laut.de-Kritik

Hier dudelt fast alles nur so vor sich hin.

Review von

Of Montreal waren als Vehikel der musikalischen Ausdruckskraft ihres Frontmannes Kevin Barnes schon immer schwer zu bestimmen. Einen Of Montreal-Song zeichnet keine bestimmte Struktur aus, eher eine Stimmung. Of Montreal überzeugten wie andere Bands des Elephant-6-Kollektivs mit düsteren, intellektuellen Lyrics, setzen dem aber
eine zumeist poppige, lebendige Instrumentierung entgegen.

Die musikalische Qualität konnte jedoch schon seit einiger Zeit nicht mehr mit den ausgesprochen gelungenen Songtiteln ("Ye, Renew The Plaintiff", "You Do Mutilate?") mithalten. Zu sehr blieben Alben wie "Skeleton Lamping" und "Paralytic Stalks" Fragmente. Meist litten die Alben an Überfrachtung und fehlendem Schmiss, der die relativ straighten Werke "Aureate Gloom" und "lousy with sylvianbriar" auszeichnete. Schon seit einigen Alben arbeitet Barnes komplett alleine, schreibt und spielt ein. Das Problem daran ist, dass Selbstdisziplin die anstrengendste Form der Disziplin ist und Kevin sie nicht besonders gut beherrscht. Zuletzt mäandarten die Werke so immer weiter in die persönlichen Geschmackswelten Barnes hinein und verloren sich in verspielter Selbstgefälligkeit.

"UR FUN" hingegen ist deutlich stringenter geraten, mit im Ansatz simplen Songstrukturen. Die schlechte Nachricht: es funktioniert trotzdem nicht und macht auch keinen Spaß. Genauso innerlich tot wie Barnes auf dem Cover wirkt, während seine Freundin von der zu vernachlässigenden Band Locate S,1 todesaffin auf seinem Schoß beischläft/ beifährt, geben sich seine Lyrics. Für ein Konzeptalbum, das anscheinend vom Spaß handeln soll, den ihm seine neue Beziehung macht, singt er wahnsinnig wenig darüber. Stattdessen thematisiert er, wie dumm alle anderen sind (verzeiht er ihnen aber) und wie viele Filme er von Ingmar Bergman kennt (alle, duh), und das wie gewohnt in verkopfter Art und Weise.

Anspruchsvolle Lyrics bedingen allerdings Reflexion, und diese geht Barnes hier ebenso ab wie inhaltliche Schärfe. "Peace To All Freaks" und "Don't Let Me Die In America" zeichnet ihre kindlich-trotzige Larmoyanz gegenüber Andersdenkenden aus, ohne auch nur mit einem Hauch Position zu beziehen. Ein schwieriger Spagat für jemanden, der so sehr wie ein Geck aussehen will und dessen Stimme stets von oben herab klingt. Wenn das intellektuelle Rasiermesser aber nicht richtig angesetzt wird, avancieren Songs wie "Carmillas Of Love" zu einem Name-Dropping-Gewichse à la The Game auf BA-Philosophie-Niveau von Dirk von Lotzow-Frisurdoubles. Beispielvers: "Emotional ocarina in Vitacura on Jodorowsky".

Polygamie auf einem Beziehungsalbum anzusprechen wie in "Polyaneurysm" erinnert an Yeezy, wird dann aber doch fade durch ein Woddy-Allensches "but you're gonna have to choose one day" aufgelöst. Nichts an Barnes Intellektualität ist verkehrt, sie zeichnete ihn im Gegenteil lange aus. Aber sie diente bislang eben einem Zweck, da sie seine Songs klug und cheeky machte. Die Tracks gaben den Texten - egal wie absurd sie waren - meist den Raum, zu wirken.

Das macht das Songwriting auf "UR FUN" aber nicht. Das schon genannte "Carmillas Of Love" wirkt wie ein lieblos heruntergespielter Schlagersong, der einfach nicht weiß, wann und wie er aufhören soll. Es bereitet geradezu körperliche Qual, diesem Stück beim Verrecken zuhören zu müssen. Kluge Lyrics brauchen keine Kozeleksche Fixierung. Aber das Korsett der beliebigen Pseudo-80er-Bubblegum-Songs wirkt hier nicht befreiend. Ihnen geht nämlich die für diese Songs eigentlich typische inhärente Dynamik ab. Bei jeder Gelegenheit drehen die Tracks in 60er-Psycho-Pop-Pattern ab, als würden Spacemen 3 den Soundtrack zur Kinderversion von GTA Vice City schreiben. Hinzu kommt, dass Barnes zu dieser Art Musik unpassende, gedrückte, weinerlich-gelangweilte Stimme absäuft und den Songs immer einen unpassenden Hauch Ironie verleiht.

Wie mit den Gitarrenfiguren auf "Carmillas Of Love" gibt sich Barnes durchaus Mühe, jedem Track eine Idee, eine bestimmte Note zu verpassen. Als Hörer bleibt aber die Ahnung zurück, dass Barnes selbst merkte, dass die Songs einfach nicht tragen. Er widersteht der Versuchung früherer Alben, sich einer schwammigen Wall of Sound hinzugeben, aber "Peace To All Freaks" fühlt sich so an wie ein Shoegaze-Song ohne Reverb auf der Gitarre. Die Handbremse löst sich auch mit der unfokussierten Fingerübung "Deliberate Self-Harm Ha Ha" nicht. Der emotionslose, nach vorne gemixte, aber gedrückt wirkende Gesang verstärkt den negativen Eindruck. Schon Cohen und Danzer wussten, dass Gypsies eigentlich ein hervorragendes Songthema sind, aber auch "Gypsy That Remains" dudelt nur vor sich hin. Hängen bleibt beim Hörer, dass Barnes Freundin auf dem Stück eine ebenso leblose Stimme wie er hat. Einen künstlerischen Dialog zwischen zwei Liebenden kriegen sie jedenfalls nicht hin.

Dramatisch, dass es durchaus Songs gäbe, die stringent genug wären, um Charme und Dynamik zu entfalten. Diese werden aber von einem so von Of Montreal bislang nicht gewohnten Kitsch heimgesucht. "Get God's Attention By Being An Atheist" besitzt eine interessante Struktur, säuft im zuckertriefenden Refrain aber ab. "You've Had Me Everywhere" hingegen bleibt ab der ersten Sekunde vorhersehbar. Wie die schlechtesten Nummern von Brandon Flowers lässt der Song einfach jeden Spannungsbogen vermissen, da er wie ein offenes Buch vor einem liegt. "Don't Let Me Die In America" hört sich an, als wären die Gitarren von Bowies "Tonight" zur Bad Taste-Party gegangen. Auch die Rocknummer "20th Century Schizofriendic Revengoid-Man" gerät völlig daneben, will nach vorne gehen und dabei Komplexität wahren, stattdessen verkommt sie zum modularen Muckertum. Hört sich an wie der Outtake eines Cloud Nothings-Demo.

Ein einzig positiver Lichtblick kommt mit "St. Sebastian" daher: Eine tatsächlich lebendige Nummer, die auf hoher Lautstärke mitreißt und komplex und verspielt produziert ist. Sie zeigt gottlob auch, dass Barnes Stimme sehr wohl ein taugliches Instrument ist, wenn nur das Drumherum passt. Und dieser Groover, der sich durch die Hintertür auf den Dancefloor stiehlt, passt zu Barnes abgehalftertem Dragqueen-Ton ganz wunderbar.

Trackliste

  1. 1. Peace To All Freaks
  2. 2. Polyaneurism
  3. 3. Get God's Attention By Being An Atheist
  4. 4. Gypsy That Remains feat. Locate S,1
  5. 5. You've Had Me Everywhere
  6. 6. Carmillas Of Love
  7. 7. Don't Let Me Die In America
  8. 8. St. Sebastian
  9. 9. Deliberate Self-Harm Ha Ha
  10. 10. 20th Century Schizofriendic Revengoid-Man

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1 Kommentar mit 5 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Das hier wird als eine der größten Fehleinschätzungen des Jahres gelten. Eine durch und durch geniale Platte einer der besten Bands aller Zeiten.

    • Vor 4 Jahren

      Allerdings ist es schön, das die Scheibe hier überhaupt besprochen wird. Im Gegensatz zum Rest der Welt hat Deutschland den of-Montreal-Zug vollkommen verpaßt. Seltsam, daß Barnes dafür erst ein sehr eingängiges 80er-Popalbum schreiben muß.

    • Vor 4 Jahren

      Ich musste unwillkürlich beim lesen der Rezension sofort an dich denken :D :kiss:

    • Vor 4 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 4 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 4 Jahren

      Danke für die Assoziation!

      Es gibt halt nicht mehr viele Chamäleons vom Kaliber und mit den Fähigkeiten eines Bowie da draußen. Klar bin ich am Start bei der Platte ;)