laut.de-Kritik
Im Suspense-Klammergriff von Trent Reznor und Atticus Ross.
Review von Michael SchuhWie sehr die Meinungen über neuen Output von Nine Inch Nails mittlerweile auseinander gehen, verdeutlichte die letzte EP "Not The Actual Events" im Dezember 2016 erneut eindrücklich. Jubelten die einen im Einklang mit Kollege Binder über die Rückkehr von "tadellosem Industrial-Sound" mit "martialischen Drums", winkten nicht wenige angesichts des wieder ruppigeren Klangbilds unter Verweis auf frühere Großtaten ab. Der schmale Grat zwischen Weiterentwicklung und Stillstand: Trent-"I'm Not The Same Person I Was 20 Years Ago"-Reznor bewegt sich wie so viele einst wegweisende Künstler mit legendärer Historie auf vermintem Terrain.
Hakenschlagen als Methode: Schließlich jubelten zuletzt vor allem jene, die sich noch vor drei Jahren im minimalistisch angelegten NIN-Album "Hesitation Marks" an fehlender Aggression und laxen Pop-Experimenten des vermeintlich altersweisen Maestros störten. Vom Bedroom-Elektro des Nebenprojekts How To Destroy Angels ganz zu schweigen. Dafür dass es Reznor eigentlich niemandem recht machen kann, stellt er recht viele Fans zufrieden. Im heutigen Push-Meldung-Zeitalter bleibt dennoch nur die Kritik hängen.
Niemand dürfte das besser wissen als Reznor selbst, und so lesen sich seine Interviews zunehmend schmallippiger. Ob die Leute seine Musik annähmen, sei ihm herzlich egal, lautet eine zentrale Aussage. Diese Fuck Off-Haltung äußert sich seit Jahren in unorthodoxer NIN-Veröffentlichungspolitik und künstlerischem Austoben im Soundtrack-Sektor.
Derzeit scheint er wieder Bock auf NIN zu haben, schließlich ist eine EP-Trilogie angekündigt. "Add Violence" ist der zweite Teil, führt die Noise-Seite des Vorgängers entgegen des Titels allerdings nicht weiter. Der Opener "Less Than" ist vielmehr der eingängigste Song seit "The Hand That Feeds" (auf "With Teeth"), hisst die good old "Pretty Hate Machine"-Flagge und geht direkt über in "The Lovers", eines dieser düster dräuenden, cineastisch angelegten Reznor-Soundscapes, die im Vergleich zu vielen vergleichbaren Quasi-Instrumentals der jüngeren Vergangenheit mal wieder sehr emotional und stimmungsvoll ausfällt.
Und doch ist es nur die Ouvertüre zum sogartig einnehmenden "This Isn't The Place", in dem Reznor zu Hochform aufläuft: Eine auf den Akkorden von "The Lovers" aufbauende, atmosphärisch-wabernde Klaviermelodie über bedrückenden Synths und pointiertem Bass - ein finsterer Slow-Burner, wie man ihn seit seinem 1999er Klassiker "The Fragile" nicht mehr gehört hat. "Twin Peaks", here we come. "Not Anymore" lässt die Verzerrer noch mal aufglühen und sendet Querverweise zur letzten EP, bevor "The Background World" alle aufgestaute Energie abprallen lässt und die Vorstellung scheinbar in harmonischem Midtempo ausklingen lässt.
Doch weit gefehlt. "The world is bleeding out / it folds itself in two / behind the background world / it's always bleeding through", singt Reznor in gewohnt dystopischer Manier, bevor er den Hörer wieder in seinen berühmt-berüchtigten Suspense-Klammergriff nimmt und ihn in eine scheinbar ausweglose Soundspirale hineinzieht. Nach vier Minuten ist der Songteil vorbei und Reznor lässt ein Loop knallen, das nach kurzem Aussetzer erneut erklingt, nach kurzem Break erneut und so weiter. Kein Recording-Fail, sondern Teil der Reznor'schen Dramatik, die selbstredend bereits die NINologen auf den Plan gerufen hat.
Das exakt neun Sekunden lange Loop rekurriere auf den Bandnamen Nine Inch Nails, fachsimpelt man auf Reddit, die 52-fache Wiederholung desselben wiederum auf das Alter Reznors. Oder geht nur die Welt ("Background World") in exakt 52 Wochen zugrunde, wie man das von Scratches und immer derberen Lärmkaskaden begleitete, achtminütige Finish des Loops interpretieren könnte? Oder am Ende Reznors Karriere? Wie auch immer: Obey your master! Obendrein scheint Trent Reznor in Atticus Ross einen ähnlich veranlagten Soundfetischisten gefunden zu haben, dessen Arrangement-Knowhow dem Konzept Nine Inch Nails mehr als nur zu Gute kommt.
3 Kommentare
Mag sein, dass sich die Musik von NIN seit längerem nicht mehr wirklich weiterentwickelt, aber zumindest ich bin mit der neuen EP (und der Rückbesinnung auf die Platten vor Hestitation Marks) absolut zufrieden...
Ob man jetzt nen minutenlangen Loop am Ende wirklich braucht, sei mal dahingestellt...
Ich musste wirklich herzhaft lachen, als sich 'Background World' in Furzgeräuschen verabschiedet hat.
Zumindestens der überzeugendste Release seit "Year Zero". Atmosphärisch macht er hier vieles wieder richtig. Den Bedroom-Elektro von How To Destroy Angels (auch netter Coil-Verweis im Bandnamen) fand ich entgegen der Kritiken ziemlich klasse. Selbst der fährt seine Krallen aus, wenn auch um einiges subtiler.