laut.de-Kritik
Trennungsbewältigung in 19 Akten.
Review von Mathias LiegmalAls Nina Chuba im April 2024 die rhetorische Frage "Wer ist wieder da?" in die Runde stellte, stand "Wildberry Lillet" immerhin noch auf Platz 40 der deutschen Single-Charts. So richtig weg war sie also nie und man durfte sich getrost fragen, wieso genau sie jetzt den Eindruck vermitteln wollte, mit Pauken und Trompeten in einen Raum zu platzen, obwohl sie diesen eigentlich nie verlassen hatte.
Andererseits: Entsprechende Intros gehören im Deutschrap seit jeher zum guten Ton und niemand hinterfragt selbst bei siebenundzwanzig Releases im Jahr deren Sinn. Zudem sollte man nicht in die patriarchale Falle tappen, sich laute und selbstbewusste Frauen lieber brav und leise zu wünschen. Auf "RAGE GIRL" folgt dann auch folgerichtig die dazu passende Ansage: "Der nächste Typ, der‘s besser weiß, kriegt direkt was auf die Fresse!" Nicht die besten Voraussetzungen für den Rest der Rezension, aber okay. Immerhin bildet ganz offensichtlich eine Trennung den thematischen Fluchtpunkt für das Album - da darf eine kräftige Portion Männerhass natürlich nicht fehlen.
Besagte Trennung wird dann auch Track für Track in all ihren Facetten durchdekliniert: Da wird der Wagen des Ex demoliert ("Jeeep"), die eigene Unabhängigkeit gefeiert ("Jung, Dumm & Frei", "RAGE GIRL"), die noch frische Entscheidung noch einmal auf ihre Richtigkeit hin überprüft ("Malediven", "Wenn Das Liebe Ist"), Trübsal geblasen ("3 Uhr Nachts", "Unsicher") und zur Abwechslung in flüchtige Flirts gestolpert ("Vergessen", "Fahr zur Hölle"). Alles gipfelt natürlich im direkten Streitgespräch ("Fucked up"), wobei in diesem Fall Makko der undankbare Part des toxischen Gegenübers zufällt - Apache kennt den Pain schon von Ayliva.
Die inhaltliche Monotonie wird dabei durch ein Kaleidoskop an Genre-Anleihen aufgefangen. Das primär im Deutschrap und Deutschpop beheimatete Songwriting fügt sich ebenso nahtlos in Alarmsirenen-Techno ("RAGE GIRL"), aalglatten Bubble-Pop ("Überdosis") und Synthie-Bretter mit Kopfstimme ("Jeeep") wie in klassische Reggae-Nummern ("Mama Shoot", "Kilimanjaro"), hypnotisches Flamenco-Gezupfe ("Vergessen") und schleichende Piano-Balladen ("ILMILMN (Skit)").
Zur Mitte hin wird Nina Chuba dann aber leider etwas "Unsicher" - und das nicht nur wegen des gleichnamigen Songs, der noch gekonnt die Steigerung von der Akustik-Gitarre zum Synthesizer meistert. Doch während die vorübergehende Orientierungslosigkeit nach einer Trennung inhaltlich noch gut ins Narrativ gepasst hätte, scheint die Protagonistin in der zweiten Album-Hälfte auch musikalisch nicht mehr so ganz zu wissen, in welche Richtung es nun eigentlich gehen soll.
Gleich mehrere Songs plätschern daher etwas unmotiviert vor sich hin, was die Ohrwürmer "Fucked up" und "Rückspiegel" nur teilweise kaschieren können. Zudem wird es auch lyrisch mit der Zeit etwas eindimensional, wenn das immergleiche Metaphern-Spiel (die Zigarette als Rauchzeichen, der Ex nur noch im Rückspiegel, "es kann physisch werden, wenn unsere Chemie stimmt", "das ist nicht für immer so wie Leasing" und so weiter) nahezu das einzige Fundament bildet, auf dem die Texte fußen.
Mit nur 47 Minuten kommt die Platte objektiv betrachtet recht kurz daher, doch scheint es dennoch etwas schwer zu fallen, das Energielevel ganze 19 Anspielstationen lang aufrecht zu erhalten. Auch im Fünf-Phasen-Modell der Trauer nähert man sich nach Verleugnung, Wut, Verhandeln und Depression letztlich schrittweise der Akzeptanz an, und in Hinblick auf das eigene Seelenheil ist das auch gut so. Künstlerisch betrachtet ist dies leider die langweiligste Phase. Am interessantesten sind nunmal die emotionalen Hochs und Tiefs - aber davon hat dieses Album glücklicherweise immer noch recht viele zu bieten.
1 Kommentar
"Der nächste Typ, der‘s besser weiß, kriegt direkt was auf die Fresse!"
Wer die geschlechtsneutrale Variante genießen möchte, sei an Fredi Bobic' Äußerung ggü. einem RBB-Reporter verwiesen ("Wenn Du nochmal frägst, kriegste eine gescheuert.")
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