laut.de-Kritik

Mehr Blockbuster geht kaum.

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Bei Nightwish ging es seit der Veröffentlichung des letzten Albums "Human. :II: Nature." vor vier Jahren ziemlich drunter und drüber. 2021 verließ Sänger und Bassist Marko Hietala aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen die Band. Ersatz fand man in Form von Wintersun-Bassist Jukka Koskinen. Im Oktober 2022 diagnostizierte man bei Floor Jansen Brustkrebs. Der galt jedoch einen Monat später als geheilt. Im Folgejahr dann der Schock für viele Fans: Nightwish ziehen sich laut eigener Aussage "auf unbestimmte Zeit" aus dem Tourleben zurück. Als Trostpflaster bekommen Fans mit "Yesterwynde" nun ein neues Bombastwerk spendiert.

"Yesterwynde" bildet zugleich das Ende einer Trilogie, die mit "Endless Forms Most Beautiful" begann und Menschen, die Existenz und die Wissenschaft zelebriert. Mastermind Tuomas Holopainen hat sich für den Albumtitel, der eine Wortneuschöpfung darstellt, davon inspirieren lassen, wie Schwarz-Weiß-Fotos oder -Videos mit moderner Technik koloriert werden. Dementsprechend führen das Rattern einer Filmrolle sowie tiefe Chor- und festliche Streicherpassagen uns im anfänglichen Titelstück an dieses Thema heran. Gegen Ende entschwindet die Nummer mit folkigen Klängen und warmem Duettgesang von Floor Jansen und Troy Donockley in märchenhafte Sphären.

"An Ocean Of Strange Islands" handelt von den verschiedenen Persönlichkeiten, die uns im Leben begegnen und denen Tuomas in dem Track verschiedene Inseln widmet. Das Stück beginnt mit rockig bombastischen Sounds noch Nightwish-typisch, deckt aber im weiteren Verlauf von lauten Riffs über aufwühlende Chor- und Gesangspassagen bis hin zu folkig meditativen Momenten so ziemlich das gesamte klangliche Spektrum ab, das die Band zu bieten hat. Vor allem gegen Ende zeigt Floor Jansen, welche Urgewalten sie mit ihrer Stimme entfesseln kann. Der Song wirkt, als habe man aus fünf verschiedenen Nummern einen Track gemacht, was jedoch angemessen zur Thematik passt.

Inhaltlich in antike wissenschaftliche und astronomische Gefilde geht es mit "The Antikythera Mechanism", wie auch die verschnörkelten Melodiebögen und Vocals verdeutlichen. Industrial-Elemente sowie treibende Riff- und Doublebassklänge steuern im Mittelteil einige Härte bei. "The Day Of..." stellt eine eher poppige und eingängige Angelegenheit dar, bekommt durch den Gesang eines Kinderchors jedoch eine ziemlich düstere Note. Panikmachern und Verschwörungsmythen erteilt Tuomas dabei textlich eine Absage. In "Perfume Of The Timeless" arbeitet die Formation auf eine packende und bombastische Hook hin, die vor allem, kurz unterbrochen von Doublebassattacken, in der zweiten Hälfte besonders zur Geltung kommt.

Das intime "Sway" kommt dagegen als folkiges Duett daher. "The Children Of 'Ata" kreist um Teenager, die in den sechziger Jahren auf einer kleinen Insel zwischen Neuseeland und Tonga strandeten und ohne Quellwasser überlebten, bis sie von einem australischen Abenteurer gerettet wurden. Die Dramatik der Geschichte wird vor allem in der Mitte besonders hervorgehoben, wenn harte Riffs, wirbelnde Streicher und der nach vorne peitschende Gesang mehrerer tonganischer Einheimischer ertönen. Ansonsten bekommt man recht melodische, elektronisch unterlegte Kost geboten.

Da sorgt "Something Whispered Follow Me" mit schleppender, doomiger Saitenarbeit und melancholischem Refrain für mehr Verwunderung, tendiert die Nummer schon fast in Richtung Death Doom Marke Paradise Lost. "Spider Silk" besitzt melodisch und gesanglich etwas Mystisches und Geheimnisvolles, während "Hiraeth" mit bittersüßen männlichen und weiblichen Vocals sowie akustischen Tönen, die gegen hinten raus, begleitet von rockigen Riffs, immer tanzbarer werden, Gefühle von Kummer und Sehnsucht vermittelt.

In "The Weave" kitzelt Floor Jansen mit ihrer musicalhaften Darbietung zu donnernden Saiten- und epischen Orchesterklängen so gut wie alles heraus, was ihre mehrere Oktaven umfassende Stimme hergibt. Als Highlight kristallisiert sich das abschließende "Lanternlight" heraus, eine wunderbar feinfühlige, von hellen Piano- und schwebenden Streichersounds durchzogene, vertonte Kindheitserinnerung, die zu Tränen rührt, wenn gegen Ende der sensible Gesang Floors und Troys erdige Vocals aufeinandertreffen. Selten hat die Aussage "ganz großes Gefühslkino" so gut gepasst wie bei diesem Track. Die Scheibe endet mit dem Rattern einer Filmrolle so, wie sie begonnen hat.

Einerseits wäre es spannend gewesen, zu hören, wie die Band geklungen hätte, wenn sie an das Folkige des Vorgängers noch stärker angeknüpft hätte. Andererseits nötigt es absolut Respekt ab, dass es Nightwish und die Musiker in den Londoner Abbey Road Studios immer wieder schaffen, für bestimmte Themen, Geschichten und Gefühle die passende klangliche Untermalung zu liefern, so dass man auch ohne Studium des Booklets weiß, worum es in den Tracks geht. Jedenfalls wirkt die Scheibe wie eine Art 5 Gänge-Best-Of-Menü der Formation, das beinahe erschlagend anmutet. Mehr Blockbuster geht kaum. Dass die Produktion wieder einmal vor Detailreichtum nur so strotzt, dürfte da nur eine Selbstverständlichkeit sein.

Trackliste

  1. 1. Yesterwynde
  2. 2. An Ocean Of Strange Islands
  3. 3. The Antikythera Mechanism
  4. 4. The Day Of...
  5. 5. Perfume Of The Timeless
  6. 6. Sway
  7. 7. The Children Of 'Ata
  8. 8. Something Whispered Follow Me
  9. 9. Spider Silk
  10. 10. Hiraeth
  11. 11. The Weave
  12. 12. Lanternlight

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5 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor 6 Tagen

    "Mehr Blockbuster geht kaum."

    Mehr Ungehört 1/5 auch nicht

  • Vor 6 Tagen

    Für mich definitiv das beste Album in der Ära Floor Jansen! Das Songwriting ist on point, sehr abwechslungsreich und stimmlich ist die Sängerin der Konkurrenz meilenweit voraus! 5/5 von mir

  • Vor 6 Tagen

    Ich finde das neue Album von Nightwish - Yesterwynde gelungen besonders die langen Lieder An Ocean an Strange Islands, Perfume of the Timeless und auch die Ballade Lanternlight finde ich Toll.

  • Vor 5 Tagen

    Es mag daran liegen, dass ich nicht mehr 15 bin, oder daran, dass zufriedene(re) Menschen schlechte(re) Kunst machen, aber diese Band war irgendwie mal once-in-a-million (inmitten grausiger Kopien) und wurde irgendwie an genau dem Punkt kacke, als Holopainen beschloss, seinen lyrischen Kleinkrieg mit Gott zu beenden und stattdessen in jedes Mikrofon zu erzählen dass es ihn nicht gibt.

  • Vor 4 Tagen

    Seltsamerweise ist Nightwish seit dem Einstieg von Floor Jansen für mich immer belangloser geworden, sie mag vielleicht eine gute Sängerin sein aber Tuomas Holopainen liefert seitdem nur noch musikalischen Durchschnitt ab. Weiteres "Problem" ist der fixe Einstieg von Troy Donockley, zum einen nerven dessen Folkeinflüsse auf Dauer und zum anderen ist er kein wirklich guter Sänger, dass er bei Nightwish dennoch auch als Sänger eingesetzt wird ist mir ein Rätsel....

    Nach den beiden belanglosen "Endless Forms Most Beautiful" und "Human II Nature" nun also das dritte Album mit Floor Jansen am Mikro das auch nicht wirklich viel besser ist als die beiden Vorgänger und im unnötigen Bombast versinkt.... Noch dazu fehlt hier der ehemalige Bassist / Sänger Marco Hietala an allen Ecken und Enden, wenn er die einen oder anderen Vocals beigesteuert hätte wäre vielleicht mehr daraus geworden. Das von ihm gesungene "Endlessness" war jedenfalls noch das einzige Highlight von "Human II Nature", da wirkt es schon irgendwie eigenartig und bezeichnet dass Marco nach seinem Ausstieg mittlerweile wieder mit Tarja Turunen zusammen arbeitet und mit ihr gemeinsame Konzerte spielt, die erneute Zusammenarbeit der beiden klingt für mich zumindest spannender als das neue Nightwish Album....

    Andere vergleichbare Bands wie Delain und Xandria geben mir mittlerweile ehrlich gesagt wesentlich mehr, trotz Sängerrinenwechsel haben beide Bands voriges Jahr weitaus stärkere Alben abgeliefert als jetzt Nightwish, die für mich schon lange nicht mehr zur Speerspitze in ihrem Genre gehören...