laut.de-Kritik
Sobald ein Gast auftaucht, ist es dessen Song.
Review von Yannik GölzEs gibt kein großartiges Migos-Projekt seit "Culture". Nach jahrelangem Build-Up ihrer Mixtapes haben sie da den perfekten Moment der Geschichte für ihre Musik erwischt; seitdem laufen sie nicht nur ihrer Form hinterher, sondern scheinen auch zunehmend den Draht zu dem zu verlieren, was ihre Musik eigentlich einmal gut gemacht hat. Auf seinem zweiten Soloalbum ist Offset nun endgültig und absolut ein Solo-Artist. Takeoff ist tot, mit Quavo ist er zerstritten, und die Öffentlichkeit kennt ihn vor allem als den fremdgehenden Ehemann von Cardi B. "Set It Off" greift mit Getöse und Bombast danach, etwas zurückzuholen. Leider scheint Offset selbst nicht zu wissen, was.
Hört man nur die ersten paar Songs, dann könnte man eigentlich ein recht positives Bild gewinnen. Wenn etwas, dann klingen die ersten Songs groß. "Say My Grace" gebärdet sich als die große Single; die Streicher und der rumorende Bass klingen cineastisch, es schichten sich Synth-Pads über Synth-Pads und schließlich gesellt sich noch Travis Scott dazu, der zuletzt ebenfalls mit ziellosem Maximalismus ein Comeback hinlegte. Auch der Intro "On The River" vollzieht diese Geste mit einem wunderschönen Kirby Lauryean-Soulsample in einen schmetternden Metro Boomin-Beat.
Es klingt nach Hunger, es klingt nach Introspektion, es wirkt so, als würde er jetzt den Shit talken, den er sich Monate aufgespart hat. Der Flow ist stark. Aber die ganze Atmosphäre fällt auseinander, wenn er auf der fünften Line seines Albums bereits so bar jeder Themen ist, dass er darauf zurückfällt, auf einem so atmosphärischen Track Sachen zu sagen wie, dass er mache, dass "die Bitches 'Sicko Mode' gehen".
Im direkten Vergleich zu "Utopia" krankt Offset offensichtlich daran, dass er einfach kein Sound-Designer ist. Er hat keine wirklichen eigenen klanglichen Ideen und bedient sich deshalb bei anderen, die dieses Epos-Ding besser können. Travis und sein Cactus-Jack-Label drängen sich nicht nur bei der Don Toliver-Kollabo "Worth It" auf, noch mehr muss man aber an die Metro Boomin-Produzentenalben denken, die ebenso auf teils hohlen Bombast setzen. "Set It Off" und der "Spiderverse"-Soundtrack eint, dass sie sich ein bisschen wie das musikalische Pendant zu Superhelden-Filmszenen anfühlen, in denen Kugeln, Autos und Gebäude durch den Orbit schießen und vier Mal pro Sekunde geschnitten wird. Nur im Gegensatz zu Metro und Travis kriegt Offset den kohärenten Film nicht hin.
Auch er versucht hier, mit vielen Features ein bisschen Farbe aufzulockern. Aber sobald ein Gast auftaucht, ist es dessen Song. Nicht einmal, weil die Gäste besonders gut oder Offset besonders schlecht performen, er ist nun mal einfach ein geborener Feature-Rapper. Kommt Young Nudy auf "Dope Boy", dann klingt der Track nach Young Nudy, kommt Chloe auf "Princess Cut", klingt der Track nach Chloe. Selbiges gilt für Future, Don Toliver, zweimal Cardi und Label-Schützling Mango Foo. Zu leicht überwirft Offset die bisher geschaffenen musikalischen Ideen, weil er sich offensichtlich wohler fühlt, jemandem zuzuarbeiten als selbst die kreative Initialzündung zu leisten.
Und vielleicht gilt es hier einmal Revue passieren zu lassen, warum "Culture" damals so gut funktioniert hat: Es war ein Hoch auf Atlanta. Ja, auf seine Kultur, vor allem aber auf seinen Sound. 2017 kam Trap – unter anderem mit Migos – in seiner jetzigen Iteration in den Mainstream, und das Trio hat nichts gemacht, außer fantastische, Club-fertige, aber auch unterschwellige und ein bisschen vertrippte Beats zu picken und darauf Flows zu kicken. Niemand hörte das, weil man darin eine Story oder einen Superstar mit viel zu erzählen wähnte. Genau das war das radikale Statement daran!
Ich habe am Anfang übrigens gelogen: Es gab ein Post-"Culture"-Migos-Projekt, das funktioniert hat. Das war "Without Warning" von Metro, 21 Savage und Offset. Das klingt in großen Teilen ebenso explosiv und maximalistisch wie "Set It Off", aber setzte statt auf Atmosphäre eher auf Grooves, statt auf Star-Power eher auf Ästhetik und hielt sich kurz und prägnant, wo sich dieses Tape ohne jede Qualitätskontrolle endlos vor sich hinschleppt.
Es wirkt alles ein bisschen so, als hätten die Migos den Hype um ihre Rolle im Hip Hop jahrelang falsch verstanden. "Set It Off" beharrt starrsinnig auf einem Typ Musik, der Offset nie gelegen hat. Statt zu versuchen, ein großer, opulenter Album-Artist zu werden, hätte er am liebsten versuchen sollen, die Grooves wiederzufinden oder gar weiterzuentwickeln, für die man sein Camp die längste Zeit gehört hat.
1 Kommentar
Was um alles in der Welt, gibt hier den Anlass, dieses Album mit zwei Sternen zu bewerten ? Gelungenes zweites Soloablum, etwas besser als sein erstes.