenburgischen Provinz zu spielen. Warum genau dort, wird, wie vieles andere, nicht so genau klar. Offensichtlich besteht irgendeine Verbundenheit zu dem Kaff namens Sasenheim, jedenfalls spielten nbl/nbl Jahrzehnte zuvor auch schon dort, wenn auch damals noch in einer kleineren Venue.

Die Vorbereitungen für die Shows laufen also auf Hochtouren, bis die Anzeige einer jungen Frau Sand ins Getriebe streut: Sie wirft zweien der Musiker Vergewaltigung vor. Während Tourmanagerin und Manager der Band versuchen, den drohenden Shitstorm irgendwie abzuwenden und die Maschinerie am Laufen zu halten, fahren die Bandmitglieder mit unterschiedlich dämlichen Aktionen den Karren tiefer und tiefer in den Dreck. Parallel dazu bereitet sich eine andere junge Frau auf den Konzertbesuch mit anschließender Afterparty hinter den Kulissen vor. Es liegt in der Luft, dass im Backstagebereich auch auf sie nichts Gutes wartet.

Ranzige Sex-Drugs-and-Rock'n'Roll-Fantasien

Die Parallelen zur Causa Rammstein liegen auf der Hand, wir haben "Row Zero" gelesen: "Fun" erzählt ebenfalls von ausgenutztem Machtgefälle, von Vergewaltigung, Nötigung, Übergriffigkeiten, von ignorierten, überschrittenen, eingerissenen Grenzen. Von Männern, die ihre ranzigen Sex-Drugs-Rock'n'Roll-Fantasien ausleben, und von Frauen, die dumm, eingeschüchtert oder starstruck genug sind, ihnen das zu erlauben, und zwischen diesen Fronten hampeln noch all jene herum, die wegschauen und die Mäuler halten, weil sich an dem hässlichen Spiel halt doch ganz gut mitverdienen lässt. Eigentlich durchaus spannender Romanstoff, bloß hat Felsenheimer auf gleich mehreren Ebenen versäumt, irgendetwas daraus zu machen.

Der Plot ist absehbar as fuck, dabei unrealistisch und obendrein unlogisch. Huh, die Band ist bereits vor über zwanzig Jahren schon am selben Ort aufgetreten. Huh, die Mutter dieser jungen Frau, die gerade dem Konzertbesuch entgegensieht, war früher auch Fan der Band, hatte mit den Musikern näheren Kontakt. Huh! Ahnste, ahnste? Da dieser Zusammenhang von Beginn an offen daliegt, schätze ich nicht, dass der Autor auf einen "Star Wars"-artigen "Du bist mein Vater"-Überraschungsmoment hingearbeitet und dabei komplett versagt hat. Wahrscheinlich sollte das eher ein Spiel mit "Sie werden doch wohl nicht!!!"-Empörung in voyeuristischer Erwartung eines dräuenden Inzests werden. Das funktioniert bloß auch nicht, weil einem die holzschnittartig grob gezeichneten Figuren meilenweit am Arsch vorbei gehen.

Männer sind Schweine, Frauen bisschen doof

Sämtliche auftretenden Männer - mit Ausnahme des einen Schwulen, versteht sich, "die" ticken ja ganz anders! - werden als schwanzgesteuerte Arschlöcher dargestellt, einzig und allein darauf aus, einen wegzustecken, ihren Schnitt zu machen, sich vor jeder Verantwortung zu drücken. Anstand, Freundschaft, Liebe, zählt alles nix. Musiker geifern Groupies hinterher, Chefs ihren Angestellten, Väter ihren gerade so erwachsenen Töchtern, Ehemänner vergehen sich an ihren schlafenden Frauen ... es ist ekelhaft und in seiner klischeehaften Eindimensionalität kolossal ermüdend.

Die weiblichen Charaktere geraten genau so flach, was besonders tragisch ist, weil ich schon den Verdacht habe, dass Felsenheimer versucht hat, sich als Ally gegen die überall im Kulturbetrieb und auch sonstwo herrschende toxische Männlichkeit zu positionieren. Ich habe das diffuse Gefühl, dass ihm starke, vielschichtige Frauengestalten vorschwebten. Herausgekommen sind dann aber ganz komisch unentschlossene, traurige, fremdbestimmte Gestalten, die sich letzten Endes allesamt herumschubsen und ausnutzen lassen und am laufenden Band in irgendwelche Situationen schlittern, in die sie nicht geraten wollten. Wie Frauen halt so sind. In Mario Barths Welt. Die Vorstellung, dass sich Frauen untereinander ausschließlich über Männer und die Menopause unterhalten, scheint auch in Felsenheimers Rübe tief zu sitzen. Jungejunge.

Nichts führt irgendwo hin

Aber was passiert denn nu? Eine Frau wird vergewaltigt, eine andere fast, eine dritte wehrt sich. Was aus Tätern wie Opfern wird, spielt überhaupt keine Rolle. Von wegen "Scham, Schuld und Gerechtigkeit": Niemand schämt sich, trägt so wirklich die Schuld oder erfährt Gerechtigkeit. Niemand bekommt Konsequenzen zu spüren, nichts führt irgendwo hin, und es ist ärgerlich egal. Zu wandelnden Klischees lässt sich aber einfach keine Beziehung aufbauen. Das hat immerhin den Vorteil, dass eine*n auch die Logikbrüche in der Handlung relativ kalt lassen. Woher genau wusste diese junge Protagonistin am Ende, wer ihr Vater ist? Wie realistisch erscheint überhaupt, dass eine 22-Jährige derselben Band hinterhereiert, auf die ihr (vermeintlicher) Vater steht, und 23 Jahre zuvor ihre Mutter?

Wie um alles in der Welt bringt diese Stalkerin die Handlung voran? Wozu taucht der nonbinäre Act auf, der in der anderen Location am Ort auftritt - nur um einen belehrenden Satz über die korrekte Verwendung von Pronomen einzuflechten? Und diese komische Mittelalter-Cosplay-Gesellschaft am Ende, was soll diese Szene? Das Ärgerlichste an diesem Buch ist, dass all das überhaupt auffällt. Wir sprechen hier immer noch von einem Autor, dem ich ohne mit der Wimper zu zucken durchgeknallte Freaks, sprechende Tiere, Menschen mit Superkräften und außerirdische Weltenlenker abgekauft und mich dabei prächtig amüsiert habe.

Zu Beginn hab' ich mich tatsächlich noch gefreut, dass es an ein, zwei Stellen Querverweise auf den Vorgängerroman gab, Ostereier, versteckt für die, die dieses frühere Buch mochten. Spätestens aber, als Felsenheimer eine seiner Figuren "Scharnow" als Urlaubslektüre anpreisen ließ, "Wirklich gut und deftig!", war es damit auch vorbei. Wie plump darf es denn bitte sein? Zumal mir ohnehin wie eine schlechte Idee vorkommt, in einem strunzlangweiligen Buch über ein tragisches Thema an einen um Welten besseren Roman zu erinnern. Im Vergleich mit sich selbst stinkt Bela B. Felsenheimer doppelt ab. Schade.

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