laut.de-Kritik

Leichtfüßig wie Sade, stilvoll wie Radiohead.

Review von

Nilüfer Yanyas "My Method Actor" ist mit Sicherheit eines der am stilvollsten produzierten Alben des Jahres. Und zwar nicht auf die anstrengende Art, wie ein stilvoll produziertes Jazz-Album zum Beispiel (nichts gegen Jazz an dieser Stelle, aber ich brauchte ein Beispiel für anstrengende, aber stilvolle Musik). Es klingt stilvoll, elegant und angenehm zugleich, gleichzeitig kommt es dabei völlig unprätentiös und leichtfüßig herüber. Wie ihr das gelungen ist, wird nur Nilüfer selbst wissen, aber wir können zumindest ergründen, warum es so wirkt.

Es ist gut zwei Jahre her, als ich zum ersten Mal den Refrain von "Shameless" gehört habe. Der ganze Song ist schön, auch die Strophen und ganz besonders die Bridge. Doch es war der magische Refrain - die Melodie, die Nilüfer singt und der Bass, der im Hintergrund lässig sein Ding macht - der zeigte, dass es sich bei der Musik der in London geborenen Sängerin und Songwriterin um etwas ganz Besonderes handelt.

Nun ist mit "My Method Actor" bereits ihr drittes Studioalbum erschienen, und den Geheimtipp-Status hat sie, zumindest hierzulande, noch immer nicht ganz überwunden. Das gilt es schleunigst zu ändern. Die Leadsingle "Like I Say (I runaway)" hat immerhin schon die durchaus beachtliche Marke von drei Millionen Streams auf Spotify geknackt. Eine gute Wahl für eine Single, zeigt sie die Sängerin doch von ihrer rockigsten Seite mit übersteuert klingenden E-Gitarren, eingängigen Strophen und Riffs. Von ausdruckslosem Gesang oder Gehauche, wie es gerade bei vielen anderen Indie-Künstlerinnen im Trend zu sein scheint, kann hier keine Rede sein.

Auch auf "Method Actor" kommen Fans von E-Gitarren auf ihre Kosten. Während Schlagzeug und Bass in den Strophen dominieren, lässt Nilüfer im Refrain die Sau raus: "Gonna scream out, there's no meaning // Spit my teeth out as you're bleeding // I gave you everything you needed", wütet sie unter vollem Einsatz ihres Zwerchfells, bevor das Outro wieder die Instrumente in den Vordergrund rückt.

Die wahren Highlights des Albums kommen allerdings in den ruhigen Momenten zustande. In diesen Momenten erinnert Nilüfers Musik - ihre Stimme und ihre einzigartigen Melodien mal ausgeklammert - ein wenig an Radiohead, mal an Sade, mal an Rhye, mal an Tirzah, mal an King Krule. Das alles sollen Komplimente sein, denn erstens handelt es sich bei den genannten Namen um großartige Bands, Künstlerinnen und Künstler und zweitens spreche ich von Assoziationen, die geweckt werden, nicht von Imitaten.

Besonders hervorzuheben ist das über fünf Minuten lange "Binding": Getragen von einem eingängigen Gitarrenloop lässt Nilüfer den Hörer auf einer Wolke schweben, die zwar zwischendurch mal etwas an Fahrt gewinnt, aber gleichmäßig und sicher durch den blauen Himmel manövriert, keine Sekunde zu kurz und keine Sekunde zu lang.

Immer wieder unterbricht sie ohnehin schon schöne Melodien mit noch schöneren Melodien und Instrumenten, wie etwa auf "Mutations". Nilüfer und Will Archer, mit dem sie gemeinsam an den elf Stück gearbeitet hat, müssen sich wahrlich in ihrer sogenannten Bag befunden haben, als sie dieses Album produziert haben. Als wäre das Instrumental noch nicht stilvoll genug, kommen aus dem Nichts auf einmal Streicher hervor, deren Auftritt zwar nur wenige Sekunden dauert, wobei ihre Wirkung dafür um so größer ist.

Als stilvoll und stimmig lässt sich übrigens das gesamte Album bezeichnen, ausnahmslos. Es ist zwar nicht "der eine" Hit dabei, der im Radio rauf und runter laufen und den man euphorisch an seine Eltern schicken würde, doch dafür lässt sich "My Method Actor" mit seinen elf Tracks ganz wunderbar von vorne bis hinten abspielen, ohne dass man einen nervigen Track skippen müsste oder von einem einzelnen Stück nicht wegkommen würde.

Wie sehr sich das Engagement eines Streicher-Ensembles (bzw. die Verwendung eines entsprechenden Plugins in der DAW der Wahl) lohnen kann, zeigt "Faith's Late". Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass der Einsatz von Streichern schon zum Klassiker-Status von vielen Alben, beispielsweise Kanye Wests "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" beigetragen hat. Richtig, genauer gesagt stilvoll eingesetzt ist das Instrument nun mal ein Cheatcode, so auch hier.

Zum Abschluss bietet "My Method Actor" mit "Made Out Of Memory" noch eine bärenstarke Hymne mit trotzigen Lyrics ("Drawn and erased, done asking the dust / There's nothing around so what you waiting for? / I'll dig my own grave, I don't give a fuck / You know I'm not ashamed to jump in") und mit "Just A Western" einen leichten stilistischen Bruch, der der Sängerin allerdings gut zu Gesicht steht. Wen es einmal erwischt hat, lässt Nilüfer Yanyas Musik so schnell nicht los: "'Cause when something makes you shook / 'Cause there's no way in and there's no way out / There's no getting off this hook".

Trackliste

  1. 1. Keep On Dancing
  2. 2. Like I Say (I runaway)
  3. 3. Method Actor
  4. 4. Binding
  5. 5. Mutations
  6. 6. Ready for Sun (touch)
  7. 7. Call It Love
  8. 8. Faith's Late
  9. 9. Made Out Of Memory
  10. 10. Just A Western
  11. 11. Wingspan

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2 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 8 Stunden

    Als stilvoll und stimmig lässt sich übrigens das gesamte Album bezeichnen, ausnahmslos. Dem kann ich nur zustimmen. Welch inspiriertes Album. Gute Musik gibt´s auch in der Gegenwart, man muss nur suchen, dank laut - findet man dann diese auch. Danke an euer Team.

  • Vor 6 Stunden

    Das klingt ja alles sehr sehr interessant, aber die Nummer mit (nichts gegen Jazz an dieser Stelle, aber ich brauchte ein Beispiel für anstrengende, aber stilvolle Musik) macht definitiv keinen Sinn, denn ich denke, dass Jazz nicht mehr oder weniger anstrengend ist oder sein muss wie andere Genres!
    Schlussendlich trifft es die Rezension aber zum überwiegenden Teil!
    Klasse Platte; CHAPEAU!!!

    • Vor 4 Stunden

      Das ist wahr. Jazz ist nicht nur anstrengend, sondern manchmal z.B. auch langweilig, nervtötend, prätentiös, penetrant, ziellos, unrelevant usw. usf...

      Jazz ist eben sehr, sehr facettenreich.

    • Vor 4 Stunden

      Wie so ziemlich jede andere Musikrichtung. Achso, Adorno hat angerufen und möchte seinen hot take zurück.

    • Vor 4 Stunden

      Mein Beispiel für anstrengende, aber stilvolle Musik ist natürlich stochastische Musik.

    • Vor 3 Stunden

      Bissl schade, wie Du die Ironie unterschätzt hast. Und ja, wie sehr Adorno Jazz hasste, ist schrecklich drollig. Auch exemplarisch einer der Gründe, weswegen ich nie besonders viel von ihm halten konnte. Horki war meines Erachtens ein hellerer Kopf, auch weil er meistens auf Hegelsche, wirre Schwurbeleien verzichten konnte.

      Wie auch immer. Jazz kann ja auch nix dafür, wie viele Heinis meinen, ihn spielen zu müssen.

    • Vor 3 Stunden

      wenn du, als Musiker, Jazz nicht zumindest wohlwollend gegenüberstehst, kannste es eigentlich auch direkt sein lassen.

    • Vor 2 Stunden

      WDCB 90.9 FM oder geh halt erst ma Gene Krupa googeln, altes Salzwasserkrokodil. :D

    • Vor 2 Stunden

      Ne, Adorno war schon ein sehr heller Kopf, aber halt auch beschränkt durch die Gegebenheiten seines Lebens, wie jeder andere Mensch. Also offensichtlich nicht das mit dem sehr hellen Kopf, siehe hier ↓

    • Vor 24 Minuten

      Horkheimer schätze ich schon was klüger ein, allermindestens in der Hinsicht, daß er sich nicht aus intellektueller Eitelkeit zu etwas wirren Ausführungen hinreißen ließ.

      Ansonsten schade, wie hier ernsthaft gelesen wurde, ich könne Jazz nicht leiden. Was ich aus den Jazz-Szenen weiß verrät mir, daß da auch sehr viel über manche Jazz-Richtungen, und vor allem deren Hörer gelästert wird. :)

    • Vor 7 Minuten

      Das weiß ich auch, ich war nämlich mit Frau Doktor schon mehr als drei Mal im B-Flat und hab außerdem das Interview von Frau Lütz mit Lambert hier neulich ebenfalls gelesen. ;^)

    • Gerade eben

      ...auf die Gefahr hin ein klein wenig unbescheiden zu klingen:

      Mensch könnte auch sagen, dass ich Mitte bis Ende der 90er quasi First Mover und Pionier darin war, diese althergebrachte Lästertradition unter Jazzern auch in Mitteleuropas Amateur- und Indie-Bereichen der (Nu)-Metal-Szenen zum status quo und lege artis werden zu lassen. :lol: