Für August 2025 war der 80-jährige Max Romeo fürs Line-Up eines österreichischen Festivals angekündigt. Nun erlag er plötzlich einem Herzversagen. Am Montag erscheint sein letzter Song.
Kingston (phk) - Sie waren die Mainstream-Gesichter des Reggae, als der jamaikanische Musikstil 1968 neu entstand, nun ist ein weiterer aus dem Club der Stars der ersten Stunde verstorben: Nach Bob Marley, Peter Tosh, Toots Hibbert, Lee Scratch Perry und einigen Mitgliedern der Gruppe Third World schied am Freitag auch der Sänger Max Romeo aus dem Leben. Er wurde 80 Jahre alt, befand sich bereits im Krankenhaus St. Andrew in Kingston, zur Behandlung einer Herzerkrankung, und bekam eigentlich schon seine Entlassung nach Hause in Aussicht gestellt.
2023 vollzog er eine große Europa-Tournee, um von seinen Fans Abschied zu nehmen. Auch nachdem er die Bühne verließ, veröffentlichte er aber noch eine EP und eine Reihe einzelner Kollabo-Songs. So war schon seit längerem für den 14. April die Veröffentlichung des neuen Liedes "Marching" geplant, zusammen mit dem Musiker Mystikal Man aus der Bretagne. Mit Instrumentalisten aus Frankreich hatte er in den letzten Jahren oft zusammen gearbeitet, war auch mit einer teils französischen Band auf seinen Tourneen unterwegs. In unserem Nachbarland hatte er auch seine stabilste Fanbase. Mit der Schweizer Band The 18th Parallel, die in Genf sitzt, hatte er 2022 den Titel "Just Like The Rainbow" eingespielt.
Max verzeichnet im "Summer of '69" seinen größten Hit als Interpret. Es handelt sich um die Top Ten-Platzierung "Wet Dream" in den britischen Charts. Das Lied enthält sexuell anzügliche Formulierungen und erreicht seinen kommerziellen Erfolg trotz oder wegen eines Airplay-Verbots der BBC. Da es sich ein halbes Jahr lang in den Charts hält, kann der Staatsfunk allerdings die Existenz des Songs nicht verschweigen. Moderatoren werden gebrieft, nur den Artist, nicht aber den Liedtitel zu nennen. In Holland erreicht die Single Platz 11.
Ironisch zum Tabubruch, den der Sänger damals begeht, als die Zeiten prüder sind, beklagt er sich 50 Jahre später in einem Interview mit uns, dass junge Dancehall-Künstler:innen in Jamaika heute wirklich übertreiben würden und möglichst oft nackte Brüste und expliziten Sex in ihren Nummern unterbringen müssten, um dort im Radio zu laufen. Er selber hingegen werde wegen seiner Religiosität auf der Insel gar nicht mehr berücksichtigt, weder medial noch für Konzerte, erläuterte uns später seine Tochter Xana in einem weiteren Gespräch.
1972 war Wahlkampf in Jamaika, zwei große Parteien stehen einander gegenüber. Romeo engagiert sich für die PNP (People's National Party) und deren Spitzenkandidaten Michael Manley. Der Freund Fidel Castros prägt die Wirtschaft und Gesellschaft auf der Karibikinsel in drei Legislaturperioden nach den Wahlen 1972, 1976 und 1989. "Let The Power Fall" lautet das Wahlkampf-Lied für ihn, es soll - kommt uns gerade bekannt vor - für Schwung und Aufbruch sorgen. Als Produzent arbeitet Bunny 'Striker' Lee mit ihm.
Nachdem 1969 Jimmy Cliff, 1973 dann Bob Marley & The Wailers und Toots & The Maytals von Chris Blackwell bei Island Records unter Vertrag genommen worden waren, interessiert sich die einflussreiche Plattenfirma auch bald für Max Romeo. Soweit er sich rückblickend erinnerte, habe Lee Perry den Vertrag eingefädelt. Allerdings zu fragwürdigen Konditionen, damals fallen sie mangels Erfahrung nicht gleich auf. Es entstehen das Kult-Album "War Ina Babylon" (1975) und dann nach einem Streit mit Perry auch "Reconstruction" (1977). Max produziert es selbst, wobei ihm einer seiner größten Klassiker gelingt, der Track "Melt Away". Das Album enthält eine Würdigung des Bürgerrechtlers Martin Luther King, der Song heißt auch so. Die starken Musiker aus Perrys Upsetters-Band nimmt Max einfach mit ins Studio. Island finanziert außerdem die jamaikanische Jazz-Ikone Ernest Ranglin als Gitarristen.
Das Verhältnis zu Island spannt sich stark an, als Max sich übergangen gefühlt, angesichts der enormen Werbemaßnahmen,die Bob Marley in den USA promoten. Er selber habe sich ins Regal gestellt gefühlt. Als verkaufstechnische Underperformer erweisen sich auch die Platten diverser Kollegen wie der 1976 neu bei Island angedockten Third World mit ihrem Debüt, das erst Jahrzehnte später Resonanz erfährt. Somit scheint das Max Romeo die falsche Marketing-Strategie, quasi Perlen vor die Säue geworfen. Bei anderen Produzenten und Plattenfirmen hat er dann aber sehr lange kein Glück.
In den 1980ern geht Max trotz weiterer Alben weitgehend unter. Einmal, 1988, versucht er, sich mit Lee Perry wieder zusammen zu raufen. Ein US-Dancehall-Label bringt das Ergebnis "Transition" heraus, aber der Titel des letzten Tracks darauf bewahrheitet sich: "Nobody Knows You When You're Down And Out". Max ist out. Er sich teilweise in die Landwirtschaft zurück. Teils wohnt er in New York. 20 CDs bei 20 verschiedenen Plattenfirmen ändern nicht so viel an seinem Leben wie ein Sample von The Prodigy: "Out Of Space" (1992). Der Song beruhte maßgeblich auf "Chase The Devil" von Romeo und Perry aus den Siebzigern. Zu der Zeit, als The Prodigy durch die Londoner genauso wie die Frankfurter oder Berliner Nachtclubs rumpelt, zieht es den Sänger allerdings mehr ins Private.
Im August 1994, als Max auf die 50 zugeht, kommt seine älteste Tochter Xana zur Welt, die sich erinnert, wie sie mit fünf, sechs Jahren im Homestudio des Papas immer wieder diesen Riddim der Dubtonic Kru hörte.
Klar, dass auch sie in ihrer eigenen Musik später mal mit deren Drummer Jallanzo ihre meisten Aufnahmen produziert. Max wird in den Folgejahren Vater mehrerer Söhne. Er versucht auch, Romario (Lil Rolee) und Ronaldo (Azizzi) an sein Studio heran zu führen und nimmt sie von Kindesbeinen an mit auf Tournee.
Kanye und Jay-Z benutzen das schon von The Prodigy recycelte "Chase The Devil" im Jahr 2003 für ihren Hit "Lucifer". Mittlerweile ist die Firma Island von Universal einverleibt, der Song verkauft sich als Teil von Jay-Zs "The Black Album" ordentlich, man schätzt über 5,5 Millionen physische Tonträger und 2,2 Millionen Streams.
In den 2000ern erkennt die französische Konzertagentur Mediacom entsprechend das Potenzial des Grandseigneurs und vermittelt ihn unablässig an alle möglichen aufkeimenden Rasta-Events in Europa. So erspielt er sich auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine enorme Bekanntschaft und Gefolgschaft in der Szene. Als wahren 'Headliner' sieht man ihn zwar auf den Plakaten selten: Er spielt kaum die späten Slots, bevorzugt Auftritte am frühen Abend. In Insider-Kreisen gilt er aber doch als Name, der Tickets verkauft. Und außerdem als glaubwürdiger Typ des wahren Roots-Rastaman, der nicht nur optisch mit seinen langen Dreads überzeugt, sondern auch mit seinen Inhalten.
In einer Zeit, als der Reggae um 2007/08 seine tiefste Krise durchlebt, weil mehrere jamaikanische Superstars ein Einreise-Verbot in die Schengen-Zone wegen homophober Textstellen, Bühnenansagen und Interview-Statements auferlegt wird, da hilft ihm das. Max Romeo ist im Kontrast zu manchen Schreihälsen der Saubermann, den man trotzdem guten Gewissens buchen kann - und der außerdem wirklich beim Singen die Töne trifft. Das Publikum will aber immer nur die Hits hören: "One Step Forward", "Chase The Devil", "Uptown Babies", er hätte aber noch so ungefähr 250 weitere im Angebot.
Anfang 2010 nimmt Max Romeo selbst mal einen Drum'n'Bass-Track auf, der eine Prise nach The Prodigy klingt. So engagiert er sich in London, dem Symbol für Wohnraum-Knappheit, gegen den Bau einer Autobahnverlängerung. Bei dem Bauprojekt werden über 5 Billionen Pfund in den Wind geschossen, es gestaltet sich als englisches Pendant zum Berliner Flughafen.
Eine neuerliche Zusammenarbeit mit Lee 'Scratch' Perry mündet zwar im ansehnlichen Album "Horror Zone", spielt sich aber weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Interessant sind die Songs trotzdem, etwa das Titellied.
Im Sommer 2018 ist der Reggae-Pionier auf einmal wieder angesagt, 50 Jahre, nachdem alles anfing. Die Pariser Indie-Firma Baco tut alles, um ein Comeback des mittlerweile ergrauten Seniors einzuläuten. Freundlich steigt er in Flugzeuge und Tourbusse, solange man ihm nur gutes Gras besorgt, und er gibt auch wieder Interviews. Dabei lernt man ihn als kritischen Zeitgenossen, aber auch als einen Kerl kennen, der Menschen mag und lustig erzählen kann.
Angesichts seines Todes schreibt die kulturpolitische Sprecherin der Partei PNP, Dr. Deborah Hickling Gordon, er habe seine Rolle als Künstler "als Waffe des Widerstands und als Leuchtfeuer der Hoffnung eingesetzt." Zu seinen einprägsamen Veröffentlichungen seiner späten Jahre gehören die Familienwerke "Kids Are People Too", ein Groove-lastiger Dub-Trio-Song mit seinen Söhnen, die damals noch den Stimmbruch vor sich haben, später die Lockdown-Hymne "Flatten The Curve", bei der auch seine Tochter Xana an Bord ist.
Xana sagt zum Tod ihres Vaters im DancehallMag: "Er ist nicht hier für mich, um mit mir zu sprechen, aber er lebt weiter." Sie bittet um Respekt der Privatsphäre für die Familie. Zuletzt hatten die Romeos versucht, die Firma Universal wegen unterschlagener Tantiemen zu verklagen. Dabei war es um 15 Millionen Dollar gegangen, die sich aus dem ursprünglichen Vertrag über die beiden Island-LPs errechnete. 50% Prozent der Einnahmen aus seinen Kompositionen sollten an Romeo gehen, der aber sogar nach den Hits von The Prodigy und Jay-Z leer ausging. Universal hatte Max Romeo im Jahr 2021 eine Summe von 125 Millionen Dollar nachgezahlt, sich aber für die um Jahrzehnte verspätete Zahlung nicht mit einer Entschädigung entschuldigt und auch Soundtracks mit Verwendung von "Chase The Devil" nicht mit berücksichtigt.
Und hier sind die berühmtesten Zeilen dieses Musikers nochmal:
"Lucifer son of the mourning, I'm gonna chase you out of Earth
I'm gonna put on a iron shirt and chase Satan out of Earth
I'm gonna put on a iron shirt and chase the devil out of Earth
I'm gonna send him to outa space to find another race."
So ganz gelungen ist das Unterfangen Teufelsvertreibung nicht, aber ein bisschen besser hat Max die Welt sicher gemacht. Jetzt liegt der Ball bei seinen Kindern, das fortzuführen. Das Motto "Youth First" aus einem Duett von Vater und Tochter sagt es bereits. Rest in Peace!
Noch keine Kommentare