laut.de-Kritik
Großartiges Krautrock-Drumgewitter mit dem ganz jungen Udo Lindenberg.
Review von Ulf KubankeRe-Releases sind bekanntermaßen nicht immer ein Grund zum uneingeschränkten Jubeln. Bei der Triple-Box von Niagara darf man sich jedoch getrost der totalen Begeisterung hingeben. Zwischen 1971 und 1973 brachte der - auch in den Staaten unter Jazzgrößen anerkannte - deutsche Jazz-Drummer Klaus Weiss drei Scheiben heraus, die vollkommen zu Unrecht über die Jahrzehnte in Vergessenheit gerieten.
Der 2008 verstorbene Weiss verwirklichte mit diesem Projekt seinen Traum, endlich einmal die Trommel als Leadinstrument ins Zentrum der Musik zu stellen. Entsprechend hört man auf den Platten bis zu acht verschiedene Drummer (teilweise sogar gleichzeitig), die sich der totalen Fusion plus krautiger Psychedelia hingeben. Das mag aus heutiger Sicht erst einmal nicht übermäßig beeindruckend klingen. Doch Anfang der 70er steckte Fusion noch in den Kinderschuhen und wurde weitgehend von Publikum und Medien verkannt, was sogar Götter wie Miles Davis schmerzlich erfahren mussten.
Auf dem selbst betitelten Debüt und dem Schlusspunkt "Afire" (beide 4/5) verzichtet der Westfale komplett auf jedwedes Melodieinstrument. Drums und Percussion türmen eine Wall Of Sound auf, die sich treibend und fordernd der urafrikaischen Polyrhythmik bedient, wie es zuvor kaum ein europäischer Jazzer - erst recht kein Deutscher - je getan hat. Ein dezent und bescheiden eingestreuter Bass fungiert als Schmieröl für den Voodoozauber. "Malanga", "Bangu" oder das finale "Afire" seinen dem interessierten Hörer hier besonders zum Reinhören empfohlen.
Wem das alles insgesamt zu karg instrumentiert ist, der mag sich bedenkenlos an das Filetstück "S.U.B." halten. Dieses mittlere Album (5/5) verkörpert nicht nur das wild pulsierende Herz von Niagara. Es ist noch viel mehr: ein komplexer Diamant, der glanzvoll betörend Jazz, Funk und Krautrock miteinander verschmilzt.
Schon das eröffnende zwölfminütige Titelstück bläst einen um. Zum funky Beat gesellt sich Ack van Rooyens erstaunlich modern klingende Trompete, die - erkennbar Miles beeinflusst - schon mal den ein Vierteljahrhundert später folgenden Nils Petter Molvaer vorweg nimmt. Das Sax jault leicht angekifft zwischen Bebop und lediglich angedeutetem Freejazz hin und her. Das Gitarrensolo holt den derben Hendrix-Touch ins Boot: faszinierend!
"Bones" erdet alles mit einem unverschämt leichten Swing-Thema, das gekonnt im Psy-Rock Morast versickert, bevor die Easy Listening-Polizei kritisch den Finger heben könnte. "Kikiriti" und "Terra Incognita" vereinen Old School Swing mit schwitzendem Funk a la Sly Stone; inklusive der obligatorisch knuffigen Seventies Flöte.
Es ist auch nach knapp 40 Jahren erstaunlich, mit welch sensiblem Gespür die Musiker hier zu Werke gehen. Die Mischung aus Anspruch und Stringenz gepaart mit gelegentlich fluffigen Melodien sowie spacigem Krautrock ist hervorragend gelungen. Man vergisst mitunter, dass man es hier mehrheitlich mit einer europäischen und rein weißen Band zu tun hat.
Auch das zum Glück original belassene Artwork der Platten sei hervorgehoben. Die mutig erotischen Cover unterstreichen visuell gekonnt die knisternde Spannung der Songs. Heutzutage wäre solche Coverart sicherlich undenkbar und von bräsigen Reichsbedenkenträgern als Pornografie gebrandmarkt. Fehlt noch etwas? Ach ja! Ein junger, noch weithin unbekannter Musiker namens Udo Lindenberg zeigt auf den ersten beiden Niagara Werken, was für ein toller Drummer er doch ist. Schade, dass er das im Laufe der Solokarriere vergessen zu haben scheint.
1 Kommentar
tolles cover.