laut.de-Kritik

Wo die gute Zeit beginnt.

Review von

Als Meilenstein könnte man ganz unterschiedliche Alben von Georg Danzer benennen, mindestens den 80er-Fiebertraum "Weiße Pferde" und das ungemütliche, schwierige "Von Scheibbs bis Nebraska" drängen sich auf. Die Wahl fiel auf "Wahre Lieder aus meiner Wirklichkeit", wie der Untertitel von "Der Tätowierer Und Die Mondprinzessin" lautet. Vermeintliche Kinderkulturerzeugnisse können, wer "Jaki", "Harry Potter" oder "Momo" las, weiß es, einen ganz eigenen Reiz entfalten. Diese bestimmte Wärme hatte die Scheibe schon in ihrer auch 1974 altertümlichen Aufmachung, zumal mit heute Sammlerwert besitzendem beigelegtem Kinderheft. "Vermeintlich" ist hier aber wichtig, denn Danzer-üblich fliegen die Selbstzweifel wie die Fetzen und vor allem werden zahlreiche Damen geschnackselt.

Es ist eben, bei allen schönen Sprachbildern von der kleinen gelben Mondprinzessin, "seine Wirklichkeit", und in der hat er die Mondprinzessin ganz expressis verbis geschwängert. Diese melodiösen Lieder sind aus gleich zwei Gründen bemerkenswert: "Honigmond" floppte 1973, was Danzer vor finanzielle Probleme stellte, der Hype um "Jö Schau" startete erst 1975. Danzer war ein ziemlicher Nobody, dessen bisherige wenige Erfolge Austropop im Stile von "Der Tschik" waren. Auch "Der Tätowierer Und Die Mondprinzessin" kam erst bei Vinyl-Wiederveröffentlichung im letzten Jahr in die österreichischen Charts, nicht 1974. Dieser Versuch künstlerischer Integrität scheiterte also kommerziell, wo "Honigmond" zwar ein gutes Album ist, aber eben nicht ohne Schwächen, sitzt beim Tätowierer wirklich jeder Stich; ein Vorgeschmack auf das, was vom großen Künstler Danzer noch so kommen wird, wie auch ein Höhepunkt im gesamten Schaffen.

Der selbst immer unter fehlender harter Produzentenhand leidende Willi Resetarits alias Ostbahn-Kurti hilft hier mit und ist als Percussionist früh zu hören im Opener "Kleine Gelbe Mondprinzessin". Lebendig und sehnsüchtig gibt das geradezu unverschämt beschwingte Bandstück einen guten Einblick in Peter Müllers Studio. Wie oft bei Danzer sind die Musiker wohlbekannte Wiener Könner, ihre Zusammenarbeit mit Danzer aber in dieser Konstellation nur punktuell für dieses Album. Tasteninstrumentdrücker Robert Ponger wird später berühmt als Falcos Produzent, Gitarrist Theo Bina blieb Danzer noch ein wenig erhalten, bevor er zum legendären Einsiedler und Virtuosen Peter Ratzenbeck wechselte. Hier passt die Truppe wie die Faust aufs Auge und gibt Danzers auf der Akustikgitarre entworfenen Songs eine Tiefe und für Danzer untypisch ausladende Struktur; Vergleiche zum ähnlich geglückten "Oiwei I" liegen nahe. Übrigens folge ich hier der Liederreihung der Wiederveröffentlichung, der im Erzählstrang mehr Sinn gibt. Danzers Manager Blacky verantwortete diesen exzellenten Remaster, und er hat die Autorität, solche gravierenden Änderungen zu vertreten.

Die "Kleine Gelbe Mondprinzessin" schraubt sich ekstatisch immer weiter in die Höhe, Danzer singt "unsere Liebe brennt dem Tuch der Nacht die Sterne ein" und opfert dafür gerne binnen Sekunden das Konzept seines angeblichen Konzeptalbums um den harschen Wirklichkeitsfanatismus des Tätowierers. "Valerie" bricht völlig mit der gerade erst skizzierten Traumwelt. Der unendlich coole Folkpop mit den suavsten Adlib-Passagen überhaupt entführt ins heruntergekommene Beisl, bevor es heißt: "Heute Nacht Machen Wir Es Gut". Als "König Ohne Thron" besteigt der Schurli statt Möbel halt andere Dinge, das leicht übergriffig-erotische Stück ist dank besonders leidender Gitarre und einem völlig in seinem Element aufgehenden Danzer das dritte Meisterstück in Folge. "Morgen hast du Angst, heut hast du Mut", die endgültige intellektuelle Bumshymne, ein entschlossener Aufruf, alles auszublenden außerhalb des Bettkastens, wobei der Zweifel wie bei Danzer immer unter die Bettdecke schlüpfen darf, wenn er so oft betonen und gar aufzählen muss, wie egal doch alles sei.

"Kann Sein" bläst ins selbe Horn, denn wer sich so viel Entspannung einreden muss und dabei en passant alles erwähnt, was Schlechtes passieren könnte, der ist eher fatalistisch als laissez-faire unterwegs. Ein ungewöhnliches Lied mit Danzers kämpferischer Rede, dem hektischen, toll gespielten Bass und dem zittrigen Schlagzeug über einer schon Synthesizer-haft leiernden Orgel. "Und Die Zeit Vergeht" knüpft direkt an das Thema an. Der konventionellste Song bislang, eine wehmütige Akustikgitarrenliedermachernummer, sinniert im Morgengrauen über die durchliebte Nacht nach. Der Chor "Schmetterlinge" schmettert zwar schön, der nur sehr gute Song fällt aber ein klein wenig zu repetitiv aus, im Topos mehr als in der Musik.

Danach dreht das Album abrupt nach links ab: Der Gypsy-Folk von "Es Blutet Und Es Tut Nicht Weh" erzählt von einer Liebschaft zu einer Zigeunerin, deren Familie vor der Stadt campiert. Der wunderschöne Adoleszenz-Track presst so viel Liebe, Körperlichkeit, Erfahrung der eigenen Grenzen (die wenig begeisterte Familie der Dame verdrescht den Erzähler) in das Lied voller Twang und Swing, es ist eine reine Freude. Die Mahnung "Mein Freund, Der Skorpion" richtet sich an genau diesen jungen Danzer, den Liebhaber, der von der Prinzessin zur Zigeunerin liebt, was ihm vor die Flinte kommt. "Mein Freund, du zeigst zu sehr, wie nahe dir das Leben geht". Sparsam akustisch untermalt, überragt der Song durch eine Gitarrenfigur, deren Magie man sich nicht entziehen kann, ein spanisches Kontra zu Danzers Refrain, in dem er den Skorpion vorm eigenen Stachel warnt. Ein ähnlich magisches und einzigartig fremdes Lied wie das davor, ein unterschiedliches Sinnpaar.

Es folgt mit dem leicht blödeligen "Bahamas - Nassau Bay" das schwächste Lied des Albums, die lebendige Nummer leidet an der schiefen Einbindung des Chors, die erst zum Ende hin aufgeht. Inhaltlich keine uninteressante Nummer, zeigt sie Danzers Faszination vom Sieg des Simplen übers Komplexe – "dort ist es kalt, hier ist es heiß", während die Verwandten daheim sterben und heiraten. "Ich Liebe Dich" muss man ein Lied erst mal nennen; was läge näher, als es in einen österreichischen Liedermacher-Calypso zu verwandeln. Wie das beim Lieben so ist, lässt der Danzer sich ganz schön Zeit, bis er mit entwaffnendem Charme die Titelworte ins Mikrofon schmunzelt, dass man leicht erröten mag. Irgendwie nur eine Skizze, aber Rembrandts Skizzen waren halt auch schön – und dieser Schmachfetzen hätte als ganzer Song auch nicht funktioniert.

"Der Tätowierer Und Die Mondprinzessin" schließt diesen Meilenstein ab, ein interessanter Bastard aus Chanson, Yacht Rock samt Sprachpassagen und kultischer Beschwörung. Vordergründig stehen sich Mondprinzessin (Hoffnung) und Tätowierer (Trübsal/ übersteigerter Realismus/ Opportunismus) gegenüber, aber im Lied ist die Mondprinzessin – die das lyrische Ich geschwängert hatte – nicht mehr da, dazwischen war "Valerie" und diverse Beschwörungen an sich selbst und amouröse Abenteuer. Danzer ist der Tätowierer und sein immer wieder beschworenes Mantra "sei kein Tätowierer / suche nach der Mondprinzessin!" richtet sich mindestens so sehr an ihn wie an den Hörer. Schon im Opener verlangt er von der Mondprinzessin, sie solle in dorthin führen "wo die gute Zeit beginnt". Am Schluss ist Danzer wieder da und die Prinzessin längst weg. Aber wenn man immer weiter Mondprinzessinnen sucht - passt das dann nicht wieder? Denn der Mondprinzessinnen gibt es viele, den Danzer gab es nur ein einziges Mal.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Kleine Gelbe Mondprinzessin
  2. 2. Valerie
  3. 3. Heute Nacht Machen Wir Es Gut
  4. 4. Kann Sein
  5. 5. Und Die Zeit Vergeht
  6. 6. Es Blutet Und Es Tut Nicht Weh
  7. 7. Mein Freund, Der Skorpion
  8. 8. Bahamas - Nassau Bay
  9. 9. Ich Liebe Dich
  10. 10. Der Tätowierer Und Die Mondprinzessin

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LAUT.DE-PORTRÄT Georg Danzer

Galionsfigur des Austropop, hervorragender Sänger und Liedermacher, Meister des ironischen Zwischentons, rebellierfreudiger Humorist und echter Wiener.

1 Kommentar

  • Vor 7 Tagen

    "Als Meilenstein könnte man ganz unterschiedliche Alben von Georg Danzer benennen, mindestens den 80er-Fiebertraum "Weiße Pferde" und das ungemütliche, schwierige "Von Scheibbs bis Nebraska" drängen sich auf. "
    *hüstel* *hüstel* "Atemzüge", "Traurig aber wahr" *hüstel*

    "Der Chor "Schmetterlinge" schmettert zwar schön,"
    Ich will doch schwer hoffen, daß die "Schmetterlinge" dem Rezensenten bekannt sind, denn die tragen noch etwas mehr als ihre Stimmen zum Album bei. Willi Resetarits beispielsweise ...

    "ein interessanter Bastard aus Chanson, Yacht Rock samt Sprachpassagen und kultischer Beschwörung"
    Schöne Wortwahl, unterschreib' ich.

    "Denn der Mondprinzessinnen gibt es viele, den Danzer gab es nur ein einziges Mal."
    Leider, leider ...

    Ich hätte ein anderes Album von Danzer rausgesucht, aber die Begründung für die Wahl geht völlig in Ordnung. Man merkt auf jeden Fall, daß auch einiges an Sympathie für Album und Interpret mitschwingt.

    Gruß
    Skywise