Der Mann. Der Mythos. Die Legende: Diese Biografie porträtiert sie alle und spart dabei auch die dunklen Seiten des Menschen Daniel Dumile nicht aus.

Baltimore (dani) - Wer auch nur rudimentär mit ihm und seinem Schaffen in Kontakt gekommen ist, wird zustimmen: MF DOOM ist eine Legende. Die Nachricht von seinem ebenso unerwarteten wie viel zu frühen Tod riss am Silvesterabend des eh schon herausfordernden Jahres 2020 einen klaffenden Krater in den Hip Hop-Untergrund. Die Narben in den Herzen seiner Fans sind noch immer nicht ganz verheilt. Es fühlt sich also an wie Balsam, dass sich jemand seiner angenommen und sein Leben und sein ausuferndes Werk in Buchform gegossen hat.

... und was für ein schönes Buch ist das geworden. "MF DOOM - Chroniken einer Hip-Hop-Ikone" (Halvmall, 332 Seiten, gebunden, 29,50 Euro) ist in erster Linie genau das: Es ist wunderschön. Bei der Gestaltung stimmt vom Motiv über das Farbkonzept und die dezent eigebundenen Fotos (ganze zwei) bis zur Aufmachung der dafür um so opulenteren Infografiken vorne und hinten im Buch einfach alles. Die ikonische Maske dominiert das Artwork, klar, wie sollte es anders sein? Dass sie sich in gezeichneter Form noch einmal in klein auf dem Buchrücken findet und das Metalface so auch dann präsent bleibt, wenn man den Schinken nach der Lektüre ins Regal stellt: eine nettes Extra.

Das DOOMiverse in Grafiken

Die erwähnten Grafiken alleine wären den Kauf schon wert (tatsächlich sind sie, für die Hardcore-Nerds mit freien Wandflächen unter uns, als Poster erhältlich). Sie dröseln verschiedene Aspekte des DOOMschen Schaffens auf: die verschiedenen Evolutionsstufen seiner Gesichtsvermummung, die mannigfaltigen Kunstfiguren, die er ins Rennen schickte, die vielen, vielen Kollabos und Projekte, in die er verstrickt war, und natürlich seine ausufernde Diskografie. Allen, die jemals versucht haben, sich durch dieses Dickicht zu wühlen, dürfte ein erleichterter Seufzer entfleuchen: endlich! Endlich bringt jemand Struktur in diesen Wust.

DOOMs Leben wie auch sein Werk strikt chronologisch abrollen zu wollen: ein aussichtslsoes Unterfangen. Autor S. H. Fernando Jr. versucht das zum Glück gar nicht erst. Er stellt statt dessen immer wieder einen anderen Aspekt in den Mittelpunkt. In plakativ "Der Mann", "Der Mythos", "Die Maske", "Die Musik" und "Die Legende" betitelten Kapiteln nähert er sich Daniel Dumile und seinen zahlreichen Kopfgeburten in jedem Kapitel aus einer anderen Richtung. Das sorgt zwar zuweilen für Zeitsprünge und die eine oder andere Dopplung. Trotzdem lässt sich der Geschichte so fast schon unangemessen komplikationslos folgen.

Dass es sich bei dem Autor um Skiz 'Spectre' Fernando handelt, den Labelgründer des Illbient-Labels WordSound: Dieses Licht ist mir erst erschütternd spät aufgegangen. Dass hier aber ein Raphead mit Ahnung von und Liebe zum Hip Hop-Untergrund schreibt, offenbart sich allerspätestens im Kapitel "Die Musik". Gerade die vor Sachkunde und Nerdiness triefenden Abhandlungen über "The Mouse And The Mask" und vor allem über "Madvillainy" schüren stellenweise den Verdacht, Fernando habe dieses Buch nur geschrieben, um endlich sein gebündeltes Wissen über DOOMs und Madlibs gemeinsames Projekt in die Welt posaunen zu können. Sollte es sich so verhalten, gibt es daran überhaupt nichts auszusetzen, die Begeisterung steckt an. (Ihr dürft gerne raten, was hier gerade im Hintergrund läuft.)

Suff und Abzocke, Superschurken-Style

Zum Glück für den Erkenntnisgewinn hat Fernando bei aller Liebe nicht unbedingt die rosarot getönte Fanbrille auf. Er klammert die weniger schillernden Facetten nicht aus, die das Charakter-Konglomerat DOOM-Dumile durchaus auch aufweist. Sein durchaus problematischer Konsum, Alkohol vor allem, aber auch Weed und diverser härterer Stoff, kommt genau so zur Sprache wie etwa die fragwürdige Praxis, zu Liveauftritten nicht aufzukreuzen und statt dessen maskierte Doppelgänger, seine DOOMbots auf die Bühne zu schicken. Ja, zu dem Comic-Superschurken, als der er sich in Szene gesetzt hat, passt das. Fans, die für Konzertkarten bezahlt haben, dürften sich trotzdem solide abgerippt gefühlt haben.

Überhaupt, die Sache mit dem Geld: Angesichts seines überbordend kreativen Oeuvres möchte man sich DOOM immer gerne als einen Menschen vorstellen, der seine Kunst über alles gestellt, ihr alles andere untergeordnet hat. Fernandos Biografie sorgt jedoch für zahlreiche Risse in dieser hehren Illusion: Auch wenn Bling-Bling-Geprotze in seiner Kunst keine Rolle spielte, war Daniel Dumile bei vielem, das er tat, durchaus darauf fixiert, dass es sich für ihn in erster Linie finanziell auszahlt. Man hätte es sich denken können, hätte man nur einen Augenblick lang drüber nachdenken wollen: Der Mann hatte Kinder zu füttern, er hatte seine Sucht zu finanzieren, und grundsätzlich ist ja auch nichts Verwerfliches dran, aus dem eigenen Talent und der Marke, die man daraus erschaffen hat, Profit schlagen zu wollen. Es wirkt eben nur stellenweise nicht so wahnsinnig sympathisch, besonders nicht, wenn es (wie bei der Sache mit den DOOMbots oder beim Einstieg in das hochgradig fragwürdige Geschäft mit NFTs) auf Kosten der Fans geht.

Daran, ob man unbedingt mit DOOM hätte kooperieren wollen, weckt dieses Buch berechtigte Zweifel: Der zuverlässigste und kommunikativste Zeitgenosse kann er zumindest phasenweise nicht gewesen sein. Hemmungslos verkaufte er schon verkaufte Musik wieder und wieder, um geschlossene Verträge kümmerte er sich offenbar einen Scheiß. Er strich Vorschüsse ein, ohne dafür irgendetwas abzuliefern. Dass er mit vielen Leuten, mit denen er zusammengearbeitet hatte, befreundet war, hinderte ihn offenbar nicht daran, sie über den Tisch zu ziehen, wenn es sich für ihn rechnete. Am bemerkenswertesten an all diesen unangenehmen Verhaltensweisen: Kaum eine*r der vielen Abgerippten scheint DOOM nachhaltig etwas zu verübeln, auch nicht die wiederholt betrogene Ehefrau.

Ein Kosmos voller Kunstfiguren

Die Leute, die den Kopf für ihn hinhielten, die ihre eigenen Jobs riskierten, die, die dafür zu sorgen hatten, dass DOOM gesteckte Deadlines einhielt, erscheinen mir dennoch nicht gerade beneidenswert: Zu oft hat er sich wohl in seinem eigenen DOOMiverse verlaufen, sich in zu vielen Ideen und Nebenquests verzettelt. Die glänzende Seite dieser Medaille wiederum: DOOM hatte für jedes Projekt, das er angepackt hatte, Ideen für zehn. So bescherte er uns nicht nur eine Kunstfigur, Singular, sondern einen ganzen Kosmos voll davon, jede einzelne mit ausgefeilter Hintergrundgeschichte, eigenen Charakterzügen, eigenen Themen und ihrer eigenen Motivation, eine davon eine 90 Meter große, goldene, dreiköpfige Riesenechse aus dem Weltall. Warum auch nicht?

Dem Menschen hinter all dem Mummenschanz, Daniel Dumile, kommt dieses Buch so nahe wie wahrscheinlich nur irgend möglich. Fernando zeichnet aus dem bisschen, das sich über DOOMs Privatleben und seinen Tod herausfinden lässt, ein erstaunlich plastisches Bild eines Mannes, der zwar eine Gabe, aber auch viele Verluste zu verkraften hatte. Dumile verlor seinen Bruder, seine Heimat, einen Sohn, am Ende seine Gesundheit, niemals jedoch seine sprudelnde Kreativität, mit der er ale beeindruckte, die je damit in Berührung gekommen waren. Dieses Buch konnte gar nichts anderes werden als eine Hommage.

Lyrics übersetzen wollen: schlechte Idee

Für die Übersetzung ins Deutsche sorgte übrigens Julian Brimmers. Was hervorragend gelingt, so lange es um Skiz Fernandos eigentlichen Buchtext geht. Auf die Entscheidung, DOOMs zahlreich zitierten Lyrics ebenfalls eine Übersetzung hintenan zu stellen, hätte Brimmers allerdings besser verzichtet. Viel treffender, als er das getan hat, ließe sich DOOMsche Poesie zwar wahrscheinlich wirklich nicht ins Deutsche überführen. Direkt neben den im Original geschliffenen, doppel- bis vieldeutigen Wortspielereien wirken ihre Übersetzungen aber nahezu zwangsläufig ungelenk und holprig. Dabei hätte sich Brimmers gar nicht unbedingt in DOOMs überlangen, nachtschwarzen Schatten stellen müssen: Wer sich für die Worte des Villains interessiert, konsultiert doch wohl hoffentlich ohnehin die Originalquellen. Oder?

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S. H. Fernando Jr. - "MF DOOM - Chroniken einer Hip-Hop-Ikone"*

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