Er war der perfekte Hippie: kapitalismuskritisch, Öko-Aktivist, Friedens-Poet, engagiert für Refugees. Ein Mann für mehr als nur eine "Reggae Night".

Kingston (phk) - Jimmy Cliff ist heute im Alter von 81 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Der Multiinstrumentalist, Sänger und Songautor ist einer der Pioniere, die Reggae mit entwickelten, als Rhythmus und Begriff 1968 aufkamen. Der gebürtige Jamaikaner vertrat diese Musik im Ausland und insbesondere in der Mainstream-Kultur.

Bis es allerdings dazu kam, dass er auch bei uns auf Tour ging, ereignete sich eine ganze Menge jenseits der Rasta-Spur. Als Cliff angefangen hatte zu singen, gab es Reggae und Dub-Musik noch nicht, und Ska war gerade im Entstehen. Entsprechend sang er folkige Stücke, die rückblickend einen niedlichen Eindruck machen. So wie auf anderen Inseln der Calypso grassierte und mit Harry Belafonte einen Markenbotschafter fand, hätte es auch dem jamaikanischen Mento mit Jimmy Cliff als Interpreten ergehen können. Dann hätte das erste Album vielleicht so geklungen, wie diese Aufnahme über einen Hurricane , der sich tatsächlich ereignet hat, eine der frühesten, die man von Cliff finden kann - 1962.

Doch es kam anders. Als großer Fan von Brasilien und dessen Samba-Kultur wanderte Jimmy aus. In Rio de Janeiro gewann er einen Liederwettbewerb, die Leute lieben ihn. Seiner Musik verlieh dieser Umzug eine ganz andere Wendung. Hatte er auf seinem Debüt 1967 noch "A Whiter Shade Of Pale" von Procol Harum und allgegenwärtige Soul-Hits nachgespielt, zeigt der Nachfolger "Jimmy Cliff In Brazil" (1968) deutlich brasilianische Züge der dortigen MPB, und es soll nicht sein letztes Werk bleiben, das am Zuckerhut seine Inspirationsquelle hat. Vorerst ist es aber aufgrund der Militärdiktatur nicht der dauerhafte Platz für seine scharfzüngigen Zeilen. Fortan lebt er teils in London, teils in seiner Heimat.

Ende der Sechziger erlangen Folk-Rock und Soul in den USA als Sprachrohr der Bürgerrechtsbewegung ein zunehmendes Gewicht und geben auch den Protesten gegen den endlos scheinenden Vietnamkrieg einen Soundtrack. Eine der populärsten Anti-Kriegs-Hymnen wird Jimmy Cliffs "Vietnam", eine Fusion aus Reggae-Percussions, Soul-Pop, erdigem Rock-Bass und Call-and-Response-Struktur. Trotz seines düsteren Anlasses kommt das Lied beschwingt, geradezu optimistisch daher und liefert den Vorgeschmack aufs ewige Klischee, Reggae sei stets fröhliche Feelgood-Music.

Nach Desmond Dekker nimmt auch Jimmy Cliff eine Version von "You Can Get It If You Really Want" auf. Der Song zählt neben ein paar anderen aus den frühen Siebzigern zu den Essentials, die sich auf sehr vielen der wiederum extrem vielen Best Ofs, Greatest Hits, Anthologies usw. später finden. Die Platte, zu der er gehört, ist allerdings der Soundtrack zu "The Harder They Come". Wobei Jimmy das Titelstück wiederum seit Jahren mit sich herum trägt. Nun bekommt es eine neue Bedeutung, mit Jimmy in der Rolle eines Gras-Dealers in Nadelstreifenhose.

Bemerkenswert ist, wie sehr Monterey, Woodstock und die Hippie-Jugendbewegung ihre Spiegelung in Cliffs Musik finden, zumal Flowerpower kein jamaikanisches Phänomen war. An manchen Stellen klingt der genre-übergreifende Künstler in dieser Phase stilistisch wie Bob Dylan, der ihn für "Vietnam" übrigens bewunderte. Einmal covert Jimmy in dieser Phase Cat Stevens - "Wild World". Und auch formal geht er Wege eines Dylan - und nimmt sich für "Keep Your Eyes On The Sparrow" ganze acht Minuten Spielzeit. Es klingt wie ein Mash-Up aus "Knockin' On Heaven's Door" und "Lay Lady Lay".

Cliff kann sich so etwas erlauben. Tolle Session-Musiker jammen mit ihm. Er bekommt Angebote der größten Plattenfirmen. Anfang der Siebziger vertraut auch er, wie später noch Max Romeo, Toots Hibbert, Junior Murvin, Pablo Moses und Third World, auf die Marketing-Pläne von Chris Blackwell und wartet darauf, dass Island Records ihm den US-Markt öffnet. Da wartet er vergebens. Denn Blackwell hat nur Bob im Kopf und auch nur für diesen einen ein Werbe-Budget.

Jimmy schaut während seiner Label-Odyssee bei vielen vorbei, die man heute zur Major-Labelwelt zählt. Seine Brötchengeber heißen Philips, EMI, MCA, Mercury, Polygram (heute alle, wie Island, Teil der Universal Music Group), Trojan (heute Bertelsmann), Reprise und WEA (heute beide Warner Music Group) und Columbia/CBS (von Sony einverleibt). Kein anderer Reggae-Artist hat so konstant und somit auch einflussreich auf der großen Bühne mitgespielt. Allerdings erklärt das Wirrwarr mit vielen Vertragswechseln auch, weshalb so viele CDs, Kassetten und LPs claimen, das jeweilige ultimative Best Of zu bündeln. Die Rechte an allen Songs dieses Künstlers hat nun einmal keiner, jeder nur einen Ausschnitt.

Mit dem Wechsel zur EMI beginnt sich auch eine Serie von Funk-Songs durch die folgenden Alben zu ziehen - seine neue Leidenschaft. In den Texten nimmt er kein Blatt vor den Mund, ob er erklärt, was "Hypocrites" (Scheinheilige) sind oder wie die Werbe- und Wegwerfgesellschaft unsere Zivilisation prägt.

Wenn jemandem alle Tore offen stehen, kann er sich auch große Namen ins Studio holen. Die famosen I-Three, also Rita Marley, Judy Mowatt und Marcia Griffiths, rücken mit Wailers-Bassist Aston Barrett zum Album "Brave Warrior" an. Jazz-Star Ernest Ranglin zupft die Gitarre in "Give Thankx" (1978), und ein halber Wailer, Earl Chinna Smith, geht seinem Nebenjob als zweiter Gitarrist auf dieser LP nach.

Pam Hall, eine der schönsten Stimmen der Karibik, trällert Background und verdient sich hier ihr erstes Geld - oder anders gesagt: Jimmy entdeckt sie. Und da hat er einen Riecher, für den ihm hunderte Kollegen noch jahrzehntelang dankbar sein können. Bei allem Ausscheren in andere Sparten heißt das nicht, dass Jimmy kein 'echter' Reggae Artist gewesen wäre. Nein, viel mehr zeigt er sich ausgesprochen offen und integrativ und setzt auf seine Art 'One Love' um.

Da viele seiner Songs einfach gut sind, findet er viele Mitstreiter. Seinen Claim, "Fundamental Reggay" zu machen, wie einmal ein Stück heißt, setzt er mit anspruchsvollen spirituellen Stücken bei den Album-Cuts immer wieder um. So erscheint 1979 "Bongo Man (A Come)", ein bedächtiges Stück Nyabinghi-Getrommel.

Über den Zustand der Menschheit denkt Cliff immer wieder nach, und die Sache mit den Trommeln bewahrt er sich bis zu seiner letzten Tour als Teil der Bühnen-Show. Als in den Achtzigern das Bewusstsein für Waldsterben, Treibhauseffekt, nukleare Risiken und Plastikmüllberge wächst, kann Jimmy auf seine gefestigte Popularität bauen.

Sowohl seine Eigenkreation "Samba Reggae" erfreut sich großen Zuspruchs als auch seine Disco-Kollabo mit Kool And The Gang, "Reggae Night" - die einen sicheren Platz auf fast allen Reggae-Compilations von 1983 bis zum Jahrhundertwechsel inne hat und für eine erste Einladung zum Rockpalast nach Düsseldorf sorgt. Die Stones engagieren Jimmy als Background-Sänger. Elvis Costello singt mit ihm im Duett. Bei so viel Resonanz kann man schon mal andere Töne anschlagen, und die Party-Stimmung für eine Botschaft ans Gewissen nutzen.

Der Umweltschützer zieht wieder dort hin, wo auch der Regenwald gerodet wird - in sein geliebtes Brasilien. Mit der Bahianerin Margareth Menezes entsteht dort auch ein Duett, und in Salvador da Bahia kommt Cliffs Tochter Nabiyah Anfang der Neunziger zur Welt.

Wenn man sowieso schon immer so tut, als sei man Woodstock-Veteran, kann man natürlich auch gleich bei 'Woodstock 25" spielen, und zwar so richtig frenetisch, und nebenbei über Karibik und Lateinamerika aufklären.

Für Afrika interessiert Cliff sich aber auch, wie erst sein Engagement gegen die Apartheid und dann seine traditionellen Bühnen-Roben manchmal zeigen - und das geflügelte Wort in einem seiner Hits: 1995 erscheint die Single "Hakuna Matata", was in der ostafrikanischen Kiswahili-Sprache "Keine Sorgen" bedeutet. "Hakuna Matata" an der Seite von Lebo M. kommt in Deutschland auf Platz 77 und in der Schweiz auf Rang 32, Jimmys größte Erfolge in der BRD bleiben "Reggae Night", "Vietnam" - und "I Can See Clearly Now", das Mitte der Neunziger ebenfalls chartet, aber natürlich ein altes Lied von Johnny Nash ist. Jimmys Version findet sich im Soundtrack von "Cool Runnings".

Seit es Reggae-Open Airs in Deutschland gibt (also seit 1987), ist auch Cliff dabei. Er ist der einzige Artist, der an allen drei Spielstätten in der Geschichte des Summerjam gespielt hat. Alleine in Köln am Fühlinger See tritt er fünf Mal auf. Doch beim Touren belässt er es nicht ganz, sondern bringt mit großen Abständen auch im 21. Jahrhundert Alben heraus.

"Black Magic", Dunkle Magie, ist ein ganz besonderes, weil es einen Song über Nine-Eleven und das Thema Terrorismus sowie eine kurz vor Joe Strummers Tod entstandene gemeinsame Aufnahme, "Over The Border", posthum, nachliefert. Jimmy hat hier eine der ersten Veröffentlichungen der späteren Dancehall-Sensation Spice als Opener. Außerdem beteiligen sich wieder Kool And The Gang. Neben Duetten mit Sting, Wyclef Jean und dem Kameruner Tennis-Weltstar und Reggae-Fan Yannick Noah findet sich auch Annie Lennox im Studio ein. Der Sänger verbindet Kontinente und Generationen.

Auf dem folgenden "Rebirth" covert Cliff wiederum Joe Strummers Bandkollegen Paul Simonon und dessen prophetisches The Clash-Stück "Guns Of Brixton" (dessen Inhalt wenige Monate nach Erscheinen eingetreten war). Zehn Jahre später legt der Singer/Songwriter mit "Refugees" sein letztes Werk vor, auf dem er seine jüngere Tochter Lilty in einem Lied, "Racism", featuret. Um die Produktion der Platte kümmert sich der Hochbetagte, der einst mit analogen Magnetband-Cartridgen und 8-Spur-Maschinen groß wurde, selbst, je einen Track gibt er an Riddim-Producer Kirkledove und an Hitmaker Lenky Marsden zum Bearbeiten.

Mit der CD und auch außerhalb dieser Aufnahmen engagierte sich Cliff schon jahrzehntelang für Geflüchtete. Im Titelsong "Refugees" holt er ganz weit aus und wählt die historische Tiefenperspektive. Wyclef Jean lockert auf. "Jimmy Cliff told me there's 'many rivers to cross'", spielt er auf eines von Jimmys Markenzeichen an, und Wyclef erzählt dann seine Geschichte, die seiner Familie: "I'm a Fugee, that's a refugee / my family paddled through the sea". Ein später Schwenk zum Dance:

Jimmy Cliff hat viele Musikkolleg:innen anderer Genres überhaupt erst für die jamaikanische Musik begeistert. Popstar zu sein begriff er stets als gesellschaftlichen Auftrag. Er wollte die Welt besser machen, und er reaktivierte dafür bei seinen Shows eine Ressource, die in unserer Zeit 15-sekündiger Aufmerksamkeitsspannen immer mehr unter die Räder gerät.

Er zeigte uns, wie wir es aushalten können, dass ein paar Minuten nur Trommeln getrommelt werden und niemand etwas sagt. Wie wir in uns hinein horchen und einen Moment so erleben können, als würden wir kurz die Zeit anhalten. Dieses Meditative und Schwerelose war der Schlüssel zu seiner Musik, bei der er sich nie zwischen Genres entschied. Ob es Pop oder Folk, Disco oder Dub, Samba oder Funk hieß - entscheidend war, dass es groovte und ein gutes Gefühl gab.

Fotos

Jimmy Cliff

Jimmy Cliff,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp) Jimmy Cliff,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp) Jimmy Cliff,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp) Jimmy Cliff,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp) Jimmy Cliff,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp) Jimmy Cliff,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp) Jimmy Cliff,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp) Jimmy Cliff,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp)

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laut.de-Porträt Jimmy Cliff

"So as sure as the sun will shine / I'm gonna get my share now of what's mine / And then the harder they come the harder they'll fall, one and all." Jimmy …

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